Gegen die Wand ist ein Stück über Liebe, Sex, den Durst nach dem Leben und der Freiheit. Die beiden Hauptprotagonisten, getriebene und vom Leben enttäuschte Figuren auf einer verzweifelten Suche nach Leidenschaft und Geborgenheit, bewegen sich auf einem Grat zwischen Leben und Tod. Laut, wütend und vulgär fordern sie das Leben heraus und versichern sich so, noch am Leben zu sein.
Man kann sich nie sicher sein, dass man tot ist. Man kann sich aber auch nie sicher sein, dass man lebt und wirklich glücklich ist. Sagen sie im Chor.
Da hilft nur schreien, um sich lebendig zu fühlen. Ganz getreu dem Titel des Stücks wollen die Figuren mit dem Kopf durch die Wand.
Gegen die Wand von Armin Pertas, nach Fatih Akins gleichnamigem Film, feierte am 21.03.2012 im Gostner Hoftheater Premiere. Unter der Regie von Nina Hellmuth zeigen die vier Schauspieler Anezka Rusevova, Daniel Kersten, Charlotte Krenz und Leon Pfannenmüller die Geschichte einer komplizierten Beziehung.
„Er“, tief verstört und zurückgezogen in sich selbst nach dem Tod seiner Frau, willigt einer Scheinehe mit „Ihr“ ein. Die weibliche Hauptfigur, die sich so aus den Zwängen ihrer Familie befreien will, gierig nach dem Leben und voller verzweifelter Wut, lässt sich auf eine Affäre nach der anderen ein. Während „Er“ bei einer anderen Frau nach Geborgenheit sucht. Aufgrund der eigenen Ängste vor tatsächlicher Nähe unfähig, sich aufeinander einzulassen, stoßen sie einander von sich. Erst als „Er“ einen Mann erschlägt, entdecken die Beiden ihre Liebe füreinander.
Der Zuschauer darf einen Ausbruch, einen Rausch von Energie erleben, der körperlich spürbar wird und sich im Chaos einer grotesken Szenerie entlädt. Die Schauspieler überzeugen dabei durch ihre körperliche Präsenz und ihr intensives Spiel und schaffen es so, den Zuschauer anzustecken und mitzureißen.
Obwohl man sich an manchen Stellen etwas mehr Stille und Subtilität wünschen würde. Erst am Ende wird es dann ganz ruhig, wenn drei Protagonisten flüsternd Voyage Voyage singen.
Gegen die Wand zeigt vor allem gelungenes Körpertheater. Jeder psychische Zustand wird körperlich ausgelebt und sichtbar gemacht. Das Innenleben der Figuren wird so nach außen gekehrt und findet seine Projektionsfläche im Raum. Der Körper wird zum Medium und die einzige Möglichkeit für die Protagonisten miteinander in Kontakt zu treten. Der sexualisierte Körper wird zu einer zentralen Problematik. Die Möglichkeit der Hauptprotagonistin, einem anderen Menschen nah zu sein, besteht in ihrer Sexualität. Als es darum geht, sich tatsächlich körperlich als auch emotional ihrem Ehemann zu nähern, schreckt sie zurück. Das Stück widmet sich dadurch nicht nur der Frage nach der Bedeutung von Freiheit, sondern beleuchtet das Thema der Angst in einer Gesellschaft der Individualisten, in der jede Bindung höchst riskant ist.
Eine besonders gelungene Figur ist die des Narren. Immer über allem stehend, kommentierend und belustigt über das Geschehen. Er zieht den Zuschauer auf seine Seite und versetzt ihn in die Position eines Voyeurs, der das Geschehen von außen kritisch betrachten kann. Die scheinbar so ausweglose Situation der Protagonisten wird hinterfragt. Mit viel Komik und Derbheit nimmt das Stück seine Figuren aufs Korn und schafft somit die Durchbrechung der vierten Wand.
Leider verliert die Thematik im zweiten Teil an Tiefe und lässt die Verzweiflung und Emotionalität der Protagonisten im Chaos verpuffen.
Dennoch: Der Abend war ein Erlebnis und Spektakel für die Ohren, eine Komposition aus Musik und Geräuschen, welche zu einem klanglichen und körperlichen Erlebnis für den Zuschauer wird – schockierend und komisch zugleich, aber in jedem Falle belebend!
Julia Sommerfeld
Weitere Aufführungen:
30./31. März 2012 20:00 Uhr
Gostner Hoftheater, Nürnberg.