Ein Hitler der Kokosnuss

Am Ende steht die Zerstörung. Untergang und Auslöschung, die sich in der verrotteten, heruntergekommenen Palmenplantage und dem von Mangelernährung und Einsamkeit zerrütteten Geist jenes Protagonisten widerspiegeln, der einst ausgezogen war, um als Kokovore der perfektionistischen Maschinerie des wilhelminischen Deutschlands zu entkommen. In Sarajewo wird, ungefähr zur gleichen Zeit, als August Engelhardt vollends der geistigen Umnachtung anheim fällt, ein Thronfolger erschossen. Und dann kommt, gelinde gesagt, eines zum anderen. Die Welt brennt, das große Sterben beginnt. Dies ist die wenig überraschende Konklusion, mit der Christian Kracht seinen vierten Roman „Imperium“ enden lässt, es ist mehr oder weniger die einzige Konklusion, die man von einem Apokalyptiker wie Kracht erwartet. Selbstauslöschung, und alles andere geht auch zum Teufel.

Im Universum des Christian Kracht ist also alles beim Alten. Nur, dass es dieses Mal kein Ich-Erzähler ist, der mit seinem Ekel vor der Gesellschaft, die ihn umgibt wahrscheinlich in den trüben Gewässern des Bodensees endet („Faserland“, 1995), und auch keiner, der als Vertreter einer als verkommen erachteten westlichen Dekadenz in einem chinesischen Strafgefangenenlager dahinsiecht („1979“, 2001), sondern eben August Engelhardt, historisch verbürgte Figur, der um die Jahrhundertwende nach Deutsch-Neuguinea reist, um dort durch das Betreiben einer Kokosnussplantage, seinen Traum vom Aussteigertum zu verwirklichen, sein persönliches Utopia zu leben: Er würde Pflanzer werden, doch nicht aus Profitgier, sondern aus zutiefst empfundenen Glauben, er könne mit seiner großen Idee die Welt, die ihm feindlich und grausam dünkte, für immer verändern.

Ein deutscher Idealist also, der wie so viele dieser Spezies verhinderter Künstler war, jenem gar nicht unähnlich, der Jahre später vielleicht lieber bei seiner Staffelei geblieben wäre – schon nach wenigen Seiten, während sein Protagonist noch an Bord der „Prinz Waldemar“ gen Südsee dampft, lässt Krachts Erzähler diesen Hitler-Vergleich fallen und macht Engelhardt, den Kokovoren, Guru und Nudisten, der durch den Verzehr von Kokosnüssen gottgleichen Status zu erlangen gedenkt, zum Stellvertreter deutscher Befindlichkeiten, der sich analog zum späteren Vergleichsmodell in seiner tropischen Enklave Größenwahn und Paranoia hingibt, während Hitler noch ein pickliger verschrobener Bub ist, der sich zahllose väterliche Watschen einfängt. Aber wartet nur: Er wächst, er wächst.

Und dies ist nun Christian Krachts Geschichte: Eine Geschichte, die nicht deshalb überrascht, weil sie in ihrem Untergangs-Gestus thematische Ähnlichkeiten mit Krachts früheren Romanen aufweist, sondern im Gegensatz zu diesen mit großer Heiterkeit und Gelassenheit erzählt wird, wie man sie dem Autor eigentlich gar nicht zugetraut hätte. Eine „deutsche Südseeballade“ (der Verlag) ist „Imperium“ tatsächlich geworden, die mit sanfter Leichtigkeit in pazifischen Wellen schaukelt, während das große Inferno des 20. Jahrhunderts wie ein tropischer Wirbelsturm langsam den makellosen blauen Himmel verdunkelt; und getragen wird sie von einem allwissenden, reichlich blasierten Erzähler, durch den der Autor präzise den gockelhaften Sprachduktus eines Thomas Mann imitiert und dessen überhebliche ironische Distanz gleich mit.

Da wird ein Mückenstich, der eine Fiebererkrankung zur Folge hat, schon mal so beschrieben (…hatte die Mücke noch im Anflug ihren Proboscis ausgefahren, um, blind vor Gier an des Gouverneurs sauber ausrasiertem Nacken anzulanden und ihn mit einem kathartischen, crescendohaften Biss zu penetrieren, bevor sie die erlösende Götterdämmerung der hahlschen Handfläche erfahren hatte.) oder der Kampf eines Heizers gegen den Sturm zum archaischen Auflehnen eines Demiurgen stilisiert, der die eiserne Schaufel einhunderttausendmal gegen die Impertinenz der Weltenunordnung erhebt.

Ergänzend zu diesen stilistischen Spielereien lässt Kracht seinen Protagonisten, während dieser auf seiner Kokosnussplantage abwechselnd neue Gefährten empfängt, wieder vergrault und über dem Kokosnussverzehr langsam den Verstand verliert, in Rückblenden in Forrest Gump-Manier allerlei literarische Prominenz treffen: Engelhardt beobachtet Hermann Hesse auf einer florentinischen Parkbank, bekommt von einem Kokosnuss-Jünger erzählt, wie dieser einst auf Helgoland dem jungen Kafka sexuelle Avancen machte und wird im Schlesischen von Thomas Mann und seiner Frau Katja bei der Polizei angezeigt, nachdem diese Engelhardt nackt am Strand erblickt haben. Letztere Begegnung kommentiert Krachts Erzähler im Hinblick auf Thomas Manns angebliche Homosexualität amüsiert: Er (Mann) wird plötzlich der fast knabenhaft schmalen Schultern des gestern am Strande liegenden, nackten jungen Mannes gewahr, und erkennt in diesem Augenblick den eigentlichen Grund, weswegen er Anzeige erstattet hat, und dass sein gesamtes zukünftiges Leben von einer schmerzhaften Selbstlüge überlagert sein wird.

Aber ach du Schreck: Ausgerechnet in dieser, man könnte fast sagen liebevollen Pastiche auf die Abenteuerliteratur eines Conrad oder Melville soll Christian Kracht ein rassistisches Weltbild versteckt haben, und sowieso, ein Türsteher der rechten Gedanken sein. Zumindest behauptet das Literaturkritiker Georg Diez in seiner grantigen Generalabrechnung mit dem Autor, die im letzten Spiegel erschien – damit hat er nicht nur ein Rauschen im Feuilleton-Blätterwald ausgelöst und die Empörung sich mit Kracht solidarisch zeigender Schriftsteller auf sich gezogen, sondern zur Überraschung aller selbigen auch noch dazu gebracht, die anstehende Lesereise abzusagen.

Das überrascht wirklich. Es war eigentlich vielmehr zu vermuten, dass Kracht – den immer ein Hauch von unsäglich arrogantem yuppie’esken Elitarismus umweht, für den alles Kokettieren mit fragwürdigen Positionen (man erinnere sich daran, wie Kracht einst die Taliban als „camp“ bezeichnete) stets Stil, Ästhetik, ironische Pose und Lust an der Provokation ist, die man gerne auch als Leere bezeichnen könnte –  sich über die offenkundige Humorlosigkeit mit der Diez seinen wiederum hochgradig ironischen Roman bespricht, gut amüsiert, ach was, brüllt vor Lachen.

Das dies eben nicht der Fall ist, spricht eher dafür, dass es den Autor, Hitler-Vergleiche und Kolonialattitüde seines Erzählers zum Trotz, wurmt, ausgerechnet sein entspanntestes, humorvollstes Werk nun mit einem rechten Label etikettiert sehen zu müssen.

Und in der Tat laufen Diez‘ Vorwürfe ja auch ins Leere, betrachtet man das Buch für sich genommen. „Imperium“ ist ein literarisches Spielchen, mit der Abenteuerliteratur, mit literarischen Vorbildern, mit der Mentalität des wilhelminischen Deutschlands, mit Aussteigerromantik und Weltverbesserungsträumen, stets ironisch, stets augenzwinkernd, fast die Parodie eines Abenteuerromans, ohne je ins Lächerliche abzudriften – und es ist eine Stilübung, bei deren Verfassen sich der begnadete Stilist Kracht sprachlich verausgaben und seinen Spaß gehabt haben durfte. Großartig liest sich das über weite Strecken, unterhaltsam ohnehin. Und viel mehr ist da auch eigentlich nicht. Vorwürfe, die Beschreibungen der Eingeborenen seien rassistisch, erweisen sich als haltlos, sind sie in ihrer Klischeehaftigkeit doch Konsequenz und Ergebnis der gewählten Erzählform, und auch Georg Diez weiß ja eigentlich, dass die Meinung des Erzählers mitnichten mit der des Autors gleichzusetzen ist.

Alles nur Schall und Rauch also, viel durch das Knüppeln mit der altbekannten Nazikeule aufgewirbelter Staub? Wer sich auf kracht’sche Gesinnungsforschung begeben will, müsste Interviewaussagen und Texte ansammeln und vor allem den Briefwechsel Krachts mit David Woodard lesen, den Diez als Hauptanklageschrift verwendet. Und schließlich urteilen.

„Imperium“ taugt dazu nicht. Es ist lediglich ein Roman, der im Kern wie alle Werke des Autors, um Auslöschung und Untergang kreist. Nur lustig, dieses Mal.

 

 

Christian Kracht: Imperium

Kiepenhauer & Witsch (ISBN  978-3462041316)

18.99 Euro

Manuel Weißhaar

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