„Narcolepsie“, das ist eine ganz schlimme Krankheit! Da müssen Sie etwas dagegen tun!“ Eine heimlich in sich hineingrinsende Gestalt mit Namensschild zeigt seinem Gegenüber undurchsichtig die Zähne. Er ist Mitarbeiter des „Kongress zum Unheimlichen“, der am 08.12. in den Glockenlichtspielen tagte.
Kongress mag Langeweile verraten, doch die Programmpunkte desselben machen doch neugierig: „Schreibduell des Grauens“, „Die Verheimlichung des Unheimlichen – Vorlesung zur systematischen Katanalyse aus dem Fachbereich der designativen Systematik“, „The Joy of Bloodpainting“.
Passend zu diesen Themen finden sich die verrücktesten Gestalten ein. Hüte und dunkle Sonnenbrillen haben Hochkonjunktur. Wer gehört dazu, wer ist Zuschauer? Das bleibt vorerst im Dunkeln. Im Rahmen des GLOCKENSPIELs arbeitet das Theater Erlangen mit Studenten zusammen, hauptsächlich aus der Theater- und Medienwissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie haben eine Late-Night-Reihe zum Thema „Nacht“ zusammengestellt. Konnte man am 03.11. das Leben des berühmten Nachtforschers Karl Nimeni begutachten, wurde nun der „Kongress zum Unheimlichen“ ins Leben gerufen.
Beim Eintreten wird man zuerst in eine Schublade gesteckt: Frau, Mann, Monster oder Sonstiges? Bevor man eingelassen wird, muss noch die Aura gecheckt werden, Walter Benjamin lässt grüßen. Ist der Paranormalitäts-Quotient zu hoch, ist das kein Grund zur Besorgnis: „Sie erhalten die Möglichkeit, diese Anormalität zu reduzieren.“ Wie auch immer sie das anstellen wollen, ich denke heimlich an Frankenstein. Etikettiert und beschriftet nimmt die Nachtgesellschaft den Raum in Augenschein. Blaue Lampen, dunkle Samtvorhänge und verschiedene Türen locken in die Finsternis, mit einem Bier von der Bar lassen sich die flatternden Nerven beruhigen. Dann wird man auf Herz und Nieren geprüft, man kann einen Blick in Ohr und Luftröhre werfen.
Der Zuschauer befindet sich in einer fiktiven Welt. Wie fiktiv sind sie selbst? Schon im ersten Kontakt mit den Darstellern muss man sich die Frage stellen, wer bin ich, wer will ich sein? Man muss seinen Namen auf einem Schild eintragen lassen, bevor man es sich um den Hals hängt. Was soll draufstehen, der richtige Name oder der einer Figur, passend zum Umfeld?
Die Darsteller sind auf den zweiten Blick bekannt, auch die meisten Zuschauer gehören entweder zum Theater Erlangen oder sind (Theaterwissenschafts-)Studenten an der FAU. Müssen sich also alle krampfhaft in eine Illusion hineinzwingen? Nein, es geht ganz leicht, die Zuschauer spielen auch mit. Sie lauschen andächtig dem spontanen Unsinn, den Robert Naumann von sich gibt, als er Olivia Kaisers Blutmalerei kommentiert (Bob Ross hat auch großen Erfolg!) Das Publikum setzt sich in ein winziges Vorzimmer, belagert von einem Belarussen und hört sich Hörspiele an. „Unterschreiben Sie! Narcolepsie ist eine schlimme Krankheit!“ Schrille Schreie dringen aus den umherliegenden Kopfhörern. Es zieht ein Wind durch den Raum, wenn die Tür aufgeht. Ein scheinbar Obdachloser kommt herein und stammelt unzusammenhängendes Zeug. Wem darf man glauben, ihm oder der Firma „Halbtraum Inc“? Pharmazie oder Opfer? Und ist das so entscheidend? Ist doch alles nur ein Gruselkabinett…
Man wandelt zwischen den einzelnen Organen und Körperteilen umher und lässt sich eine Gänsehaut über den Rücken jagen.
Der Fokus ist multiperspektivisch. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Man kann nicht alles auf einmal sehen, man verpasst zwangsläufig Programmpunkte. Der Zuschauer gestaltet seinen Abend selbst, er ist sozusagen für sein eigenes Vergnügen verantwortlich. Deswegen langweilt sich an diesem Abend bestimmt keiner. Nach der Goethe-Eichendorff-Interpretation, romantisch-schaurig vorgetragen von Sibylle und Placebo Domingus, brechen die Rollen auf. Party-Musik erklingt, der Rahmen bröckelt, er verändert sich. Man begrüßt sich, beglückwünscht sich zu dem Abend. Immer noch im Kostüm.
Doch auch schon vorher wurde die Illusion systematisch unterbrochen. Dialekte wechseln mitten im Vortrag, was Englisch war wird im Nebensatz zu Deutsch. Manche bleiben den ganzen Abend in ihrer Rolle, andere fallen heraus. Oder haben sie mehrere? Nichts ist, wie es zu sein scheint. Am Ende geht man nach Hause und denkt an das Monster unter dem Bett, damals im Kinderzimmer.
Johanna Meyr
Liebe Johanna,
vielen Dank für Ihre nette Rückschau, nur eine Anmerkung sei uns gestattet: wir kommen aus Rumänien, nicht aus Belarus.
Dennoch, talentiere junge Journalisten wie Sie haben sicher noch eine große Zukunft. Vielleicht können wir etwas trinken, wenn Halbtraum, Inc kommt mal wieder nach Deutschland?
Herzliche Grüße,
Ihr Diblu.
Hallo lieber Diblu Minegreu,
herzlichen Dank für das Feedback und die Korrektur, da habe ich mich wohl falsch informiert. Sollte ich da albtraumfrei herauskommen, würde ich sehr gerne mit Ihnen etwas trinken gehen :). Teilen Sie mir dann einfach mit, wann Sie wieder nach Erlangen oder Umgebung kommen.
Viele Grüße,
Johanna