Tanz der Moleküle

Mein Herz tanzt: Lucy Rose und Jamie MacColl

Es ist mal wieder Wochenende, ganz klar. Woran man das merkt? Daran, dass neben den üblichen kopfnickenden Indiehipstern beiden Geschlechts und den obligatorischen bebrillten Popdiskurslern auch eine ganze Heerschar schnatternder Teenager (vor allem weibliche) den doch sehr vollen Saal im E-Werk bevölkert. Mein Kollege, der neu angeworbene reflex-Fotograf A.Violent wird daher alsbald von einem Pulk biertrinkender Adoleszenter nach hinten gedrängt und setzt eine veritable „Ich bin zu alt für diesen Scheiß“-Miene auf, ehe er „Bin eine rauchen“ murmelnd von dannen zieht. Ich harre indes weiter tapfer auf meinem Posten aus, so lange kann es jetzt ja nicht mehr dauern, bis sich der Bombay Bicycle Club auf die Bühne traut, immerhin ist seit den hübschen Akustikpop-Kleinoden des Supports Lucy Rose auch schon wieder eine halbe Stunde verstrichen. Aus den Boxen dröhnen allerdings weiter wummernde Clubbeats und nach einem schwerst verunglückten Animal Collective-Remix malträtiert nun ein sich ewig wiederholendes Put ya‘ hands up in the air, put ya‘ hands up, put ya‘ hands up die wartenden Zuschauer. Jetzt könnten sie doch endlich mal, aber man hätte es ja wissen müssen, mit ihren Fahrrädern sind die halt etwas langs…Schluss jetzt mit diesen albernen Kalauern, auf der Bühne scheint sich was zu tun. Und in der Tat, da kommen sie ja…

Rückblick: Es muss irgendwann letzten Winter gewesen sein, als mir jemand „Flaws“, das zweite Album des Bombay Bicycle Club, zusteckte, ein entspanntes Akustikgitarrenpopding mit Folk-Anleihen, einem Sänger mit zitternder Conor Oberst-Stimme und einigen überaus netten Songs, an denen es wenig zu beanstanden gab, außer dass sie bisweilen vielleicht ein wenig hüftlahm daherkamen. Die Songs des ein Jahr zuvor erschienenen Debüts hatte ich ebenso wenig auf dem Radar wie die des vor einigen Wochen veröffentlichten Drittwerks und sie deswegen gedanklich irgendwo in der britischen Indiepop-Schublade verordnet, ohne vor dem Konzert nähere Recherche zu betreiben. Eine überaus schlampige Einstellung, wie ich mir im Nachhinein eingestehen muss.

"Can I wake you up?": Jack Steadman

Schon „Shuffle“, die erste Single des neuen Albums und der Eröffnungssong an diesem Abend perlt so wunderbar treibend vor sich hin, dass die Tänzer in der Menge bereits aktiv werden und den Kopfnickern schwant, dass sie mit ihrem üblichen Bewegungsarsenal hier nicht auskommen werden. Once you get the feeling it wants you back for more singt Sänger Jack Steadman mit zitternder Stimme, während Keyboard und luftige Gitarren miteinander Ping Pong spielen. Steadman, Typ nerdiger Biologiestudent mit hochgeknöpftem Hemd, der es irgendwie geschafft hat, in einer Band zu singen und jetzt cooler zu sein wie alle anderen, grinst dabei ungläubig, als wisse er nicht so recht, wie er und seine Band es schaffen konnten, so viele Leute anzulocken. Das ist allerdings nicht allzu schwer herauszufinden: Der Sound des Bombay Bicycle Club ist unglaublich verspielt und streng ausgetüftelt zugleich; man tobt sich aus, mit hüpfenden Gitarren und verqueren Rhythmen, die entfernt dem Mathrock entliehen sind und wie bunte Bälle durch den Raum springen, wirft mit griffigen Hooklines und Riffs geradezu um sich, ohne je in Versuchung zu geraten, die Spannunskurve ihrer Songs auch nur für einen Moment zu vernachlässigen.

Die Foals kommen einem da in den Sinn, die ja ebenfalls durch die britische Hype-Maschine gejagt wurden, Vampire Weekend minus die afrikanischen Peter Gabriel-Anleihen ebenfalls oder auch die französischen Aushängeschilder Phoenix – dem Bombay Bicycle Club ist jedenfalls ein ähnlich lässiger Umgang mit dem typischen Indierock des vergangenen Jahrzehnts zu attestieren: Der Fünfer jongliert munter mit dessen Versatzstücken, lässt euphorische Gitarrenlicks mit melancholischen Melodien kollidieren, spielt seine Instrumente noch ein bisschen tighter und schneller als die anderen und begreift ihn als eine einzige bunte Spielwiese, die auf einmal so weitläufig wirkt, als hätte es die Ermüdungserscheinungen im Indiepopbereich in den letzten Jahren nie gegeben.

Im E-Werk-Saal geht es dementsprechend hektisch zu und neben mir klagt ein Typ darüber, sein Bier verschüttet zu haben (was, von einem rein theoretischen Standpunkt betrachtet, aufgrund eines beschwingten Ausfallschritts in mein Verantwortungsgebiet fällt, prinzipiell aber dem messerscharfen Gitarrenriff von „Open Water“ zuzurechnen ist). Besagtes „Open Water“ ist auf keinem Album des Clubs zu finden, womit wir schon beim nächsten Punkt wären, der großen Produktivität dieser Band. Drei Alben in gerade mal zweieinhalb Jahren sind nach heutigen Maßstäben ein ungewöhnlich hoher Output und für nicht wenige zeitgenössische Gitarrenbands ist nach diesen drei Alben ohnehin schon Schluss, weil sie ihrem gelungenen Debüt und dem gleichklingenden, aber nicht ganz so guten Nachfolger nur ein unentschlossen nach neuen Wegen suchendes Drittwerk folgen lassen. Beim Bombay Bicycle Club wirkt es indes so, als wüssten seine allesamt noch sehr jungen Mitglieder gar nicht wohin, mit all den Ideen und Stilübungen, so dass sie sich sogar den Luxus gönnen, für das zweite Album „Flaws“ völlig unerwartet den Gitarren den Strom zu entziehen und gänzlich auf Hits für die Indiedisco verzichten, ein unerhörtes Verhalten für eine Band, die von der britischen Musikpresse zum „next big thing“ erklärt worden ist.

Die Crowd in Aktion, Handclaps und Kameras inklusive

Vom eben erwähnten akustischen Album spielt man dann auch wenig, es scheint so gar nicht mehr ins Gesamtkonzept zu passen. „Dust On The Ground“ etwa, auf dem eben erwähnten Album eine eher traurige und auch eher langatmige Angelegenheit, wird daher schlüssigerweise in seiner Ur-Fassung präsentiert und als beschwingte New-Wave-Post-Punk-Nummer dargeboten, in deren Refrain die wavig hallenden Gitarren auf eine Art- und Weise in den Himmel schießen, dass sich düstere Verwalter dieses 80er-Erbes wie beispielsweise die Editors, beschämt wieder in ihre dunkle Ecke zurückziehen müssten. Mit „Rinse Me Down“ und „Ivy & Gold“ schleichen sich (nach Ankündigung durch Steadman, versteht sich) in etwas beschleunigter Form dann doch noch zwei „Flaws“-Stücke ins Set, wobei insbesondere das Letztgenannte jedem als Hörprobe nahegelegt werden kann, dem der Winter schon an den Nerven zerrt, ehe er überhaupt richtig begonnen hat – die Melodie sollte in der Lage sein, jedem Miesepeter das Banjo um die Ohren zu schlagen, auf dem sie gezupft wird.

Ja, diese Band ist eingespielt, das lässt sich unschwer feststellen an diesem Abend: „Evening/Morning“, „Always Like This“ und „Leave It“, die vielleicht größten Hits in ihrem Arsenal, werden mit lässigster Selbstverständlichkeit herausgefeuert und münden wie manch weiterer Song in einem lärmgewitternden Finale, bei dem sämtliche Bandmitglieder wie Derwische über die Bühne fegen – und das Publikum lauthals herumschreit. Das funktioniert alles ohne viel Gerede und Ansagen, lediglich ein paar „How are you, Erlangen?“ (was bei Steadman wie „How are you, L.A.? klingt) verirren sich Richtung Publikum und zwischendurch darf auch Lucy Rose wieder als Co-Sängerin und Blickfang mit auf die Bühne und nebenbei Gitarrist Jamie MacColl auf den Schultern sitzen.

Gitarren, die hüpfen wie bunte Bälle: Jamie MacColl

Gegen Ende wiederholt Steadman mehrfach, dass sich die Band später in der Havanna Bar aufhalten werde, und Bassist Ed Nash erkundigt sich schon mal vorläufig, wie die girls sein hair finden: Man hat also noch etwas vor an diesem Abend. Nun, die Havanna Bar wird voll werden, keine Frage, aber der Fahrradclub hat sich ein bisschen gute Gesellschaft nach diesem rundum fantastischen Konzert auch verdient – und all die anderen Lorbeeren natürlich auch (unter anderem den NME-Award 2009 als beste Newcomer, vor hochkarätiger Konkurrenz wie The XX und Mumford & Sons oder das „mit Leichtigkeit die beste englische Newcomer-Band seit vielen Jahren“-Etikett der Feuilleton-Dandys von der FAZ).

Ich wundere mich, während der große Pulk zu den Ausgängen strömt, indes darüber, dass all die Teeniemädels, die so zahlreich erschienen sind (sieht man mal vom Freitagabend ab), einen derart guten Geschmack bei ihrer Konzertwahl an den Tag legen, bis ich ein beiläufiges „Also ich kannte eigentlich nur das Lied vom Twilight-Soundtrack…“ vernehme. Und grinse, selbstverständlich. Wenn sich der gute Geschmack im Werwolfspelz getarnt klammheimlich einschleicht, sind wir auf einem guten Weg, oder etwa nicht?

Manuel Weißhaar

2 Gedanken zu „Tanz der Moleküle

  1. C’mon… es steht sogar direkt davor, aus welcher Situation der der „Witz“ entstanden ist und dahinter, was davon zu halten ist, really…

  2. „Fahrradclub“ … und „DER“ Bombay Bicycle Club? C’mon … really? Meine Güte. Der Wortwitz des Jahrhunderts … nicht.

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