So richtig kalt will es die Tage ja einfach nicht werden und verdammt schön ist das Wetter auch schon seit Wochen. Das ist doch Mist. Wie soll sie denn da kommen, die alljährlich penibel gepflegte Winterdepression? Jene seufzende Melancholie, die einen überfällt angesichts der früh einbrechenden Dunkelheit und dem Schneematsch und den kahlen, entsetzlich nackten Bäumen; der Trübsinn, den man unweigerlich blasen muss angesichts all der elenden Nebelsuppentage, die nur noch schlimmer werden, wenn das fahle Kunstlicht der Weihnachtsdekoration schließlich den Weg durchs schier ewige Dunkel weist? Da sind sämtliche Vorbereitungen getroffen; die Garderobe in gedämpften Braun- und Grautönen gehalten, der IPod von allem sommerlich-sentimentalen befreit und mit düsteren Wave- und Grummelgitarrenklängen gefüllt und der Fink-Konzerttermin dick im Kalender angestrichen – und jetzt das. Noch nicht einmal die vorweihnachtliche Lichterapokalypse trübt die Stimmung. Aber gut, wir sind ja schließlich alle Profis, wie ein guter Freund zu sagen pflegte und deshalb heißt es nun wohl auf ins K4, um umarmenden Zeilen wie It’s getting dark and it’s getting cold and the nights are getting long, I don’t know if you even noticed at all, that I’m long gone baby, I’m long gone, zu lauschen.
Es gilt allerdings noch, ein paar weitere einleitende Worte zu Fink Greenall zu verlieren: Der war nämlich keinesfalls immer der düstere Nick Drake-Adept, der er seit einigen Jahren ist und gehört noch gar nicht so lange zur ersten Garnitur der sauertöpfischen singer/songwritenden Bärte um William Fitzsimmons oder Scott Matthew – stattdessen verdingte er sich seine Brötchen als DJ mit trip-hoppiger Elektronik und Ambientsoundflächen, und schrieb und produzierte gelegentlich Songs für andere, John Legend beispielsweise oder das jüngste „Club 27“-Mitglied Amy Winehouse. Erst 2006 probiert sich Greenall als Singer/Songwriter und veröffentlicht seither regelmäßig Alben mit zurückhaltenden, fragilen, von akustischem Gitarrenpicking getragenen Songs, zuletzt sein fünftes, „Perfect Darkness“, im Juni 2011.
Der Titel wirkt natürlich, als hätte Fink seine ohnehin nicht sonderlich fröhlichen Folkminiaturen noch einmal mit einem großen Löffel extra Düsternis garniert, mehr Scott Walker, mehr Nick Cave und mehr vom And then I see a darkness – Johnny Cash der späteren Jahre, aber so existenzialistisch finster geht es in dieser perfekten Dunkelheit von Fink eigentlich gar nicht zu; vielmehr erinnert sie an jenen Dunkelheitsfetisch von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller, den siebenhirnigen Genius aus Moer’s Käpt’n Blaubär, der ebenfalls die Schönheit perfekter Schwärze als höchstes Gut preist. Das wird an diesem Abend im vollen K4 auch schnell deutlich, denn dieser Fink Greenall ist kein großer Leider, sondern vielmehr wie all die verträumt-seufzenden Melancholiker unter uns; einer, dessen Schwermut stilisiert ist wie ein teures expressionistisches Wandgemälde, das düster dräuend in mondänen Wohnzimmern prangt. Und ein großer Tröster selbstverständlich, für all die schweren, bleischweren schwarzen Herzen, die dieses Bild täglich betrachten.
Der Opener „Biscuits“ und das darauffolgende „Perfect Darkness“ sind da schon mal gelungene songgewordene Umarmungen, leise und sacht wiegen sie dahin, eine sanfte Gitarre, ein lockerer Schlagzeugbeat und dazu Finks sonore, leicht kratzige Stimme. Perfect memories fall down like ashes, from the fire we made alone. Es fällt nicht schwer, auf die entspannten Schwingungen zu reagieren und sie bei geschlossenen Augen auf sich einwirken zu lassen und es könnte ewig so weitergehen, aber halt. So einfach geht das dann doch nicht mit diesem schlafnahen Trancezustand, Fink und seine beiden Begleiter Guy Whittaker (Bass) und Tim Thornton (Drums) wenden schon beim folgenden „Fear Is Like Fire“ eine gelungene Laut/Leise-Taktik an und stören den gediegenen Wohnklang mit lärmenden Noisepassagen. Besonders hübsch ist das im Kontrast zu den Bildern, die während der Songs auf den drei bannerartigen Leinwänden neben der Bühne flimmern und meistens eher etwas abgeschmackte Klischees liefern, wie hier ein behaglich prasselndes Feuer, das zwar inhaltlich passt, ansonsten aber eher nicht mit Finks lärmender, leicht angecrunchter Akustikgitarre und dem drängelden Bassspiel übereinstimmen will.
Überhaupt, der Bass. Er entpuppt sich bei vielen Stücken als treibende Kraft, beim narkotisierenden „Blueberry Pancakes“ etwa, dessen Titel zwar schwer nach dem milden Geplätscher des hawaiianischen Surfer-Dudes Jack Johnson klingt, mit seinem eindringlichen Refrain aber schnell zu einem der besten Songs des Abends avanciert. Das ohnehin euphorische Publikum spendet gerade solchen noise-lastigen Stücken besonderen Applaus und Fink und seine Mitstreiter bemerken das auch recht zügig, weshalb sie die ein oder andere Instrumentalpassage hübsch auswalzen und mit einigen Störgeräuschen versehen. Bei diesen Ausflügen entpuppt sich die reduzierte Besetzung der Band allerdings als hinderlich, es fehlt an der nötigen Wucht, die eine ordentliche Noise-Attacke braucht um das Trommelfell fachgerecht durchzukneten und sämtliche Hirnwindungen mit dem Tempo eines Hochgeschwindigkeitszuges zu durchrattern und den ganzen Laden damit in Flammen zu setzen. Der Vorwurf muss aber letztendlich ins Leere zielen, man hat von Fink ja schließlich nicht erwartet, das Andenken an My Bloody Valentine hochzuhalten.
Stattdessen sind da ja all die anderen ruhigen, spärlich arrangierten und düster brütenden Songs mit ihren langen Intros, die irgendwann durch Finks halbvernuschelten Gesang ergänzt werden, den er nie sonderlich variiert, sondern sachte von einem Stück ins Nächste transportiert: „Yesterday Was Hard On All Of Us“ ist darunter, „Honestly“ ebenso, allgemein viele Stücke des neuen Albums, auch „Wheels“, das gediegen vor sich hin bluest, während die Leinwände, genau, was sonst, eine Straße entlangfahren. Es sind keine emotional überwältigenden, keine aufwühlenden Songs die Fink da spielt und auch keine, deren Melodien sich widerspenstig im Gedächtnis verhaken, nein, sie vermitteln vielmehr eine kontemplative Ruhe, eine kultivierte Melancholie die ihre Zuhörer wärmt, während die kalte Wintertristesse sich anschickt, unter jeder Tür, durch jede Ritze hindurch zu kriechen. Es wirkt, als würde er mit jedem Song einen neuen Scheit in dieses sanft prasselnde Feuer werfen, aber bei kaum einem von ihnen schlagen die Flammen aus, sprühen Funken, es bleibt bei einer angenehmen Grundwärme, die bis zur letzten Zugabe vor sich hin knistert.
„Das ist so schön“, sagt die Dame neben mir gegen Ende hin zu ihrem Freund und ja, das ist in der Tat ein irgendwie entwaffnendes Argument. Sie wird nicht die einzige Person im Publikum sein, die diesen Gedanken teilt, immerhin will es den sichtlich erfreuten Künstler kaum gehen lassen.
So bleibt am Schluss, während der Saal sich leert, eine einfache Erkenntnis: Die Winterdepression muss eine Konstruktion sein, die weder Schnee noch Kälte noch Dunkelheit braucht, sondern lediglich solch wohlig-traurige Songmassagen, die die Verspannungen lösen, von denen man eigentlich gar nicht weiß, woher sie kommen. Draußen ist’s indes nun doch ziemlich kühl geworden, aber das musste ja so kommen. Egal, solange es Leute gibt, die für uns ein Feuerchen schüren. Scott Matthews spielt übrigens am 6.12. im K4. Und habe ich da letztens nicht wieder ein William Fitzsimmons-Plakat entdeckt?
Manuel Weißhaar