Arachnoide Animositäten

Eine grauenvolle Invasion bedroht die Menschen. Eine Schreckensvision wird Wirklichkeit. Mörderspinnen! Sie haben sich zu mörderischen Haufen zusammengerottet, töten und zerstören alles, was ihnen in den Weg kommt. Woher kommen sie und was wollen sie?“

Off-Stimme im Trailer von „Mörderspinnen“ (1977)

Grammostola iheringi: Friedlich, aktiv, verfressen (Foto: Florian Brand)

Schenkt man dem Schrein des Wissens, Wikipedia, Glauben, so gibt es für die bisweilen absonderliche Angst oder den zumindest latent vorhandenen Ekel des Menschen vor Spinnen verschiedenste Gründe: die schnelle und unvorhersehbare Art der Fortbewegung wird da genannt, auch eine genetische Fixierung nach Jahrhunderten unangenehmer Todesfälle durch Spinnen und deren schicke Kameraden, den Skorpionen, nicht ausgeschlossen – oder, in der küchenpsychologischen Fassung: Je weiter ein Tier oder Gegenstand vom menschlichen Erscheinungsbild abweicht, desto stärker und weiter verbreitet ist die Angst. Ich selbst habe für meine Abneigung gegenüber diversem krabbelndem Spinnengetier folgende Erklärung: Sie wirken allgemein abstoßend, bewegen sich auf unverschämt widerliche Art und Weise und sind noch dazu erstaunlich hässlich. Sollten diverse Exemplare hin- und wieder den Weg in meine Gemächer finden, fahre ich eine absolute Null-Toleranz-Politik und befördere sie mit bewährter BierglasstülpundBierdeckeldrauf-Technik wieder hinaus an die frische Luft.

Nun bleibt die Ungewissheit, ob die Tiere den Sturz überleben, aber immerhin erscheint die Methode humaner, als sie kaltherzig mit dem Staubsauger zu entsorgen (aus welchem sie, entgegen mancher Schauergeschichten nicht wieder hinauskommen und sich auch nicht vermehren, sondern eher eines unschönen Todes sterben). Wie dem auch sei, mein Gewissen drückt mich und gegen den Einfluss von tendenziösen Hollywoodfilmen auf meinen Verstand (hier: Tarantula, Mörderspinnen, Arachnophobia, Spider-Man) muss generell was unternommen werden.

Brachypelma vagans, in eleganter Pose (Foto: Florian Brand)

Wie schön also, dass mir die Tage ein sehr grünes Plakat in die Augen gestochen ist, welches in jahrmarktschreiender Manier (Spektakulär!) die „Welt der Spinnen“ ankündigt (inklusive des als sensationell bezeichneten Palmendiebs, einer imposanten, Kokosnüsse schnabulierenden Riesenkrabbe) – und ein solcher Termin bietet sich natürlich an, um alte Vorurteile los zu werden oder zumindest gegen neue einzutauschen.

Meine Wenigkeit und der erfahrene reflex-Fotograf F. Flächenbrannt tingeln folglich an diesem herrlichen Sonntagmorgen nüchtern und allenfalls semi-verkatert in die Heinrich-Lades-Halle, um es mit den auf dem Plakat großspurig angekündigten Untieren aufzunehmen. Wir sind etwas nervös, weil das gemeinsame Rezipieren von „Jurassic Park“ vergangene Woche die Frage, ob es möglich ist wilde Tiere in Käfige zu sperren, ohne dass es am Ende ein großes Geschrei, bzw. eine große Sauerei gibt, auf nicht gerade erbauliche Weise beantwortet hat. Verfluchte Filme, mit ihnen ist es ja wie mit allen Genussmitteln; konsumiert man zu viel davon, droht man den Verstand zu verlieren. Aber wir lassen uns die Nervosität nicht anmerken und setzen für die Dame an der Kasse professionelle Mienen auf, die sie uns ohne weiteres abzukaufen scheint.

Das Eintauchen in die (Schein-)Welt der achtbeinigen Monster wird uns und den anderen Besuchern auf jede erdenkliche Art erleichtert: Große Plastikpflanzen sorgen zusammen mit dezent aus Lautsprechern dröhnendem tropischem Zirpen, Rascheln und Vogelgezwitscher für eine zumindest angedeutete dschungelhafte Atmosphäre, während vom Merchandise-Stand der Duft von Popcorn herüberwabert und blinkendes Gummispinnengetier darauf wartet, von fetten Kindern um den Hals getragen zu werden: Es wurden also, um den großen Jurassic-Park-Besitzer John Hammond zu zitieren, keine Kosten gescheut, um die Illusion aufrecht zu erhalten.

Brachypelma albiceps: Herumlungern in herbstlichem Ambiente (Foto: Florian Brand)

Der Rundgang konfrontiert uns zuerst mit der lieblich benannten Acanthoscurria geniculata, einem angemessen abstoßenden Exemplar mit orange-braunem Pelz, welches uns vom gelben Informationsschild als selbstbewusste Bombardierspinne, „sehr robust und verfressen“, dargestellt wird. Entgegen so mancher Vorurteile attackieren viele Vogelspinnenarten ihre Feinde nämlich nicht mit ihren geifernden Kiefern (sowie das mutierte Filmexemplare tun, deren Körperumfang auf zehn Meter angeschwollen ist) sondern recken dem Angreifer ihr Abdomen (ihren Hintern) entgegen und feuern bei Bedarf eine ganze Ladung Haare ab, was einen unangenehmen Juckreiz für den Kontrahenten und eine temporäre Glatze am Hintern der Spinne zur Folge hat. Das Gesäß der lauernd verharrenden Acanthoscurria ist allerdings ausreichend behaart um schlussfolgern zu können, dass das Biest beruhigenderweise keinen Grund sieht, sich von seinem Pelz zu trennen.

Die unmittelbar im Nachbargehege platzierte Nhandu vulpinus Schmidt scheint es dagegen vorzuziehen, ihren massigen Leib im Schatten des Plastikgesträuchs zu verbergen, welches ihre Behausung schmückt – was aufgrund ihrer Größe mehr schlecht als recht gelingt. Dieser Umstand erlaubt es mir allerdings, zumindest einen Blick auf ihr „sehr attraktives äußeres Erscheinungsbild“ (die Dame ist ein Gingerhead, also rothaarig), zu werfen, ein Verdikt, dass sicherlich sehr im Auge des Betrachters liegt. Den Trick der Nhandu, die glotzende Zuschauerschaft mit Nichtachtung zu strafen und sich wie die Opfer der Hexe von Blair mit dem Gesicht voraus in die Ecke zu zwängen, wenden übrigens auch einige Kolleginnen an, unter ihnen solch illustre Namen wie die brasilianische Lasiodora Klugi oder die chilenische Grammostola Porteri. Zu diesem Zeitpunkt scheint es keine Anzeichen seitens des Personals zu geben, weiße Ziegen zu opfern, um die bräsigen Tiere aus der Reserve zu locken, was wie Kollege Flächenbranntt zustimmt, eine gute Sache ist. Bloß nicht aufscheuchen, so was kann übel enden, zumal das gelbe Schild die Lasiodora als „aggressive Art, die sofort bombardiert“ ausweist.

Hadogenes Paucides, der Hipster unter den Skorpionen (Foto: Florian Brand)

Ein großes Aufkommen von Leuten, die ebenfalls ihre Gesichter an die Scheiben der Behausungen pressen wollen, zwingt uns indes zur Eile. Ich sehe mich sogar dazu genötigt, das Beobachten des Schnabulier-Prozesses der Madagaskar-Fauchschabe einzustellen, den ich zuvor leicht hypnotisiert verfolgt hatte, weil immer mehr Kinder ihre Eltern jetzt vor die hölzernen Schaukästen zerren, um das abstoßende Spektakel zu beobachten. Mir kommt der gute Dr. Malcolm in den Sinn, der solches Gebaren einst mit: „Uuuh, aaah, ja das sagt jeder am Anfang. Aber dann, dann rennen alle um ihr Leben und schreien Zeter und Mordio” quittierte. Aber wir wollen jetzt nicht paranoid werden. Stattdessen nutzen Kollege Flächenbrannt und ich die Gelegenheit, um uns an den unter Schwarzlicht psychedelisch leuchtenden Hadogenes Paucides heranzupirschen, einen harmlosen Skorpion, der Konform zu seinem hippiesken Äußeren als einer der wenigen seiner Gattung einen entspannten Eindruck macht – die anderen wirken mitunter eher so, als hätten sie sich mit dem eigenen Stachel soeben selbst die Lichter ausgepustet.

Wir beschleunigen unsere Besichtigungstour fortan rapide und lassen einiges hochkarätiges Spinnenmaterial links liegen, um uns endlich ihm anzunähern: Dem Palmendieb, der sensationellen Coconut Crab, nach der Flächenbrannt mit seiner Faszination fürs Monströse schon seit geraumer Zeit geifert, denn immerhin handelt es sich hier um den Tyrannosaurus der „Welt der Spinnen“. Halleluja aber auch! Gut, zugegeben, eigentlich ist unser Kokosnussfreund gar keine Spinne, sondern eher ein Krebs, aber wir wollen jetzt mal nicht pingelig werden. Ein bedrohliches Poltern der Glaswände hat eben bereits seine Anwesenheit verkündet, aber wo ist die Kreatur? Am Ende des Rundgangs erwartet uns lediglich die Souvenirdame mit den blinkenden Gummispinnen und dem „Fünf Euro für ein Foto“-Angebot mit den Biestern (das ich nicht annehme, also bei allem was recht ist).

!!! Sensation !!!, sicher, aber wo ist der Palmendieb?

Aber keine Spur von unserem Kokosnüsse goutierenden Kameraden. Er wird doch nicht etwa… Nein, unmöglich… und marodierend durch die Innenstadt…man darf gar nicht daran denk…aber nein: Auf meine Nachfrage hin, wo denn der sensationelle Coco-Dudel-Dandy abgeblieben ist, räumt die Souvenirdame mit etwaigen Befürchtungen auf: In Stuttgart ist er! Ich überlege, mich zu erkundigen, ob der Funkkontakt zur dortigen Messe noch intakt ist und möglicherweise Schreie per Funk vernommen wurden, werde jedoch beruhigt, dass der spektakuläre Palmendieb „auf jeden Fall“ heute noch eintreffen werde, wann genau sei allerdings nicht bekannt. Was nun? Während Kollege Flächenbrannt ein abgekartetes Spiel vermutet und die Existenz von Mr. Coconut generell in Frage stellt, widerstrebt es mir doch stark, den ganzen Tag in einem künstlichen Dschungel voller achtbeiniger Untiere zu verweilen.

Was, wenn die Sicherheitszäune ausfallen?

Wir entscheiden, dass es das Risiko nicht wert ist, verlassen die Welt der Spinnen und machen uns auf in sichere heimatliche Gefilde. Mal sehen, was der Sonntag noch bringt. Ein Filmchen wäre gut. „Arac Attack“ vielleicht, oder „Harry Potter 2“.

Und „Vergessene Welt: Jurassic Park“ habe ich ja auch schon ewig nicht mehr gesehen…

 

Spektakulär! Sensationell! Riesige Fauchschabe beim Fressen gefilmt!

 

 Manuel Weißhaar

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