Grüße aus dem Herzland

So here’s my heart, and here’s my soul, take them both: Matty Chip­chase

Ich muss nicht mal erneut nachschlagen, um zu wissen, womit der Thees Uhlmann-Konzertbericht vergangene Woche auf dieser Seite angefangen hat: Irgendwas über Bruce Springsteen stand da, was logisch war. Auch am Anfang dieses Textes steht jetzt wieder irgendwas über Bruce Springsteen, was ebenso logisch ist, weil mit Young Rebel Set nach der deutschen Variante (Thees Uhlmann) die englische Ausgabe des aufrichtigen Baumwollhemd-Working-Class-Heros bereits die Hemdsärmel hochkrempelt und darauf wartet, Leidenschaft auszuschwitzen. Betrachtet man den beachtlichen Erfolg, den die Band aus Stockton on Tees mit dieser Art Ehrerbietung an den alten Helden hat, wäre es sicher einmal angebracht, sich zu fragen, woher denn diese neue Lust auf, sagen wir, „Ehrlichkeit und Authentizität“ so herrührt: Liegt’s an der diffusen Untergangsstimmung im Allgemeinen, die im mittlerweile vierten Jahr der Krise grassiert und ist somit frei mit dem Silbermond’schen Credo Gib mir n‘ kleines bisschen Sicherheit, in einer Welt in der nichts sicher scheint zu erklären oder ist doch nur die bombastische Künstlichkeit von Lady Gaga dran Schuld?

Schaut man sich im sehr gut gefüllten E-Werk um, kommt man zum Schluss, dass es (die nahende Wintermelancholie bereits eingerechnet), von beidem ein bisschen sein muss. Eine alternative Theorie, wieso Young Rebel Set soviel Kundschaft anlocken, speist sich dagegen aus der ganz profanen These, dass die riesige Fangemeinde, die Mumford & Sons generiert haben ja nicht immer nur deren „Sigh No More“ hören kann und auf der Suche nach neuem Futter für die Countryfolkpop-verwöhnten Ohren nun eben auf das nordenglische Septett gestoßen ist. Falls sich dieser Ansatz als richtig erweist, dürfte es viele Menschen an diesem Abend gefreut haben, mit Torpus & The Art Directors eine Vorband begutachten zu können, die versucht exakt wie Mr. Marcus Mumford und seine Söhne zu klingen, dabei mit ihren obligatorischen Heuschoberstampfrhytmen und den Baumwollhemden allerdings fast wie die Karikatur einer handelsüblichen Indiefolk-Band wirkt.

Young Rebel Set machen das natürlich etwas geschickter – zwar ist ihr „Measure Of A Man“ ebenfalls eine schlichte Kopie des Mumford-Sounds und als solche im Repertoire der Band auch nicht zwingend alleinstehend, aber zumeist schaffen sie es, Songs zu schreiben, die derart frappant nach den großen Vorbildern Dylan, Springsteen und Cash klingen, dass es völlig sinnlos erscheint, darüber zu sinnieren, bei wem sich die Band nun diese oder jene Passage „geborgt“ hat. Schon der erste Song des Abends, das krachende „Lions Mouth“, erinnert fatal an die anderen Springsteen-Adjütanten, The Gaslight Anthem, während es nebenher „The Night, They Drove Old Dixie Down“ im Gitarrenintro verwurstet. Und während man grübelt und grübelt, was einem an diesem Song noch so seltsam vertraut vorkommt, läuft man Gefahr zu verpassen, wie perfekt gelungen er für sich genommen eigentlich ist. Es bietet sich also an, über die Selbstbedienungsmentalität, mit der sich Young Rebel Set am Werk alter Helden gütlich tun, nicht allzu vertieft nachzudenken und zu ignorieren, dass man das alles schon mal irgendwann, irgendwie, irgendwo anders gehört hat.

Denn darauf kommt es hier nicht an. Wahrhaftigkeit ist das Stichwort: Ehrlich und aufrichtig soll diese Musik klingen, so eben, wie es von ein paar Saufbrüdern erwartet wird, die zu später Stunde und mit einigen Pints intus in ihrem Lieblingspub beschließen, eine Band zu gründen; und zwar eine, die sich endlich mal nicht in die große BeatlesKinksWhoSmithsStoneRosesOasisLibertines – Erblinie britischer Popmusik einreihen möchte, sondern zwecks Inspiration über den großen Teich mitten ins amerikanische Heartland schielt. Dass dieses Unterfangen funktionieren kann, haben Mumford & Sons hinreichend bewiesen – und wenn Sänger und Gitarrist Matty Chipchase beseelt So here’s my heart, and here’s my soul, take them both, singt, dann muss man ihm das auch unbedingt abnehmen und zulassen, das Young Rebel Set auch unser Herz möchten, es packen wollen, um es zum Zerspringen zu bringen.

Die Gläser von Young Rebel Set bleiben an diesem Abend garantiert nicht leer, meint die Band.

All das melancholisch-sentimentale Pathos der Underdogs, der Geprügelten und der Verlierer legt die Band in ihre Songs, seelige Working-Class-Romantik, natürlich mit originalem nordenglischem Akzent vorgetragen, um dieses Vorhaben durchzusetzen. Auf der Insel, wo Young Rebel Set sogar die Ehre zu teil wurde, ein eigenes Genre (Graft Rock, was man in etwa mit „Schufterei-Rock“ übersetzen kann) zu begründen, kommt diese hemdsärmelige Leidenschaft gut an. Das liegt auch daran, dass die Band bei aller Affinität zu den großen amerikanischen Heldenfiguren nie nur genuin amerikanisch klingt, sondern bei ihren Melodiebögen stets Anleihen bei traditionellem irischem Liedgut nimmt. Das herrlich eingängige „Won’t Get Up Again“ zeigt das in seiner ganzen „Auld Lang Syne“-Haftigkeit vortrefflich.

Umso erstaunlicher ist es, dass die Band an diesem Abend, trotz eines überaus begeisterungsfähigen Publikums müde, mitunter fast lustlos wirkt – Matty Chipchase, mit seiner (natürlich) rauen, kratzigen Stimme, dem Hut und dem Bart emotionales Zentrum von Young Rebel Set, singt seine Stücke wie auf Autopilot und macht auch keinen Hehl daraus, dass er und seine Band kaum erwarten können, sich ordentlich zu besaufen, wenn die unvermeidliche letzte Zugabe gespielt ist. Die Dringlichkeit, nach der diese Art von Musik so dürstet, die sie braucht, um vor allem im live zu wirken, fehlt an diesem Abend und das tut den Songs der Band nicht unbedingt gut. Wenn man vom Geschehen nicht mitgerissen wird, droht die Gefahr, doch wieder all die Dinge zu beachten, die man eigentlich mit Nichtachtung strafen wollte. Dass die sicherlich wunderbare Orgel in „Fall Hard“ in erster Linie eben doch ein dreistes „Like A Rolling Stone“-Plagiat ist, zum Beispiel. Oder dass Chipchases kehliges Röhren in manchen Songs den ironischen The BossHoss-Parodien gefährlich nahe kommt. Und wenn ein von der Band als neu angekündigter Song dann die Melodielinie von Dylans „When The Ship Comes In“ 1:1 übernimmt und sie lediglich mit lauteren Gitarren unterfüttert, ist das schon kein Zitieren mehr, wie es fast jede zeitgenössische Band betreibt, sondern bloßes Kopieren, und so etwas braucht es eigentlich nicht.

Nichtsdestotrotz findet sich auch an diesem Abend noch der ein oder andere semi-magische Moment: Beim letzten Song des regulären Sets, dem wirklich großartigen „If I Was“, singt das Publikum begeistert herzallerliebste Zeilen wie And if I was a soldier I would march to war for you, I’d face every bullet and cannonball that flew mit und dann ist sie für einen Moment scheinbar doch da, die Leidenschaft, die Aufrichtigkeit, die Wahrhaftigkeit, die eine Band wie Young Rebel Set zwingend braucht, um zu funktionieren. Die Zufriedenheit darüber hält dann auch so lange vor, um den Fehler der Band, einen stampfenden Johnny Cash-Rhythmus in der Zugabe zu verwenden, halbwegs ignorieren zu können; denn merke: Wer die Cash-Dampflok in seinen Songs benutzt und nicht Johnny Cash ist, läuft ganz eklatant Gefahr, sich lächerlich zu machen.

Aber das soll’s jetzt auch gewesen sein mit der Meckerei: Lassen wir Young Rebel Set und mit ihnen all die anderen Springsteen-Verehrer da draußen also weiter „Born To Run“ auf der „Thunder Road“ sein, „Hungry Hearts“ haben und die „Darkness On The Edge Of Town“ oder „This Hard Land“ besingen. Ich gelobe indes, „The Boss“ Bruce Springsteen erst einmal nicht mehr zu erwähnen – zumindest solange, bis die nächsten Adepten in der „Lucky Town“ Erlangen auftauchen.

Manuel Weißhaar

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