Spiralenland

Ein Summen oder Dröhnen als Grundton, irgendwo klapperte es wie aus Suppenküchen und mir war
klar, dass das ein anderer Ort war, einer den ich wohl für ein paar Stunden von einem Minutenschlaf am
frühen Morgen erkauft hatte, ein akzeptabler Preis, im Großen und Ganzen. Ich merkte es, obwohl keine


Uhrzeiger rotierten, Digitalanzeigen verschwammen oder Kreisel sich den Schwindeltod in der
Ewigkeit holten, und trotzdem, diese Straßenlichter waren zu grün? zu hell? und waberte nicht alles
seltsam, überhaupt summte es überall beständig; ich wusste es nicht sicher, aber ich glaubte, nun fliegen
zu können, es war ja jetzt alles möglich.

Ich flog also ein bisschen, über Hochhäuser mit
fluoreszierenden Dächern und Flüsse aus Lava in den Farben neongrüner Textmarker, und blieb seltsam ideenlos, jetzt, wo ich alles tun konnte, aber bislang nur planlos herumflog wie Löwenzahn im Wind.
Ich ließ mich auf einem mit roten Lampions beleuchteten Industrieschornstein nieder und überlegte; der
schwarze Qualm des Schlots hüllte mich ein und schmeckte nach Minze und Grundreiniger, wie ihn
Putzfirmen verwendeten, um die Verzagtheit von Linoleumböden zu ätzen. Dort drüben, durch die
schwarzen Schlieren, erblickte ich ein Mondland mit silbernen Wiesen und einen Spielplatz, auf dem
Drehkarussells und Rutschen waren, und eine einzelne Esche ihre Zweige spreizte. Natürlich flog ich
dahin, es war ja keine Frage.
Ich sah dann Floyd durch die Straßen tändeln, während ich wieder flog,
schnitt eine scharfe Kurve, weg von dem Mondpark und segelte direkt über ihm, rief etwas herunter, so
in etwa, hey Floyd, was treibst du hier, ich habe dich nicht wirklich erwartet, und wie siehst du
überhaupt aus? Er trug einen abgerissenen Parka und keine Schuhe, in der Hand eine Pistole, die aussah,
als ob sie nur Wasser verschießen konnte (weil: gelb, mit einem orangenen Pfropfen an der
Kugelkammer) und er machte psssst, ich kann jetzt nicht reden; dann ging er hinter ein paar Mülltonnen
in Deckung und hüpfte davon wie eine Katze, der Übles schwant – und mir wurde klar, dass seine
Interzone eine andere war. Ich ging also die restlichen Meter zum Mondpark durch die von den Tropfen
irgendeines Regens feucht glänzenden Straßen; Straßenlaternen flackerten und in den Häusern sah ich
Licht und hörte Flipperautomaten, es kümmerte mich nicht wirklich, warum auch.

Im Mondpark zwitscherten ein paar Nachtvögel einen elektronischen Bluessong, während ich mich
einem der Karussells näherte und mich darauf niederließ, ich musste es nicht anschieben, es drehte sich
von allein, weil ich wusste, dass es das tun würde. Da bemerkte ich erst den Typen, der dort an der
Esche lehnte, rauchte und die Hand langsam zum Gruß hob. Sirrende Spiralen ummantelten ihn, sie
wechselten permanent die Farbe und in ihrem Licht fiel mir auf, dass die Esche aus Plastik modelliert
zu sein schien – ich wollte den Kerl eben fragen, ob ihm das klar war, aber da er sich verdoppelt hatte,
der andere auf dem Plastikbaum saß, ohne Spiralen, nur mit einem Prisma in der Hand, wusste ich nicht,
ob eine Antwort überhaupt Konsequenzen hätte.

Kunstlicht, von oben, dass dem tintigen Nachthimmel Raum abtrotzte, bündelte sich in seinem Prisma, myriadisierte in alle Richtungen, was doch ganz und gar seltsam war; und deshalb sagte jetzt der Typ, nicht der, der auf dem Ast saß und nicht der, der an dem Baum lehnte, sondern einer der aberwitzig vielen, die das Prisma in das blaue Tintenland der Nacht zeichnete: Ja, du träumst, du siehst wer ich bin – er deutete auf seine Blueprints, die nicht alle so gleich waren, wie es den Anschein hatte – und ein anderer, der in der Luft klebte wie gefrorener Rauch, fügte hinzu, ja es ist klar, dass das, was du für dein Ich hältst, lediglich eines, deines, nicht meines ist, und auch nicht das deiner Mutter, deines Mädchens oder das des Hobos, in dessen Hut du hin und wieder Perlen wirfst. Sie alle archivieren dich als anderen, und das ist keine Frage des Charakters, keine Frage von Eigenschaften, überhaupt nichts, was deiner Steuerung obliegt, es sei denn, du bist Gott. Deine Variation deines Ichs ist nur eine, die parallel zum Modell all derer existiert, die du jemals getroffen hast, die jemals die Umrisse deines Schattens im Licht erkennen konnten. Wer ich bin? Nur einer deiner Statisten. Jetzt wach auf, aber erwarte nicht, der Gleiche zu sein. Hier bist du jede Nacht ein anderer. Und dann verschwand er oder sie und ich winkte noch, jetzt wo ich wusste, dass ich sie nie wieder sehen würde, und meine Gedanken waren konfus und unkontrolliert, als ich auf einen Wecker blickte, dessen digitale Anzeige sicher nicht verschwommen war.

 

Aldo Hansen

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