“ Eine äußerst pedantische Aufzeichnung von Morelli: „Versuchen, den >roman comique< zu schreiben, und zwar dergestalt, dass ein Text andere Werte anklingen lässt und so zu einer Anthropophanie beiträgt, die wir noch immer für möglich halten. Es scheint, dass der traditionelle Roman die Suche dadurch zunichte macht, dass er den Leser auf sein Milieu beschränkt, das um so genauer definiert wird, je besser der Romanschreiber ist. Erzwungenes Stehenbleiben auf den verschiedenen Stufen des Dramatischen, Psychologischen, Tragischen, Satirischen oder Politischen.
Stattdessen versuchen, einen Text zu schreiben, der den Leser nicht fesselt, ihn aber zwangsläufig dadurch zum Komplizen macht, dass man ihm unterm Deckmantel einer konventionellen Handlungsführung andere, mehr esoterische Richtungen suggeriert. Eine demotische Art des Schreibens für das Leser-Weibchen (das im übrigen nicht über die ersten Seiten hinauskommen wird, gänzlich verloren und schockiert, den Preis verfluchend, den es für das Buch bezahlt hat), mit einer vagen Kehrseite in hieratischer Schrift.
Provozieren, sich einen Text zur Aufgabe machen, der schlampig gemacht ist, unverbunden, inkongruent, der bis ins letzte gegen die Kunst des Romans (obgleich nicht gegen den Roman) verstößt. Ohne auf die großen Wirkungen der Gattung zu verzichten, wenn die Situation es erfordert, aber den Rat von Gide beachten – ne jamais profiter des l’élan acquis. Wie alle erwählten Geschöpfe des Abendlandes, begnügt sich der Roman mit einer geschlossenen Ordnung. In entschlossener Opposition auch hier die Öffnung suchen und zu diesem Zweck jegliche systematische Konstruktion von Charakteren und Situationen mit der Wurzel ausrotten. Methode: Ironie, unablässige Selbstkritik, Inkongruenz, Phantasie in niemandes Diensten.
Ein solcher Versuch geht von einer Ablehnung der Literatur aus; einer partiellen Ablehnung, da sie sich ja auf das Wort stützt, die aber jeden Schritt des Autors und des Lesers, überwachen muss. Folglich den Roman benutzen, wie man unter Veränderung des Zeichens, einen Revolver benutzt, um den Frieden zu verteidigen. Aus der Literatur das nehmen, was lebendige Brücke von Mensch zu Mensch ist und was der Traktat oder Essay nur unter Spezialisten möglich macht. Eine erzählende Literatur, die nicht Vorwand ist für die Übermittlung einer >Botschaft< (es gibt keine Botschaft, es gibt Botschafter und die sind die Botschaft, so wie der Liebende die Liebe ist); eine erzählende Literatur, die wie ein Verdichter gelebter Erfahrungen, wie ein Katalysator konfuser und missverstandener Vorstellungen wirkt, und die in erster Linie auf den Schreibenden selbst, weshalb man sie als Antiroman schreiben muss, weil jede geschlossene Ordnung systematisch diese Ankündigung draußen lassen würde, die uns wieder zu Botschaftern machen und uns den eigenen Grenzen nähern können, von denen wir so weit entfernt sind, wenn wir mit der Nase darauf stoßen.
Seltsame Selbsterschaffung des Autors durch sein Werk. Wenn wir aus dem Magma, aus dem ein Tag besteht, aus dem Eintauchen in die Existenz, Werte potenzieren wollen, die endlich die Anthropophanie ankündigen, was sollen wir dann noch anfangen mit dem reinen Verstand, mit der hochmütigen räsonierenden Vernunft? Von den Eleaten bis heute hat das dialektische Denken Zeit genug gehabt, uns seine Früchte zu spenden. Wir essen sie, sie schmecken köstlich, sie kochen vor Radioaktivität. Und warum, oh meine Brüder von Neunzehnhundertfünfzig und darüber, sind wir so traurig am Ende des Banketts?“
Eine weitere, offensichtlich ergänzende Notiz: „Zur Situation des Lesers. Im allgemeinen erwartet jeder Romanschreiber von seinem Leser, dass er ihn versteht und an seiner, des Romanschreibers, Erfahrung teilhat, oder dass er eine bestimmte Botschaft empfängt und verkörpert. Der romantische Romancier will mittelbar oder durch seine Helden verstanden werden; der klassische Romancier will belehren, eine Spur auf dem Weg der Geschichte hinterlassen.
Dritte Möglichkeit: aus dem Leser einen Komplizen machen, einen Weggenossen. Und einen Zeit-Genossen, da ja die Lektüre die Zeit des Lesers tilgt und in die des Autors überführt. So könnte der Leser Mitbeteiligter und Mitbetroffener der Erfahrung werden, die der Romanautor durchgemacht hat, im gleichen Augenblick und der gleichen Weise. Jeder ästhetische Kniff ist überflüssig, um das zu erreichen: was gilt, ist allein die Materie in ihrem Werden, die Unmittelbarkeit des Erlebens (das zwar vermittelt wird vom Wort, aber einem Wort, das so wenig ästhetisch wie möglich ist; deshalb der >komische< Roman, die anticlimax, die Ironie und sonstige richtungweisende Pfeile, die ins andere Zielen).
Für diesen Leser, mon semblable, mon frère, sollte der komische Roman (und was Ulysses anderes?) wie jede Träume verlaufen, bei denen wir am Rande eines trivialen Geschehens einen Gehalt von größerer Wichtigkeit ahnen, den wir nicht immer ergründen können. In diesem Sinne sollte der komische Roman von einer exemplarischen Zurückhaltung sein; er betrügt den Leser nicht, er setzt ihn nicht auf irgendeinem Gefühl oder einer beliebigen Absicht ab, sonder gibt ihm so etwas wie einen signifikanten Klumpen Ton mit, den Anfang einer Formbildung, in der sich Spuren von etwas finden lassen, das vielleicht kollektiv ist, menschlich, nicht individuelle. Mit anderen Worten, er gibt ihm so etwas wie eine Fassade mit Türen und Fenstern, hinter denen ein Geheimnis zugange ist, das der Leser-Komplize suchen muss (deshalb nämlich die Komplizenschaft) und vielleicht nicht finden wird (deshalb das Mitbetroffensein). Was der Autor eines solchen Romans für sich selbst erreicht hat, wird sich in dem Leser-Komplizen wiederholen (gigantischer vielleicht, was wunderbar wäre). Was das Leser-Weibchen betrifft, so wird es sich mit der Fassade begnügen, und es gibt bekanntlich sehr hübsche, ganz im Stil eines trompe l’œil, vor denen sich weiterhin die Komödien und Tragödien des honnête homme zur allseitigen Zufriedenheit aufführen lassen. Und so ist am Ende jedermann froh und glücklich, und wer protestiert, soll die Krätze kriegen!“ “
aus: Cortázar, Julio: Rayuela, Frankfurt, 1987, S. 455-457
Joshua Groß