Die Freiheitsbewegung in der arabischen Welt – Progression oder Verklärung?

Über Zukunft der Revolte in den arabischen Ländern, die im Frühjahr in Tunesien ihren Anfang nahm, wurde auf dem 31. Erlanger Poetenfest von Nahost-Kennern diskutiert, darunter der iranischstämmige Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani, der irakische Schriftsteller Abbas Khider und die Publizistin Daniela Dahn.

Copyright: Erlanger Poetenfest – Foto: Georg Pöhlein, 2011 Podiumsdiskussion mit Abbas Khider (Foto) und anderen

Copyright: Erlanger Poetenfest – Foto: Georg Pöhlein, 2011 Podiumsdiskussion mit Abbas Khider (Foto) und anderen

„Arabischer Frühling oder die Fröste der Freiheit. Eine Diskussion über die Zukunft in Nahost.“

Die verbindenden Elemente der Aufstände in den einzelnen Ländern, so verschieden ihre Gesellschaften auch sein mögen, sind Kermani zufolge zwei Hauptaspekte: die Träger sind junge Menschen, die aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit von einer tiefen Perspektivlosigkeit geprägt sind und das Loslösen vom Westen sowie vom Islamismus. Die Revoltierenden nehmen ihr eigenes Schicksal in die Hand, sehen sich mehr und mehr als Subjekte einer eigenen, nicht länger fremdbestimmten Geschichte und wenden sich gegen die traditionellen Autoritäten. Kermani sieht in dieser Art des Generationenkonflikts einen „politischen Vatermord.“

Problematisch für die Menschen des Westens oder der Ersten Welt ist die schlechte Informiertheit, die Daniela Dahn, die Syrien und den Jemen bereist hatte, auf die Ambivalenzen auf beiden Seiten zurückführt. Despotien entstünden auf demokratischer Grundlage und damit stelle sich die Frage nach der Legitimation der demokratischen und freien Wahl.

Auf die Frage der Motive der Bewegung betont Kermani die verzerrte Wahrnehmung des Westens. Geschehnisse in der nahöstlichen Welt werden meist religiös interpretiert und auf die Rückständigkeit des Islams zurückgeführt, obwohl die Religion nur eine Komponente, nicht aber einen Impulsfaktor darstelle. Die Freiheitsbewegung ist somit durch und durch säkular motiviert und folgt auch keinen Vergeltungsgedanken. Mubarak wurde einem legitimen Prozess unterstellt ohne jemals in Taliban-Manier gelyncht worden zu sein.

Ebenso wenig sei die alte Idee eines großen arabischen Reiches das auslösende Motiv für die Revolutionen, denn die staatlichen Interessensgegensätze seien immer manifest gewesen, eine arabische Identität konnte sich nicht herausbilden.

Auch die Rolle des Internets wurde angesprochen. Die Diskutierenden waren sich einig, dass das Netz fördernd, aber nicht Bedingung für den Ausbruch war. Die neuen Medien sind noch größtenteils den Menschen der Mittelschicht vorbehalten. Darüber hinaus besitze ein Staat, wie das Beispiel Iran, die Möglichkeit, die Internetnutzung durch Sperrung und Zensurmaßnahmen zu unterbinden und so als lähmende Waffe gegen die Bewegung zu richten. In Ägypten geschah dies zu spät, so dass die Meldungen in Windeseile um die Welt gingen und alle Menschen teilhaben ließen.

Drei Menschen mit verschiedenen Erfahrungen und Kenntnisgraden sind sich in der Gesamtaussage einig: die revolutionären Geschehnisse in den arabischen Ländern sollten nicht verklärt werden, der Weg zur Freiheit ist noch weit und lang, aber die Hoffnung besteht und wird nicht mehr erlöschen.

Die Besucher der Veranstaltung bezeugten das große bestehende Interesse an diesem Thema. Eine halbe Stunde vor Beginn hatte sich eine lange Menschenschlange bis zur Treppe hinunter gebildet, in der Hoffnung, einen Sitzplatz zu bekommen. Diesen fanden viele schließlich am Boden oder gar am Bühnenrand. Manche blieben einfach stehen. Bestimmt nicht zum ersten Mal wurden Rufe nach einer größeren Räumlichkeit laut, die der jährlich wachsenden Besuchermassen angemessen scheint.

Julia Heiserholt

 

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