Iron & Wine in der Katharinenruine, 13.07.2011
Puritanische Indie-Faschisten interessieren sich bekanntlich auf offensive Art und Weise nicht für mainstreamige Institutionen wie die Charts, was wohl für die hiesigen Top 100 ebenso wie für die ungleich populäreren US-Billboard-Charts gilt – das ist womöglich auch gut so, denn sonst würde sie der dortige Siegeszug von Indiefolk-Säulenheiligen wie den Decemberists (#1), Mumford & Sons (#2) oder den Fleet Foxes (#4) wohl in eine schwere Sinnkrise stürzen. Jüngst schaffte es Bon Iver, Typ eigenbrötlerischer, bärtiger Waldschrat, überraschend an die Spitze, und auch Sam Beam alias Iron & Wine, Protagonist dieses Abends und gemeinhin ebenfalls der Kategorie bärtiger Eigenbrötler zugerechnet, kann sich seit diesem Jahr mit einem zweiten Platz schmücken – hierzulande reicht das zwar noch nicht für das ganz große Publikum, aber für gefüllte Reihen vor der majestätischen Kulisse der Katherinenruine allemal.
Wer Sam Beams künstlerischen Werdegang vom Dozenten in Filmwissenschaft über den Do-It-Yourself-Folksänger, der seine spartanisch instrumentierten Platten in kompletter Eigenregie in seinem Wohnzimmer aufnimmt hin zum – ja, sagen wir es ruhig – Popstar, verfolgt hat, den wird an diesem Abend eine weitere neue Rolle im Schaffen des Künstlers, nämlich die des routinierten Bandleaders, überraschen. Wer beim Stand von 2004, Beams Durchbruchjahr mit einem Soundtrackbeitrag zu „Garden State“ und dem Album „Our Endless Numbered Days“ stehengeblieben ist, ergo sanfte Folkklänge, akustische Gitarren, Klavier und Banjo erwartet, dem wird womöglich die Kinnlade herunterklappen – denn was sich auf dem neuen Album „Kiss Each Other Clean“ bereits ankündigte, nämlich ein Aufbrechen traditioneller Folkstrukturen zugunsten mit elektronischen Einsprengseln garnierter Soul, Blues und R’n’B-Elemente, wird im Livekontext noch konsequenter weitergeführt.
Beam und seine Mitstreiter, stattliche acht an der Zahl (darunter zwei Backgroundsängerinnen, die den auf den Platten stets gedoppelten Gesang ersetzen) beginnen überraschend pünktlich mit „Rabbit Will Run“ vom neuen Album, das schon symptomatisch für den neuen Ansatz von Iron & Wine steht: Im Kern immer noch ein Folksong, gewinnt das Stück durch die rhythmische Unterfütterung mit Bongo und dezent groovendem Bass, sowie dem späteren Einsatz einer nervösen Querflöte einen stark souligen Einschlag, der vom Einsatz der Backgroundsängerinnen noch verstärkt wird. Im Folgenden lässt Beam dann erst einmal seine virtuos aufspielende Band von der Leine und man beginnt zu ahnen, was der Künstler gemeint haben könnte, als er gegenüber einem Musikmagazin erwähnte, man könne zur Musik seiner neuen Platte mit dem Hintern wackeln.
Bei den ohnehin facettenreichen Stücken der neuen Platte klappt das wie erwartet ausgezeichnet und so stellt sich alsbald die Frage, ob der breite Bandsound auch mit seinen alten, von der akustischen Gitarre dominierten Songs harmoniert. Die gewählte Lösung für dieses mögliche Problem ist konsequent: Anstatt während des Sets zwischen den folkigen Balladen früherer Tage und dem neuen Groove-Konzept hin- und her zu wechseln und beide somit womöglich gegeneinander auszuspielen, transformiert er kurzerhand das gesamte ältere Material dergestalt, dass es sich homogen ins neue Klangbild einfügt. So bekommt „The Shepard’s Dog“ ein ausschweifendes Jam-Intermezzo verpasst, während dem der Pianist perlende The Doors-Orgelparts beisteuern darf, die Ray Manzarek zur Ehre gereicht hätten und das Saxophon befreit auch mal zum scheppernden Blues-Solo ansetzt, bis am Ende alle wieder elegant in den eigentlichen Song überleiten. Wenn es dem Zwecke dienlich ist, bedient sich Sam Beam auch gerne mal des alten Dylan-Tricks, Gesangsharmonien zu variieren oder leicht zu verändern, was dem auf Platte eher gediegenen „Lovesong Of The Buzzard“ zusammen mit dem Weglassen der jammernden Pedal-Steel-Gitarre und dem dafür intensivierten Percussion-Spiel eine völlig andere Dynamik gibt. Ultimativer Test für diese Herangehensweise ist dabei „Passive Afternoon“, der stark reduzierte, zum Sterben schöne Schlusstrack von „Our Endless Numbered Days“, der zwar ähnlich ruhig daherkommt, aber von einer nervösen Single-Note-Gitarre vorangetrieben wird und durch das Wechselspiel Beams mit seinen Sängerinnen einen fast gospelhaften Charakter bekommt.
Es ist der Band hoch anzurechnen, dass diese Integration der alten Songs formidabel funktioniert, allgemein agieren die erweiterten Iron & Wine sehr entspannt und routiniert, so als würde Sam Beam schon seit Jahren mit dieser Besetzung durch die Lande tingeln und die Live-Versionen seiner Stücke zum Besten geben – eine Abgeklärtheit, die sich auch darin zeigt, das selbst ein neuer Song wie „Walking Far From Home“, immerhin erst vor einigen Monaten erschienen, im Live-Set kurzerhand dramaturgisch umpflügt wird: Einem souligen, klavierlastigen Beginn folgt ein vom brummenden Synthesizer unterlegtes Ende und damit die glatte Umkehrung des regulären Ablaufs. Nichtsdestotrotz, oder vielleicht gerade deshalb eine der besten Nummern des Abends.
Eine mitreißende Mischung aus gut abgehangenem souligem Pop mit entfernter Folk-Grundierung und einigen Funk- und Blues-Einschüben könnte man das Ganze also wohl nennen, eingerahmt in einen protzigen, instrumental vielfältigen Bandsound mit dem ein oder anderen ausladenden Solo – der 70er-Jahre-Softrock winkt hier heftigst mit dem Zaunpfahl. Böse Zungen dagegen könnten Beam auch ein gewisses frühzeitiges Vergreisen vorwerfen, da er mit seiner Band eine Souveränität und Routine an den Tag legt, die mitunter nach Altherrenrock und Springsteens E-Street-Band müffelt. Eine Unterstellung, hinter der tatsächlich ein kleines Körnchen Wahrheit steckt. Wenn die Band aber „White Tooth Man“ mit einer grandiosen sägenden Noise-Attacke brachial beendet und mit „House By The Sea“, „Women King“ und „Fever Dream“ kurz vor Schluss noch einmal einen furiosen direkt ineinander übergehenden Dreierpack liefert, zielen solche Vorwürfe zunehmend ins Leere.
Das Publikum dankt nach dem finalen „Tree By The River“ dann auch mit ausgiebigem Jubel und Applaus, woraufhin sich Sam Beam natürlich mehrfach artig bedankt (was im Grunde genommen das Einzige ist, was er an diesem Abend spricht) – davon kommt er damit allerdings noch nicht und wird flugs wieder zur Zugabe zurückbeordert: Spiel’s noch einmal, Sam.
„He Lays In The Reins“ beschließt dann, ganz beschaulich, schlicht mit Banjo, Gitarre und Klavier instrumentiert, auf versöhnliche Art und Weise das Konzert und am Ende wünscht Beam seinen Zuhörern sogar noch einen trockenen Heimweg, nachdem es zwischendurch immer wieder leicht genieselt hatte.
Manch einer wäre sicherlich auch im Regen noch gern eine Weile geblieben.
Manuel Weißhaar
Das Beste war der Saxophon-Querflöten-Alles-Spieler! Super Show in einer tollen Kulisse! Hat großen Spaß gemacht der Abend. Und toller Artikel!