Nostalgie in Erlangen: 4 Männer von Dürer

Wer sich dieser Tage in Erlangen ein wenig erholen will, von der Sonne, vom Regen, vielleicht ein wenig von sich selbst in einem schattigen, kühlen, fast menschenleeren Raum, und dazu mit hoher Kunst, finde am Neustädter Kirchplatz eine von zwei gegenüber liegenden Türen an der Längsseite der Neustädter Kirche. Links und rechts der nördlichen Eingangstür hängen – wie durch ein Wunder – die Vier Apostel, das letzte große Werk von Albrecht Dürer. Zugegeben, es sind Kopien, aber für den alltäglichen Blick halten sie Stand. Die Nürnberger beklagen sich seit Menschengedenken, dass die Hauptwerke Dürers in München in der Alten Pinakothek hängen und nicht wo sie hingehören, in Nürnberg. Um die vier Apostel wird besonders geklagt, denn Meister Albrecht hat sein spätes Meisterwerk dem Rat der Stadt Nürnberg vermacht, nicht ohne missionarische Absicht.

Zur Dürerzeit hatte Christoph Kolumbus Amerika entdeckt, und Martin Luther hierzulande einen neuen Glauben. In Deutschland tobte die Reformation mit den Nebenerscheinungen Bildersturm, Bauernkrieg, Täufer, Schwärmer und andere heute vernachlässigbare Denominationen. Es waren unruhige Zeiten, in denen Mitarbeiter aus Dürers Werkstatt verhaftet worden sind. Als Freund der Reformation wollte er die Verteidiger des wahren Glaubens abgebildet haben zur Ansicht für die Regierenden seiner Heimatstadt und keiner anderen. Damals war Nürnberg eine Weltstadt, was war da schon München – ein kurfürstliches Residenzstädtchen, von Schwabing weit entfernt. Den Appell an die weltliche Herrschaft, den Nürnberger Rat, zu Füßen des abgebildeten Quartetts hat Kurfürst Maximilian absägen lassen, als er das Dyptichon 1627 nach München entführte. 1922 wurde der Text dort wieder angefügt.

Vier Apostel

Albrecht Dürer, Vier Apostel

In Erlangen sind (von links nach rechts) Johannes, Petrus, Markus und Paulus aus nächster Nähe zu sehen, für die damalige Zeit ungefähr lebensgroß und das ohne Ticket nach München. Gemalt hat die Tafeln 1904 Pfarrer Bickel, als der Chorraum der Kirche verkleinert und die Wand links und rechts des Hochaltars eingezogen wurde. Links und rechts im Chorraum sind heute noch Luther und Philipp Melanchthon aus Nürnberg zu sehen, die als Vorbilder für Theologen und Philologen galten, als die Neustädter zur Universitätskirche wurde. Dies und noch viel mehr erzählt der Küster Lutz Weinrebe, den man antreffen kann, wenn er den Kirchenvorplatz kehrt und über die Tauben und deren Fütterer klagt. Wofür die Vier Apostel, keine zwei Meter vom Schaukasten draußen entfernt, berühmt sind, ist nicht nur ihr schriftlich hinterlassenes Werk (ungefähr die Hälfte des Neuen Testaments kann allein Paulus für sich verbuchen), auch ihre verschlagenen, manche ganz und gar unheiligen Blicke.

Die zwei Apostel und zwei Evangelisten (Johannes und Markus) bilden die damals bekannte Typologie der menschlichen Temperamente ab. Wer von ihnen den Sanguiniker, Phlegmatiker, Melancholiker und Choleriker verkörpert, sei dem heute an Profilen geschulten Auge und der Menschenkenntnis des 21. Jahrhunderts überlassen. Etwas mehr als ein Ratespiel steckt doch darin: Die Blicke der vier Figuren eröffnen einen Freiraum, der zwischen den beiden Tafeln entsteht. Eine dritte Tafel war nicht vorgesehen, der Freiraum ist praktisch gesehen die Gedankenwelt der Betrachter. In der Neustädter Kirche gelangt man zwischen den zwei Tafeln durch die Tür hinaus auf den Platz, zurück in die Stadt. Drei bis vier Schritte von den Grundtypen menschlicher Charaktere zu den lebendig herumlaufenden. Viel Vergnügen. Man muss nur zur rechten Zeit kommen. Die Neustädter Kirche ist evangelisch und deshalb gibt es Öffnungszeiten (ohne Garantie von 11 bis 14 Uhr).

Thomas Werner

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.