Es war einmal, und es ist heute in Erlangen eine Galerie. Keine Galerie für Kunst, wie es in der Stadt einige gibt. Eine Galerie mit überdachten Passagen für Geschäfte, Dienstleistungen und Gastronomie, wie sie Reisende in mit Regen gesegneten Städten wie Turin oder Bern antreffen und dort stundenlang ihre Runden drehen und flanieren können ohne zu wissen wo sie sind. Das macht nichts, denn es gibt an Verpflegung reiche Auswahl und an Abwechslungen und Auslagen die Fülle, in Bern, Turin ebenso wie es in Erlangen die Grande Galerie gab und heute die Arcaden, an schierer Größe vielleicht, aber nicht im Stil vergleichbar mit Passagen in Paris, wo der entsprechende Lebensstil erfunden worden ist. Es ging im 19. Jahrhundert nicht darum, Einkaufstaschen zu sammeln soweit das Portemonnaie bzw. heute die Kreditkarte reicht, sondern in dem optischen, akustischen, olfaktorischen Reizklima bis zur Erschöpfung spazieren zu gehen, das Tempo machte dabei nicht die Parkuhr, auch nicht der an der Leine mitgeschleifte nervöse Hund, geschweige denn nimmer satte Kinder, nein: Als Schrittmacher zum flanieren en vogue war die Schildkröte und Langeweile eine Tugend. Dem kommerziellen Motto der Restauration „Bereichert euch!“ hielt der arme Poet Baudelaire sein „Berauscht euch!“ entgegen. Woran? An dem was nicht viel kostet, an Wein und Poesie und Tugend. Doch gesucht ist nicht der spleen von Erlangen, besuchen wir die Orte, wo er gedeiht.
In Gesellschaft einer Schildkröte hätte man sich in der Grande Galerie in Erlangen stunden-, ja tagelang berauschen können, die ungleich größeren ErlangenArcaden möchte man, da es für den modernen Lebenswandel außer Übernachtungsmöglichkeiten alles darin gibt, vielleicht gar nicht mehr verlassen. Wenn man dem südlichen Eingang der ErlangenArcaden den Rücken zukehrt, sieht man die Reste der ehemaligen Grande Galerie. Wo sie einst mit 90er-Jahre-Glasarchitektur und Werbeaktionen zum Besuch lockte, klafft heute wie eine schmerzende Zahnlücke eine hässliche Wunde im Gesicht der Stadt, eine Beute für die Abbruchindustrie. Die Grande Galerie in der Nürnberger Straße wurde eröffnet vor ungefähr 20 Jahren in der Zeit der deutschen Einheits-Euphorie. Der nostalgische Flaneur erinnert sich an den Levi’s-Store mit den stets neu designten Klamotten und Videoanimationen rechts neben dem Eingang, an den Optiker im Erdgeschoss links, bei dem es Brillen mit Fassung und Bügeln zum Wechseln in Gummibärchenfarben und innovativem Sonnenbrillen-Clip gab, an das Café im Obergeschoss, in dem sich vorzugsweise einkaufende Frauen und Kinder zur Ruhe setzten bei gesunder Kost, als wellness noch ein Fremdwort war, an den Übergang zum Kaufhaus Horten, an dem die Geschäfte schon damals schneller wechselten als an den häufiger frequentierten Gängen. Über Treppen und Rolltreppen gelangte man zu den Auslagen von Spielwaren, Kleidung, Karten und Geschenken für jeden und keinen Geschmack und vielem mehr und zu Sitzgruppen neben pflegeleichten Grünpflanzenarrangements. Im Kellergeschoss lockte die Bierbar, die in ihrer asymmetrischen Form hier und da zum Anlehnen des in Franken gepflegten Bierbauchs sehr geeignet war und ebenfalls das Bier, um den damals zeitgemäßen Oberlippenbart zu benetzen. Durfte man dort, in geschlossenem Raum, rauchen? Heute dürfte man es nicht mehr, die Grande Galerie existiert nicht mehr. In der Zeit bis dort wieder etwas Neues entsteht, kann sich der Flaneur, wenn die hektische Straße ggf. samt Haustier heil überquert ist, ob überdacht oder von Alleebäumen beschattet, erst mal stärken für neue kommerzielle Reize, open air oder überdacht in den Arcaden. Und beim Betrachten des Trubels vielleicht an eine Frage denken aus der Blütezeit der Grande Galerie, gestellt haben sie Tocotronic: „Gehen die Leute auf der Straße eigentlich absichtlich so langsam?“
Thomas Werner