Wir träumen von den Dächern, doch unsere Karriere begann im Keller. Ganz tief unten im Vatikan, wo kein Fremder hinkommt, und fast kein Tageslicht, da halten sie die Dogmen in Schach. Dort ist unser Ratzinger praktisch auf die Katz’ gekommen, vor ungefähr 30 Jahren. Als junger Mann war er beliebt, erfolgreich, hatte einen Professoren-Lehrstuhl inne und wurde – ohne als Weihbischof gedient zu haben – gleich zum Erzbischof befördert, praktisch vom Katheder direkt auf die Kathedra von München und Freising, größtes Bistum in Bayern. Doch viele Fronleichnamsprozessionen durch Münchener Prachtalleen konnte er nicht feiern, denn kurz danach kam der Appell aus Rom:
Einkleidung in Purpur als Kardinal und neuer Job in der Glaubenskongregation. Zweimal die gesamte Garderobe und die Farben zu wechseln in wenigen Jahren war ein kometenhafter Aufstieg. Höhenluft hätte ihm schaden können, vielleicht kam er deshalb runter ins Verlies. Alte Freunde die er seitdem nach Rom eingeladen hat, sind nicht gern zu ihm gekommen. Das lag an seiner Arbeit, sie machte die Verständigung nicht leicht und ihm kein gutes Image, muss schon hart gewesen sein. Wie schlimm der Job für ihn selber war, das weiß nur er selber und wir, seine Katzen. Der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation ist vor allem eine Art Cellerar des katholischen Glaubens. Obwohl in den finsteren Gewölben manche Ketzerei ad acta gelegt worden ist, besteht die größere Ähnlichkeit mit einem Weinkeller als mit Dantes Hölle. Trotzdem ist es kein attraktiver Arbeitsplatz. Die eigentliche Arbeit ist ja gar nicht so anspruchsvoll, Wartung und Pflege der Gefäße, damit nichts verdirbt und nichts anbrennt, eigentlich wie ein Gefängnis, nur dass dort keine Menschen beaufsichtigt werden sondern die Lehre der Kirche und die Irrlehren vom Anfang bis ins Neunzehnte, Zwanzigste Jahrhundert hinein. Bei seinen einsamen Kontrollgängen durch die Gewölbe sind dem Ratzinger einmal zwei obdachlose Kätzchen zugelaufen, und er hat sie behalten und Romulus und Remus genannt, nicht getauft. Nicht weil sie wie alle Katzen wasserscheu waren, vielmehr weil uns Katzen eure menschlichen Rituale mit Weihwasser und Weihrauch und Brot und Wein und eigentlich auch die Dogmen gar nichts angehen. Wir sehen dies als eine gewisse Art von Kultur und Zivilisation. Was für uns viel mehr zählt, ist wenn er z.B. Romulus und Remus etwas hinter den Ohren kraulten und ihnen etwas zum Fressen hingestellt hat, darum wurden sie die zwei ersten Ratzinger-Katzen. Hoch und heilig hat er ihnen versprochen, wenn er je aus dem Keller wieder heraus kommt, nimmt er sie mit. Dann hat es eben mehr als sieben, vielleicht sogar mehr als siebzig Katzenleben lang gedauert bis sich die Verheißung erfüllt hat. Dann war er ein paar Tage fort zu oberirdischer Arbeit, Weißer Rauch aus der Sixtinischen Kapelle und dann wurde es halt nicht die Pensionierung mit der heimatlichen Schreibstube für ihn und für uns das Katzenparadies, der Bauernhof in Oberbayern, sondern die Chefetage mit der Loggia zum Petersplatz für urbi et orbi und das Patent für Rundbriefe an alle Welt… Was uns mit ihm verbindet, unser Pakt, der Ratzinger-Katzen-Pakt, die bedingungslose Mitnahmegarantie, begann in manch trauriger Stunde und zutraulichen Begegnungen hinter dem Dogma der Unfehlbarkeit.
Warum seine Arbeit dort unten furchtbar war? Einmal in der Woche durfte er eine Stunde Kaffeetrinken mit dem Chef, mit dem eiligen Vater, dem polnischen Papst. Wenn er von dort zurück kam, war ein Ergebnis stets dasselbe: nichts Eigenes durfte er schreiben, unser Ratzinger. Nur Offizielles mit Brief und Siegel aus dem Heiligen Offizium durfte er unterschreiben, an die dreißig Jahre lang. Ich glaube er ist nach dem Kaffee mit dem Papst nicht gern zurück in den Keller gekommen. Wie hat es ihn vor der Dunkelheit da drunten gegraust! Habt ihr ein Farbfoto von ihm aus dieser Zeit gesehen? Das hätte sich nicht rentiert. Das Schreibverbot muss ihm arg zugesetzt haben, aber er hatte ja uns. Ein bunter Haufen waren wir, keine besondere Rasse, blinde, dreibeinige, Mischlings- ja sogar schwarze Katzen. Wenn er seinen Rundgang beendet und hinter dem Dogma der Unfehlbarkeit das letzte Tageslicht durchs Kellerfenster herein geschienen hat, dann wurde er zutraulich, dann gab es eine Schale Milch und er hat die Nachkommen von Romulus und Remus gestreichelt und gesegnet und gesagt, „passen wir auf dass es der Chef nicht merkt“, denn im Keller bei den Dogmen hat absolute Sauberkeit zu herrschen! Das Dogma der Unfehlbarkeit ist chronologisch gesehen, ziemlich das letzte und es sieht viel, viel bescheidener als es von weiter weg den Anschein hat. Danach kommt das Zweite Vatikanische Konzil, auch das ist auf seine Art dogmatisch und fristet auch eine Art Schattendasein. Die mutigsten unter uns krabbelten immer auf das mächtige Gestell hinauf und konnten auf den aufgetürmten Korrekturfahnen von Gaudium et spes zum Fenster hinausschauen auf den Petersplatz. Mehr als die Schuhe der Leute war nicht zu sehen, aber sie schwärmten vom Licht da draußen! Oft sagte der Ratzinger und meistens seufzte er dabei „Da haben wir das Tagwerk des zwanzigsten Jahrhunderts, unseren ungehobenen Schatz.“ Dann ging er mit der Laterne um den Tresor herum, prüfte die einzelnen Fächer der Originaldokumente, ob sie noch unversehrt sind, las bedächtig deren Beschriftungen ab: Sacrosanctum concilium, Lumen gentium, Dei verbum, wie ein Mantra sprach er die Namen aus: „Licht der Völker, Gottes Wort … das kann doch nicht alles für die Katz gewesen sein. Wo ist nur das aggiornamento geblieben? Gaudium et spes! Freude und Hoffnung, wenn es nur so wäre!“ In solchen Momenten erweist sich die Zärtlichkeit einer Katze für ihren Herrn.
Thomas Werner