Im Dreißigjährigen Krieg häufen sich die Toten auf den Schlachtfeldern. Verkrümmt und verrenkt liegen sie zusammen. Unbarmherzig spucken Kampf und Elend Knochen.
So grausig fängt die Inszenierung von Otfried Preußlers Kinderbuchklassiker Krabat an, die in einer Koproduktion vom Figurentheater Wilde & Vogel, der polnischen Grupa Coincidentia und Performancekünstler und Figurenspieler Florian Feisel umgesetzt wird. Am Donnerstag spielte das Ensemble im großen Saal im E-Werk und präsentierte eine fantasievolle Kombination aus Puppenspiel, Schauspiel, Tanz und Musik.
Um Aufzuräumen werden die Knochenberge des Krieges in einer Mühle zu Mehl weiter verarbeitet. Der Gevatter hat einen schaurigen Pakt mit dem Müller getroffen. Der Tod fordert jede Neumondnacht die Dienste der Mühle für die Gebeine, und jeden Neujahrsabend ein Menschenopfer aus den Reihen der 12 Müllerburschen. Dafür bekommen der Müller und seine Gehilfen magische Kräfte verliehen. Krabat ist einer von ihnen und sein Schicksal scheint besiegelt. Doch dann verliebt er sich in der Osternacht in ein Dorfmädchen mit wunderschöner Stimme. Die Kantorka soll beim Müllermeister um sein Leben bitten. Wenn sie eine Prüfung besteht, kann sie Krabat und die anderen von ihrem Schicksal befreien.
Die Übergänge von Träumen und Wirklichkeit sind fließend in dem Stück. Findet das Geschehen nur in Krabats Einbildung statt oder ist es real? Und wer ist Krabat? Vielleicht die Puppe mit den Basthaaren, deren Gesichtszüge stark an die der Steinstatuen der polynesischen Osterinsel erinnert. Oder doch gerade einer der Schauspieler? Es fällt ein wenig schwer, den Überblick zu behalten und die Handlung droht demjenigen leicht zu entgleiten, der das Buch nicht vorab gelesen hat. Doch auch die Abstraktheit des Geschehens hat eine Menge zu bieten.
Dabei zeigt die Gruppe, dass auch aus sehr einfachen Mitteln ein Traumbild geschaffen werden kann. Krabat, die Puppe, ist zwar eigentlich sehr steif, gleitet aber mit Fäden wie durch Magie bewegt über die Bühne oder fliegt tänzerisch durch die Luft. Das Mühlrad ist ein einfaches Schattenbild aus einer kinematographischen Filmspule. Es schneit Papierschnipsel und Telepathie funktioniert mit Plastiktüten. Der Müller ist ein grausamer Sadist, der seine Gesellen demütigt und mitunter bis zum Zusammenbruch schuften lässt. Seine Figur wird aus einem schwarzen Überwurf und einer halben Maske erzeugt, wenn sie nicht hervorragend schrecklich von Pawel Chomczyk gespielt wird, der Peitsche knallend auf der Bühne wütet.
Besonders unterhaltsam sind die kleinen und größeren Zaubertricks, die den gruseligen Unterton immer wieder gekonnt aufhellen. So verwandelt sich Krabat in einen Rabenvogel, ein kleiner Papiersarg fällt auseinander und setzt sich immer wieder zusammen, genau wie ein kleines singendes Skellett. Und die Knochen der Toten werden in einem Trichter durch eine menschliche Mühle gemahlen und kommen als Mehl unten heraus. Diese Einfälle sind durchweg originell und witzig und machen die psychische und physische Grausamkeit, die die Figuren auf der Bühne zu erleiden haben, vergessen.
Träumerisch untermalt wird das Ganze von Charlotte Wilde, die mit Hilfe von Geige und Gesang das Stück begleitet. Mal lieblich, mal verzerrt. Diese Mischung ist ausschlaggebend für das Stück. Das kommt an und ergibt einen gelungenen kurzweiligen Abend. Am Ende tosender Applaus und Standing Ovations von einer mutigen Dame aus den vorderen Reihen.
Lena Naporra