„Der Hase ist ein furchtbar farbloses Tier“ – Interview mit dem Erlanger Experimentalfilmer Ornlú Wolf*

Offizielles Filmplakat von "Several Eggs - Diverse Eier"

reflex trifft den Regisseur, Autor und Filmemacher in einem Erlanger Cafe, um mit ihm über seinen neuen Film, das Osterprojekt „Several Eggs – Diverse Eier“ zu sprechen, welches der Filmemacher nach einigen Finanzierungssorgen und eineinhalb  Jahren Drehzeit nun doch noch verwirklichen konnte.

 

Reflex: Herr Wolf, Ihr letzter Film „Legebatterie“ wurde von der Kritik teilweise scharf verrissen und als „unerträgliche Verhöhnung des Hausfrau- und Mutterbildes“ bezeichnet. Haben Sie daher für ihren neuen Film mit Ostern ein leichter verdauliches, familienfreundlicheres Thema gewählt?

 

Ornlú Wolf: Also zuerst einmal: Dass ich in „Legebatterie“ das Hausfrau- und Mutterdasein verunglimpfen würde, ist ja völliger Quatsch, das ist eine bewusste Fehlinterpretation, das grenzt ja schon fast an Verleumdung!

 

Reflex: Im Film unterhalten sich zwei Hennen in nebeneinanderliegenden Legebatterien über 85 Minuten über eher belanglose Themen wie Federpflegeprodukte, Futterrezepte und das Verhalten anderer Hennen, während sie nebenher permanent Eier legen…

 

Wolf: …aus diesem Szenario allein schon die Analogie zu Hausfrauen zu ziehen ist absurd – ich wollte lediglich auf die Probleme der ausufernden Massentierhaltung aufmerksam machen, die Leere, die Monotonie, die ewige Wiederholung! Es ist doch kein großer Abstraktionsgrad nötig, um das zu erkennen!

 

Reflex: Kommen wir zur ursprünglichen Frage zurück: Warum Ostern als Thema ihres neuen Werks?

 

Wolf: Den Stein des Anstoßes gab in diesem speziellen Fall meine kleine siebenjährige Nichte, die vor einiger Zeit einen simplen Reim vor sich hingesungen hat:

Has‘, Has‘, Osterhas‘,
komm in unseren Garten!
Leg viel Eier in das Gras,
komm lass dich in Fett braten!

Das hat mich dazu gebracht, das Osterfest wie wir es feiern kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren, vor allem, weil ich mit dem Hasen als Tier ohnehin nie viel anfangen konnte und ich es seltsam finde, dass ausgerechnet er das Symbol für ein solches Fest werden konnte, wo er doch so furchtbar farblos ist…

 

Reflex: Wie meinen Sie das?

 

Wolf: Nun, sehen Sie, der andere große Star familiärer Feierlichkeiten, der Weihnachtsmann, ist in seiner Konzeption doch recht eindeutig – sein fetter Wanst und seine mondäne Kleidung weisen ihn als Symbol eines wertbefreiten, hedonistischen Spätkapitalismus aus. Der Weihnachtsmann vermittelt keine Werte, er bringt Waren! Solch eine Funktion kann der Osterhase nicht erfüllen, er ist ja selbst unter den Tieren unspektakulär und harmlos. Im Gegensatz zu Hund oder Katze, denen gewisse Eigenschaften zugeschrieben werden, wie Aggressivität, Treue, Launenhaftigkeit oder Boshaftigkeit, kann der Hase überhaupt nichts anbieten, man assoziiert nichts mit ihm, er beherrscht noch nicht mal ein Geräusch, geschweige denn mehr als diesen einen nichtssagenden, emotionslos-monotonen Gesichtsausdruck. Er gilt als mittelmäßig intelligent, ist ungefährlich, seine Bestände sind reichlich gefüllt, er ist sozusagen ein biederer Jedermann der Tierwelt den man zum Star gemacht hat. Denken Sie an die Eier! Was meinen Sie, warum die Eier so bunt sind? Denken Sie an die Eier! Ihre schillernden Farben, ihre mit der Farbexplosion des Frühlings korrespondierenden, prachtvollen Kolorierungen dienen lediglich dazu, von der ermüdenden, depressiv stimmenden Mittelmäßig ihres Überbringers, des Hasen, abzulenken!

 

Reflex: Das klingt, als würde der Osterhasenbrauch in ihrem Film nicht gut wegkommen…

 

Wolf: Falsch! Eine zynische-langweilige Parodie, nach dem Schema „der Osterhase lebt auf den Osterinseln und lackiert Eier, während er den Rest des Jahres für diesen Zweck welche klaut“ ist absolut nicht meine Intention. Mir geht es um die Frage, woher der Osterhasenmythos stammt, wie all jene damit umgehen, die bei der Wahl des Hasen als Tier zurückstecken mussten und vor allem darum, wie der Hase seine schwere Bürde trägt…

 

Reflex: Der Film ist ja mit einer angegeben Laufzeit von 163 Minuten deutlich länger geraten als seine Vorgänger. Hat ihr Drehbuch eine derartige Länge erfordert?

 

Wolf: Nein, in meinen Filmen arbeite ich prinzipiell nicht mit Drehbüchern. Bei Drehbeginn sind neben dem Leitmotiv maximal ein, zwei konkrete Ideen vorhanden, der Rest ergibt sich aus der Freisetzung kreativer Impulse und spontanen Eingebungen. Meine Filme sind eher Assoziationsketten, eine Verknüpfung des stets möglichen. Deshalb verzichtet „Several Eggs – Diverse Eier“ auch auf eine kohärente Handlung und ist eher von episodenhafter, bzw. symbolbehafteter Struktur.

 

Reflex: Können Sie uns einen kurzen Einblick in den Film geben?

 

Wolf: Wie gesagt, es ist keine Story im klassischen Sinne vorhanden, sondern eher kleine Episoden und Fragmente, deren Motive und Protagonisten zum Teil wiederholt auftauchen. Da gibt es zum Beispiel den rheinischen Osterfuchs, der seiner Enttäuschung über seine Degradierung Luft macht, in dem er die vom Osterhasen versteckten Eier aufspürt und sie aufrisst, obwohl er davon Diarrhö bekommt. Oder einen kleinen Jungen, der vom Geist eines Medizinprofessors aus dem Jahr 1682 heimgesucht wird. Dieser rezitiert ständig aus seiner medizinischen Abhandlung „De ovis paschalibus – von Oster-Eiern“ und versucht damit, dem Jungen das Essen von Ostereiern zu vergällen. Zwischendurch gibt es dokumentarische Aufnahmen über den Großen Kaninchennasenbeutler, der in Australien vom Aussterben bedroht ist. Dann hätten wir noch die Häschenschule, in der kleine Häschen ihre Hasenlehrer fragen, warum es gut sei, ein Osterhase zu sein. Die wissen darauf keine Antwort und verlieren sich in abwegigen Anekdoten und abgedroschenen Phrasen. Diese Sequenzen werden im Anime-Stil gehalten sein. Ein weiteres, immer wiederkehrendes Motiv sind verschiedene Familien, die beim Verzehr von Hasenbraten gefilmt wurden. Aber ich will wirklich nicht zu viel verraten…

 

Reflex: In letzter Zeit hörte man immer wieder Gerüchte, Sie hätten während des Drehs mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. Auch von Problemen mit den australischen Behörden war die Rede…

 

Wolf: Ja, das war sicher eine unschöne Geschichte. Wir haben ja in Australien in der Tanamiwüste Dokumentaraufnahmen über den seltenen Großen Kaninchennasenbeutler gemacht, die auch im Film vorkommen und ihn um eine interessante Facette erweitern. Das hat unser Budget allerdings ziemlich strapaziert, aber ich habe mich nicht beirren lassen, da ich die Aufnahmen als wesentlichen Bestandteil des Films betrachte. Schwierig wurde es erst, als Hans (Hans Ranft, der Kameramann Wolfs, die red.) versehentlich in die Erdhöhle eines Beutlers uriniert hat und dabei gefilmt wurde. Das Video ist schließlich erst unter dem Namen „German Asshole pees on Bilby’s hole“ bei Youtube aufgetaucht und dann irgendwie bei den australischen Behörden gelandet. Damit ging die ganze Scheiße  los, da das Tier ja unter Artenschutz steht. Die Geldstrafe hat uns finanziell fast den Hals gebrochen, aber die Aufnahmen sind großartig geworden.

 

Reflex: Stimmt es, dass Sie in Australien von wütenden Tierschützern angegangen worden sind und man ihren Wagen in Brand gesetzt hat?

 

Wolf: Darüber möchte ich nicht sprechen.

 

Reflex: Werden Sie sich trotz Ihrer finanziellen Schwierigkeiten weiteren Projekten zuwenden?

 

Wolf: Ja, mit Sicherheit. Zunächst steht erst einmal eine Bühnenadaption meines letzten Films „Legebatterie“ an. Wir werden dabei versuchen, den Kritikern des Films den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem wir sie mit einer Herausforderung konfrontieren: In der Bühnenversion werden zwei Hausfrauen in Hennenkostümen zu sehen sein, die miteinander am Küchentisch sitzen und unentwegt gackern und mit den Füßen scharren. Bislang haben wir allerdings noch keine Darstellerinnen gefunden, die auf der Bühne über eine Stunde Hühnergeräusche von sich geben, aber ich bin zuversichtlich, dass wir das hinkriegen können.

 

Reflex: Herr Wolf, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

 

*Ornlú Wolf, geboren 1978, studierte Theater- und Medienwissenschaft in Erlangen-Nürnberg, sowie Pferdemanagement an der Johann Cruyff-Universität im holländischen Almen und ist seit 2004 als freier Künstler tätig. Sein Spielfilm-Debüt gab er im gleichen Jahr mit der avantgardistischen Groteske „Rosenkohlutopia“, zuvor drehte er einige Kurzfilme und schrieb u.a. das Sachbuch „Michael Bay. Das Kreischen der Bilder“ in welchem er einen sachlichen filmanalytischen Zugang zum ästhetischen Selbstverständnis von Michael Bay suchte. „Several Eggs – diverse Eier“ ist nach „Rosenkohlutopia“, „Wo ein Wald ist, ist auch ein Weg“ und „Legebatterie“ sein vierter Film. Wolf ist seit 2007 verheiratet und lebt zusammen mit seiner Frau und drei Schimpansen auf einem alten Bauernhof in der Nähe von Nürnberg.

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