Mit viel Theatralik und lyrischer Anmut präsentiert die französische, in Berlin lebende Künstlerin Mathilde Rosier ihr Werk im Kunstpalais Erlangen. Eröffnet wurde die Ausstellung mit dem bedeutungsvollen Namen „Rite de passage“ am vergangenen Donnerstag. Die Künstlerin selbst war anwesend und lud die Besucher zu einer außergewöhnlichen Performance ein.
Das Publikum, das sich bis 19 Uhr einfand, überstieg die Anzahl an Sitzplätzen bei weitem. Die Erlanger Bohème und Amtsträger in Abendgarderobe waren ebenso vertreten wie viele junge, kunstinteressierte Menschen.
Nach einer kurzen Begrüßung durch den Leiter des Kultur- und Freizeitamtes Erlangen Dr. Herbert Kurz hielt Oberbürgermeister Dr. Balleis seine einleitende Rede, die er mit einer ausschweifenden Preisung des schönen Wetters und der erwachenden Frühlingsgefühle in Erlangen begann. Anschließend stellte er die Ausstellung vor, indem er sie in einen historischen und gesellschaftlichen Kontext bettete. Dabei sparte er nicht an Zitaten aus der Wissenschaft.
Im Zentrum von „Rite de passage“ steht zweifellos das Ritual als eine menschliche Handlungseinheit. Rituale des Alltags stärken soziale Bindungen und erzeugen Kohärenz im sozialen Gefüge. Dies sei besonders in der heutigen Zeit nötig, da die Welt unübersichtlicher geworden ist und Sehnsüchte nach Vergangenem erzeugt. Rituale kompensieren diese Verlusterfahrung, der Verlust von Gemeinschaft, Identität und Stabilität und bilden so einen wichtigen Teil der Kommunikation. All diese Aspekte werden von Mathilde Rosier in Szene gesetzt.
Nachdem die Unterstützer und Kooperationspartner noch zu Wort kamen, der Vorsitzende des Deutsch-Französischen Instituts (DFI) und der Kommunikationsverantwortliche der Firma Areva, sprach die Leiterin des Kunstpalais Dr. Claudia Emmert. Sie erzählte von ihrer Kontaktaufnahme mit der Künstlerin, auf die sie durch einen glücklichen Zufall gestoßen sei und erläuterte den Gedanken, welcher dem Werk Mathilde Rosiers zugrunde liegt. Die Künstlerin setzt sich intensiv mit der Theorie der Verdrängung von Sigmund Freud und der von ihm hergestellten Analogie zur klassischen Archäologie auseinander. Die Ausgrabungen in Pompei und die Entdeckung des Grabmals des Tutanchamun zeigten, dass Vergessenes erhalten bleibt. Es ist die Aufgabe der Archäologie und so auch der Psychoanalyse, dieses wieder hervorzuholen oder „auszugraben.“ Das Vergessene spiegelt sich in Träumen, aber auch in Märchen, Mythen und Sagen wieder, dargestellt in der Kunst.
Der Widerspruch zwischen der streng-bürgerlichen Domestizierung des Menschen und seinen unbewussten, archaischen Bedürfnissen und Sehnsüchten durchzieht die ganze Ausstellung, die von Rosier als ein Gesamtkunstwerk inszeniert wird. Das Erdgeschoss bildet die obere Ebene, das rational-geordnete Bewusstsein, während im Untergeschoss die unerfüllten Wünsche, die düstere und unberechenbare Seite des Menschen aufgedeckt werden. Die lieblich wirkende Farbigkeit der oberen Ebene verharmlost nur scheinbar die tiefgehende Thematik.
Die künstlerischen Mittel und deren ungemein kreative Zusammenstellung verhelfen der Ausstellung zu einer großartigen Stimmigkeit. Alltagsgegenstände und Malereien werden zu Skulpturen angeordnet. Die Malerei auf Pappe ist dabei gewollt zweidimensional, um die Starrheit und Brüchigkeit der Illusion aufzuzeigen. Die Materialien fungieren folglich als Symbolträger, sie stehen für die Übergangsriten, die „rites de passage“. So wird zum Beispiel die Welt der Ur-Ängste und Sehnsüchte durch die Installation eines Freud’schen Sofas repräsentiert. Sofas und Betten symbolisieren den Übergang vom Bewussten ins Unbewusste. Tiere verwendet Mathilde Rosier ebenfalls für diesen Zweck. Pudel stehen für die Domestizierung und bürgerliche Bändigung des Menschen, während Katzen und Raubvögel den wilden Urzustand symbolisieren.
Im Untergeschoss dominieren Videoperformances, in denen der Tanz als eine „theatrale Metamorphose von Mensch zu Tier“ (Begleitprogramm) inszeniert wird.
Für eine Eröffnungsperformance forderte die Künstlerin die Vernissagebesucher dazu auf muschelartige Pappmasken,
„seashell masks“ aufzusetzen. Diese Szenerie wurde etwa zehn Minuten gefilmt. Dahinter stand die Absicht, die ähnlichen, sich stets wiederholenden Vorgänge einer Vernissage, die auch ein Ritual ist, zu stören und so die Wahrnehmung zu verändern. Die Maskenträger sollten ihre Aufmerksamkeit auf das Verborgene hinter dem Alltäglich-Gewohnten lenken.
Mathilde Rosier entführt den Besucher in die unheimlich-schöne Welt des menschlichen Unterbewusstseins. Die Ausstellungsräume des Kunstpalais stellen die Werke nicht aus, sondern werden selbst zum Kunstwerk. Das kann nur durch die persönliche Erfahrung nachempfunden werden, weshalb ein Besuch der Ausstellung ans Herz gelegt wird.
Die Ausstellung dauert bis zum 12, Juni und bietet wie immer ein reichhaltiges Begleitprogramm an: Führungen (auch auf französisch), museumspädagogische Workshops, Vorträge, Art Talk, Lesungen und eine Schreibwerkstatt. Nicht zu vergessen die Filme, die in thematischer Anlehnung an die Ausstellung im E-Werk Kino gezeigt werden (Eintritt 4 bis 5 Euro).
Studenten zahlen im Kunstpalais zwei Euro Eintritt. Durch ein vierseitiges ausführliches Informationsblatt lässt sich das Konzept der Ausstellung leicht erschließen.
Das Kunstpalais kooperiert darüber hinaus auch mit dem Internationalen Figurentheaterfestival. In diesem Rahmen wird am 13. Mai noch eine Performance von Mathilde Rosier zu sehen sein.
Julia Heiserholt