Rücken wir doch gleich zu Beginn mal raus mit der Sprache. Ja, ich trage gerne Röhrenjeans, ausgelatschte Converse-Treter, spiele auf einer Nick Valensi Signature-Gitarre und bin folglich überhaupt nicht geeignet, eine Text über die Strokes zu schreiben, noch dazu einen, der ihre Rückkehr nach mehr als fünf Jahren Abwesenheit thematisiert und sich mit der Frage befassen muss, ob „New Yorks Finest’“ 2011 noch von popkultureller Relevanz sind.
Moment, Einspruch. Gute Freunde halten angeblich zwar ewig, aber fünf Jahre sind verdammt nochmal eine Ewigkeit und wer sagt denn, dass sich der Freund im Laufe dieser Zeit nicht verändert hat? Oder eher noch, man sich selbst verändert hat und eigentlich lieber alte, selige Erinnerungen konserviert hätte anstatt nun befürchten zu müssen, es könnte nach der Rückkehr vielleicht nicht mehr dasselbe sein? Nicht überzeugend? Versuchen wir es damit: Ich bin Fan. Und das es mit denen manchmal eine ziemliche Krux sein kann, davon kann beispielsweise die deutsche Nationalelf, welche letztens bei einer 4:0 Führung ausgepfiffen wurde, ein Liedchen singen. Daher wage ich zu behaupten, mir die gleiche Ausgangsfrage zu stellen, welche sich schätzungsweise auch der gesamte Rest der Popwelt stellt:
Wie mit einer Band umgehen, die ob ihrer Bedeutung bereits komplett historisiert wurde und die man eigentlich schon in einer hell erleuchteten Glasvitrine im Museum für Rock’n’Roll-Geschichte ausstellen wollte?
Die Geschichte der Strokes war eigentlich bereits geschrieben – während die Herren Albert Hammond Jr., Nikolai Fraiture, Fab Morretti und zuletzt auch Julian Casablancas in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts mehr- oder weniger erfolgreich an ihren Solokarrieren feilten und Nick Valensi verärgert ob der nicht wieder zustande kommenden Zusammenarbeit zu Hause verweilte, war die Musealisierung ihrer Band bereits sehr weit voran geschritten, Tenor: The Strokes revolutionierten 2001 mit „Is This It“ die von den letzten Nu-Metal-Ausläufern im Würgegriff gehaltene Rockmusik und begründeten damit die fast ein Jahrzehnt andauernde Hochkonjunktur „retro“ ausgerichteter Gitarrenbands: Ohne die Strokes keine Libertines, keine Franz Ferdinand, keine Arctic Monkeys, Bloc Party, Maximo Park etc. pp. (beliebige Anzahl britischer oder amerikanischer Bands mit „The“ im Namen einfügen).
Und während einige der genannten Bands im Laufe der Zeit wahlweise immer weniger aufregend wurden oder merkten, dass der Wind im Pop gedreht hatte und der Lage mit elektronischen Einsprengseln Herr zu werden versuchten, waren die Strokes einfach nicht da. Weg, als wären sie irgendwie schlauer gewesen als der gesamte Rest.
Pop-Geschichtsschreiber mögen das. Kurze, veröffentlichungsarme Karrieren fördern die Legendenbildung, weil sie keinen Aufschluss darüber geben, ob die Qualität auf Dauer zu halten gewesen wäre, sondern meist auf dem künstlerischen Höhepunkt enden – der Mythos von Nirvana beruht ebenso wie der von Joy Division auf dieser Grundlage (wobei hier der tragische Tod der Protagonisten als Grund des Endes natürlich nicht außer Acht gelassen werden darf), während als gesichert gelten darf, dass beispielsweise Oasis ein ebensolcher Mythos geworden wären, hätten sie sich 1996 nach ihren ersten beiden Alben aufgelöst und nicht erst 13 Jahre und fünf stets auf durchschnittlichem Niveau gleich klingende Platten später. Der anhaltende glorreiche Ruf der Libertines liegt genau darin begründet: Zwei gefeierte Alben und einige hervorragende Singles, danach ein spektakulärer Split (im Zuge dessen Pete Doherty dem anderen Kopf der Libertines, Carl Barat, die Wohnung ausräumte um seine Drogensucht zu finanzieren) und schon sind alle Zutaten für eine zünftige Legendenbildung vorhanden, so dass selbst die ein- oder andere Livereunion nichts mehr daran ändern kann. Bis 2010 schien das auch für die Strokes zu gelten, denn obgleich eine offizielle Trennung niemals stattgefunden hat, glaubte niemand mehr so recht daran, dass da noch etwas kommen würde – und irgendwie, so der Konsens, war das ja auch gut so.
Denn die Alternativen zur stilisierten Legende sind, so scheint es zumindest, meist wenig vielversprechend: Langlebigen großen Bands droht die Gefahr, entweder in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden (Oasis), auf hohem Niveau zu stagnieren (R.E.M.), am eigenen Superstardom fast zu ersticken (U2) oder irgendwann zu seiner eigenen Parodie zu werden (The Rolling Stones) – wenn man denn nicht zum kleinen Kreis der von Musikjournalisten und Hörern nahezu bedingungslos geliebten, mit Quasi-Blankoscheck ausgestatteten Bands (Radiohead) gehört oder zumindest zu denen, welchen zugestanden wird, mit jeder Platte immer besser zu werden (Wilco).
Und dennoch, alldem zum Trotz sind sie nun also zehn Jahre nach „Is This It“,wieder da, die zu DER prägenden Band des vergangenen Jahrzehnts verklärten Strokes, exakt zu dem Zeitpunkt, zu dem Lady Gaga mit dem „Madonna meets Eurodance“-Discostampfer „Born This Way“ eine weitere Saison unter dem glitzernden Licht der Discokugel eingeläutet hat und im Pop statt der lässig unterkühlten Authentizität, welche die Strokes noch verkörperten, längst das schillerne Über-ich einer Gaga oder M.I.A das Ruder übernommen hat. Es ist eine denkbar schwierige Ausgangsposition, der sich die Band stellen muss, um nicht zu sagen, die Strokes haben die berüchtigte Karte mit dem Buchstaben „A“ gezogen: Sie müssen gegen den Zeitgeist und ihre eigene Legende anspielen.
Aber vielleicht sollte man die Tür zur Vitrine trotzdem noch nicht zusperren.
„Angles“, das am 17. März erschienene neue Album, ist ein Album, dass sich bemüht: Versucht, den festgefahrenen Garagenrockansatz zu durchbrechen, mit Elektronik und einem deutlich breiteren stilistischen Spektrum, dass von einer verqueren Disco-Nummer mir Reggae-Groove („Machu Picchu“), einer am Ende von Synthesizern fast chemisch zersetzten Ballade („Call Me Back“) hin zum dunklen, treibenden Rocker reicht, indem Julian Casablancas‘ Stimme klingt als käme sie von 20.000 Meilen unter dem Meer. Dazwischen finden sich „klassische“ Strokes-Nummern wie das tighte „Taken For A Fool“ oder die großartige Single „Under Cover Of Darkness“, in der sich die beiden Gitarren in unnachahmlicher Weise umspielen und Casablancas‘ so hübsch unterkühlt leiert wie lange nicht. Am Ende kommt eine Platte heraus, die vielleicht besser ist als alles, was die Strokes nach „Is This It“ aufgenommen haben, die abwechslungsreicher als das bemühte Selbstzitat „Room on Fire“ (2003) daherkommt und in sich geschlossener wirkt als das überlange und zersplinterte „First Impressions of Earth“ (2005).
Es ist ein erster Schritt aus dem Schatten der ihnen zugeschriebenen Legende heraus und es ist doch hoffnungslos, weil man eben nie aus dem Schatten, den man selbst wirft, heraus treten kann. Aber manchmal lässt es sich auch im Schatten ganz gut leben, auch wenn man davon ein bisschen blasser wird.
Ich werde derweil mal wieder ein paar neue Saiten auf die Nick Valensi-Signature aufziehen müssen. Und ein paar neue Converse-Treter wären auch nicht schlecht.