Kann man sich im heutigen Pop-Betrieb eine Pause von satten sieben Jahren erlauben? 2003 haben Maria Taylor und Orenda Fink ihr drittes Album „Hold On Love“ beim legendären „Saddle Creek“-Label, bei dem auch Indie-Ikone Conor Oberst unter Vertrag steht, veröffentlicht und heimsten mit der darauf enthaltenden Mischung aus Indiepop, leisen Pianotönen und Alternative-Country sowohl kommerziellen Erfolg als auch den Zuspruch der Kritiker ein, nur um anschließend jeweils eigene, getrennte Wege zu gehen. In sieben Jahren, da kann die gesamte Popwelt einstürzen und wieder aufgebaut werden (die echte natürlich auch): Alte Heroen werden durch Neue ersetzt, die wiederum ersetzt werden, Trends folgen auf Trends, kehren in immer schnelleren Zyklen wieder zurück und was 2003 funktioniert hat, kann 2010 so antik klingen, dass man mitunter schnell vom Hipster zum Oldie degradiert wird.
Sie wissen sicher, was nun folgt: Azure Ray sind wieder da, 2010 veröffentlichten sie „Drawing Down the Moon“, ihr erstes Album seit sieben Jahren und ja, sie klingen auf der Platte immer noch exakt so wie damals – ihr Gastspiel im E-Werk soll nun den Beweis antreten, dass die Musik der beiden Künstlerinnen auch live nichts von ihrer Dringlichkeit verloren hat. Zuerst heißt es aber, wie so oft in letzter Zeit auf Konzerten im E-Werk, warten. Während unten im Saal die aufgehetzte Menge zu wummernden Balkan-Beats tanzt, warten die Leute oben auf der Clubbühne, sitzend, sich anlehnend, stehend, darauf, dass die Band doch endlich beginnen möge. Zuvor hat schon Sir Simon Battle als Support eine gute halbe Stunde lang seinen schrammeligen und etwas eigenwilligen Indiepop zum Besten gegeben, doch nun passiert erst einmal nichts mehr.
Schließlich kommen Maria Taylor und Orenda Fink dann doch auf die Bühne, unterstützt von drei weiteren Mitmusikern (inklusive des bereits aktiven „Sir Simon Battle“), die immer mal wieder abwechselnd Schlagzeug, Bass, Piano oder Mandoline spielen. Obwohl fünf Leute im sanften, violette Kreise werfenden Licht stehen, liegt der Fokus doch ganz klar auf den beiden Sängerinnen, die in schwarzen, halblangen Kleidern mit weißen Krägen, eine jede mit einem großen Medaillon um den Hals, die Gitarren zupfen. Es wird sogleich still im Raum, als beide in ihren sanften Harmoniegesang einstimmen – leise, fast zerbrechlich, sind die ersten Lieder an diesem Abend, kaum zusätzliche Instrumentierung zu den beiden Gitarren sind zu hören, lediglich mal ein Cello-Einsatz hier, ein paar Töne auf der Mandoline dort, ansonsten nur die oft fast flüsternden Stimmen Taylors und Finks.
Nach einer Weile, während Fink ihre Gitarre zu stimmen beginnt, blickt Taylor in die Runde und stellt fest, dass das Publikum „so quiet“ sei und in der Tat passt letzteres sich den Songs der Band an: Positive Ruhe und Zurückhaltung werden geübt (geklatscht wird natürlich dennoch lautstark), während die Band Song um Song spielt, ein jeder nahezu makellos wie der vorherige, ohne dem wiederum jeweils was hinzufügen zu können – womit wir auch schon beim kleinen Problem wären, das Azure Ray an diesem Abend mit sich herumschleppt: Jeder, absolut jeder ihrer Songs ist der perfekte Soundtrack für trübe regnerische Nachmittage, an denen die Regentropfen gegen die Fensterscheibe prasseln und man aus dem Fenster schaut, in Gedanken versunken, mit leicht melancholischer Gemütslage. Aber irgendwann beginnen ihre Songs ineinander zu fließen wie die Regentropfen auf der Scheibe, verschwimmen, so dass einzelne Konturen kaum mehr auffallen und es statt Höhepunkten zunehmend nur wohlklingendes Gleichmaß zu hören gibt.
Mitunter hat man das Gefühl, als wären die beiden Damen furchtbar müde und es fehlt am zwingenden Willen, noch den ein oder anderen memorablen, magischen Moment zu erzeugen. So spät hätten sie noch nie gespielt, sagt Taylor, als wüsste sie, dass ihr die Müdigkeit anzusehen ist – ironischerweise ist es dann „Sleep“, das mit sanft hämmerndem Piano und Taylors beruhigendem, zartem Gesang zum bislang stärksten Stück des Abends gerät und sich gekonnt aus süßen Falle des ewigen Gleichklangs lösen kann. „November“ wartet anschließend mit wunderbarer Gesangslinie und einer fast schon unverschämt schwermutig-schönen Cello-Melodie auf und schon sind sie da, die besonderen Momente, die zuvor noch irgendwie gefehlt hatten. Fortan gelingt jedes Stück, insbesondere die sentimentale Popnummer „If You Fall“schwingt sich zum absoluten Highlight auf, erklingt sie doch in beschwingtem Midtempo und ist damit im der langsamen Geschwindigkeit gewidmeten Balladenfundus der Band eine Ausnahme.
So gelingt den fünf Musikern am Ende doch noch ein bewegendes Konzert mit großartigen Momenten und es sei ihnen verziehen, dass sie nur eine Zugabe an diesem Abend spielen. Es ist nämlich tatsächlich schon wieder spät geworden. Bleibt also zu konstatieren, dass Azure Ray auch 2011 noch mitreißende, emotional bewegende Musik spielen, die sich irgendwo zwischen Indiepop, leisen Pianotönen und Alternative-Country trifft – ein wenig mehr Experimentierfreude würde den Damen Taylor und Fink in Zukunft aber auch gut zu Gesicht stehen. Wenn es denn nicht wieder sieben Jahre dauern sollte, bis sie beschließen, ihre nächste Platte zu machen.