Jubliäums-Slam am 23.01.2011

Vor genau einer Woche hat im E-Werk der große Jubiläums-Slam stattgefunden. Der Erlanger Poetry-Slam besteht nun schon seit 9 Jahren und zieht jeden Monat mehr Publikum in seinen Bann. Das liegt einerseits natürlich an dem spitzfindig charmanten Moderator Jan Siegerts, der dieses Mal allerdings nicht so oft zu Wort kam, und andererseits an dem ganz speziellen Zugang zu zeitgenössischen, literarischen Texten.

Der Poetry-Slam kommt

ursprünglich aus aus den USA, wo er Mitte der achtziger Jahre von Marc Kelly-Smith in Chicago entwickelt wurde, um das Interesse seiner Zuhörerschaft auf eine ganz neue, erfrischende Weise zu wecken. Das Publikum bekam durch die Macht des Urteils, welche man ihm zusprach, das Gefühl, ein Teil des Abends zu sein und eine Stimme für dessen Verlauf zu haben. Man hatte plötzlich das Recht, seinen Lieblingspoeten einem anderen vorzuziehen und dies auch zu zeigen. In Amerika handelt es sich auch heute noch um einen „slam“, einen „battle“, ein richtiges Wortgefecht, das meist in Teams ausgetragen wird. Vielleicht erinnern sich einige an den slam im Dezember letzten Jahres, als Jon Sands eine ganz andere Atmosphäre schuf, als es sonst der Fall ist.

Extra für den Jubiläums-Slam wurden der kanadische Musiker Old Seed, der Kabarettist Nils Heinrich, der niederländische Slam-Meister Bernhard Christiansen, Gewinner des letzten Jahres (Clara Nielsen, Paul Weigel, Nico Semsrott, Pierre Jarawan, Moritz Kienemann) und der derzeitge deutsche Slam-Meister Patrick Salmen eingeladen, ein breites Spektrum an Poesie und Wortgefecht.

Das ging von „den Ansichten eines Arschlochs“ und der Zusammenstellung der absurdesten Schlagzeilen aus der Presse des letzten Jahres (Paul Weigel), über eine wunderschön bildreich-poetische Arbeit Clara Nielsens darüber, dass der Mensch mehr von seiner Zeit hat, wenn er sie teilt; einem Abriss über „Gefahr“ von Christian Ritter, in der die jugendlichen Schandtaten ungefährlicher erschienen als das Esseb eines Dioxin-vergifteten Eis; über Pierre Jarawan und „Geheimsprachen“ aus dem Wortschatz von Filmzitaten. Eine schöne Feststellung in seinem Text lautete: „Ich bin Dichter, ich lüge nicht, ich gebe der Wahrheit Spielraum.“

Hin zum ewig gelangweilten und depressiven Nico Semsrott, der auf jeden Fall seine Kunstfigur mit der schwarzen Kapuze gefunden hat und der tatsächlich – wie angekündigt – mit seiner Laune begeisterte. Nur stelle ich mir die Frage, ob sich das Publikum seiner Rolle als Verlaufskontrolle des Abends bewusst war, als es Nico Semsrott in die dritte Runde klatschte. Ist Depression tatsächlich so attraktiv? Wäre es nicht vielleicht spannender gewesen, einen der anderen, abwechslungsreicheren Poeten den Vortritt zu lassen? Das sollte man eventuell überdenken. Andererseits ist sein Doppelsieg mit Patrick Salmen jedoch für Aussagen wie: „Das Leben ist eine Krankheit, die per Sex übertragen wird und in jedem Fall tödlich endet,“ berechtigt. Und durch den Schlusssatz: „Er sollte sich das Leben nehmen.“ wurde die schwarze Kapuze durchsichtig und für den Augenblick einer Bruchsekunde, kam, nun ja, ein lebensfroher Poet zum Vorschein. So erfolgreich sein Kapuzen-Nico ist: Es wäre schön, den anderen Teil mal noch näher kennen zu lernen.

Patrick Salmen! Ein Geschichtenerzähler vom Feinsten, mit wundervoller Hörbuchstimme! Aber das liest er sicherlich viel zu oft, daher hier noch ein Kritikpunkt: Ab und zu ins Publikum zu sehen – auch wenn man im Grunde nicht viel davon sieht, ich weiß – täte dem Text keinen Abbruch. Unabhängig davon: Weitermachen! Öfter nach Erlangen kommen! Hörbücher einlesen! Und niemals den Bart abrasieren!

Leider, leider flog unser geschätzter Münchner „Weltschmerzpoet“ Moritz Kienemann schon in der ersten Runde raus, ein großer Verlust für den weiteren Verlauf des Abends. Texte, in denen einzelne Themen so intensiv behandelt werden, müssten mehr geschätzt werden. Denn die Aufzählung von kritischen Themen, die angesprochen werden müssten, ist zwar nett, aber eine oberflächlich wirkende und inzwischen viel zu häufig gewählte Form. Aufzählungen sind easy und auch ein wenig feige.

Schade auch, dass man nicht mehr von dem niederländischen Bernhard Christiansen mitbekam, der doch schließlich den weiten Weg auf sich genommen hatte, extra auf deutsch vortrug und in dessen seltsamen Humor man sicher noch besser hätte einsteigen können.

Und schade, dass die ansonsten fantastische Musik des Kanadiers Old Seed auf einem komplett nachdenklichen Level blieb. Ein wenig mehr Humor und Interaktion mit dem Publikum und die Frage, ob sein Beitrag zu dem Abend nicht zu lang war, wäre sicher nicht aufgekommen. Die gleiche Frage stellte sich bei Nils Heinrich. Unter anderem habe ich mich gefragt, ob es nicht ausgelutscht ist, Voruteile über die Ticks von Ossis und Schwaben aufrecht erhalten zu wollen. Und ob es nicht feige ist, sich geografisch gesehen in deren Mitte über beide Regionen auszulassen.

Unabhängig davon: So wie er hätte wohl jeder der Künstler einen ganz eigenen Abend füllen können und das Publikum wäre dennoch auf seine Kosten gekommen. Ein Jubiläums-Slam, der es in sich hatte und der Lust auf den nächsten gemacht hat. Der wird schon am 20.02.2011 stattfinden und erwartet sein Publikum mit einem Abend voller neuer Poesie. Was um Himmels Willen tut man bis dahin?

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