Wegen Herzensangelegenheiten im Experimentiertheater

©Foto: Olli Storch

Ein bisschen wie in einem Lagerraum eines Bekleidungsgeschäfts komme ich mir vor, als ich das Bühnenbild sehe von dem Stück Kein weiches, sondern ein schlaffes Herz: Mehrere nackte Schaufensterpuppen stehen kopflos auf der Bühne herum. Was mag das wohl bedeuten? Bumbum, bumbum, bumbum, macht das Herz im Hintergrund. „Bald klopft vor Schmerz und bald vor Lust / das rote Ding in meiner Brust“, dichtete schon Wilhelm Busch.

Immer wieder gibt er einer nach, er kann sich einfach nicht festlegen. Umgesetzt wird dieses Schwanken mit einer Herz-Fotoshow. Zu einem Herzschlag-Beat führt Platonow nacheinander alle vier Frauen in einer Schlange hinter sich her, bis er sie irgendwo stehen lässt.

Jede geht anders mit ihrem Schmerz um, ihn teilen zu müssen: Anna schreibt ihm Briefe, verfolgt ihn, er könne doch gar nicht ohne sie leben. Sie ergreift direkt die Initiative, aus der er sich nur mühsam befreien kann, er könne sie einfach nicht hören. Da wird ihm alles zu viel, er geht zu Sofja. Doch auch mit ihr ist es ihm zu anstrengend.

„Muss denn jede Liebe auf die altbekannte, abgeschmackte Art und Weise praktiziert werden?“

So kehrt er zurück zu seiner bodenständigen, ehrbaren Ehefrau. Doch da ist ja noch die kleine Marja. Sie erstattet Anzeige, er habe sie geküsst und Gans genannt. Schließlich verbünden sich die Frauen in ihrem Unglück, denn jede leidet „bis zum Wahnsinn“.

Da werden sie aktiv und schließen sich zusammen: Endlich umwickeln sie ihn mit dem Absperrband und drücken ihn zu Boden. Jede von ihnen legt ein Kleidungsstück ab, den Gürtel, das Halstuch, das Haarband. Sie haben sich verändert, tiefer Kummer zeichnet sie, sie haben etwas verloren. Glaube, Liebe, Hoffnung, wie können diese Worte in so einer Welt noch einen Wert haben?
Am Ende liegt er am Boden, gefesselt und umgeben von den einzigen Menschen, die ihn einst geliebt haben. Und sie triumphieren über ihn.

Annika Aue und Anneke Ulrike Steffen waren für die Regie verantwortlich und sie schrieben auch den Text zu dem von Tschechow anfangs unbenannten Stück, das erst aus seinem Nachlass veröffentlicht worden war. Mit der dramaturgischen Begleitung von Katja Prussas ist ihnen ein packendes Stück gelungen, das mit seiner teilweise zerpflückten Sprache und den starken Bildern im Gedächtnis bleiben wird. Die Schauspielerinnen zeigten die Verzweiflung, die eine verlassene Frau empfinden kann, auf sehr unterschiedliche Art und authentisch. Trotzdem wurde die Figur doch immer wieder aufgebrochen und der Wahnsinn, den einem das Herz zufügen kann, deutlich gemacht.

Der einzige Wermutstropfen: „Kein weiches, sondern ein schlaffes Herz“ wurde nur zwei Mal aufgeführt und die Karten waren leiden nur umständlich über eine Online-Reservierung zu bekommen.
Vielleicht fassen sich die Mädels ja ein Herz und zeigen es noch einmal.

Weitere Infos unter www.platonow.org

Johanna Meyr

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