PAPIERTHEATER-TAGE in der Tafelhalle

Amaya und Wilfried

"Ich sehe was..."

Dieses Wochenende veranstaltete das Papiertheater in der Tafelhalle, Nürnberg anlässlich seines 15jährigen Bestehens, die „Papiertheater-Tage“. Der Papierkünstler Johannes Volkmann lud dazu Künstlerkollegen aus Berlin, Nürnberg, München und Bremen ein, kochte mit ihnen Projekte und würzte je ihre Kunst mit dem Geschmack von Papier. Man sollte meinen, dass dieser Stoff uns gut bekannt ist und bisher hielt ich ihn für recht fad. Aber ganz im Gegenteil!

Ich hatte das Glück, einen Großteil des Wochenendes über bei den Proben und Aufführungen dabei zu sein und habe so unterschiedliche Dinge gesehen, dass es mir unmöglich erschien, alles in einen Topf zu werfen. Entstanden ist eine kleine Artikel-Reihe. Eine Form, die der Vielfalt und Großartigkeit des Papiertheaters vielleicht eher gerecht wird.

Teil 1 – „Ich sehe was…“ – Ode an ein Kinderlachen

„Ich sehe was. Ich sehe was, was du nicht siehst. Und was siehst du? Ich sehe was:“

Das ist der Beginn einer Reise durch deine Phantasie. Denn was siehst du tatsächlich, wenn doch ganz offensichtlich nichts weiter vorhanden ist außer Papier? Farben, Licht, Musik und – Papier. Johannes Volkmann erzählt keine Geschichte. Zusammen mit dem niederländischen Choreographen Wilfried van Poppel und der spanischen Tänzerin Amaya Lubeigt entführt er den Zuschauer an einen Ort, an dem er sich selbst eine Geschichte zusammenbasteln kann. Oder auch einfach nur genießen.

Unglaublich, was aus einer Rolle weißem Papier alles entstehen kann! Allein schon durch das Auseinander- und Zusammenfalten der Bahnen verwandeln sie sich in Malereistaffeln, Betten, Laptops, Telefone, Kleidung, Häuser, ellenlange Manuskripte oder auch Tanzpartner. Die Kinder, die im Publikum sitzen, lachen sich halb schlapp, als sich die Marionetten hinter einer Leinwand aus Papier zu den schönsten Schattenfiguren verbiegen und auch die großen Kinder haben einen Heidenspaß. Die träumerischen Bewegungen des Tanztheaters und des Papiers, die ich vor eine Stunde noch in der Hauptprobe gesehen habe, entpuppen sich nun allein durch die Präsenz der Kinder als lauter Pointen. Wieder merkt man, dass Kinder ganz anders wahrnehmen. Eigentlich hatte ich mich für jemanden gehalten, der noch sehr viel Kind in sich hat. Zu meinem Entsetzen muss ich jedoch feststellen, dass es ohne das ansteckende Lachen der Kinder nicht dasselbe gewesen wäre.

Die Möglichkeiten des Schatten- und Lichtspiels scheinen unbegrenzt zu sein. Das Highlight der Stunde ist es allerdings, als sich Amaya und Wilfried durch Masken aus Papier fressen und sich in große Blätter verwandeln, die Johannes großzügig mit bunter Farbe bekleckst. Nicht richtig natürlich. Sondern er projiziert Farbe vom Polylux auf die weißen Blätter aus Papier, die die Tänzer durch ihren Körper selbst zum Tanzen bringen. Noch mehr Farbe bitte! Und schon bekommen sie noch einen Klecks ins Gesicht, verziehen entrüstet die Miene und die Kinder lachen.

Für solch ein Stück braucht es vorher tatsächlich keine ellenlangen Erklärungen, wie sie für Tanztheater derzeit gebräuchlich sind. Eigentlich braucht es diese nie, meint Wilfried. Und er muss es wissen, denn er und Amaya sind in Bremen Tanzlehrer für Kinder und Jugendliche in seiner Company „Deloopers“.

Amaya erzählt mir später, dass sie schon Vorstellungen hatten, in denen nur Kinder und vereinzelt Erwachsene saßen. „Dann ist es noch mal ganz anders,“ sagt sie. Viel lauter, noch sehr viel mehr Lachen und zwischendurch ist es plötzlich ganz still. Eine ganz andere Dynamik. Man merkt als Künstler ganz genau, wann man gut ist. Und dann kann die Figur nach außen hin noch so grimmig dreinschauen. Innerlich lacht man aus voller Kehle.

Teil 2 – „Kostprobe 1 und 2“ – Was macht uns satt?"Kostprobe 1"

Andere Zeit, anderes Publikum, anderes Bild. Immer noch ist es das Papier, das die Bühne bespielt. Aber statt der kleinen Leinwand steht dort jetzt eine lange Tafel, ganz in weiß. Die Teller, Gläser und das Besteck sind in Papier eingeschlagen und um die Tafel herum sitzt ein Teil des Publikums, das fasziniert lauscht. Rainer Apfelsaft (der Geschichtenerzähler Martin Ellrodt) und Johannes Volkmann erzählen die Geschichte von den Brüdern Friedrich und Dietrich und dem Lieblingsspielzeug des Teufels – einer Drehmühle, die alles mahlt, was man sich wünscht. Eine Geschichte über die Wichtigkeit des Essens und des Beisammenseins. Und was als ein Gespräch aus Sprichwörtern und einer statistischen Aufzählung dessen, was ein Deutscher im Jahr an Nahrung zu sich nimmt, beginnt (180l Bier, 55kg Weizenmehl, 326 Eier – jetzt weniger….) endet in einem Märchen darüber, warum das Meer salzig ist. Unterstützt wird die humorvolle Erzählweise Martin Ellrodt’s von Johannes Volkmann und seiner Papierkunst. Er schneidet, reißt, zerrupft und bastelt, dass es eine Freude ist. Und während sich die Geschichte fortspinnt, werden die Dinge auf dem Tisch entpackt. Es kommen die Teller und Gläser zum Vorschein, aber auch Wein, Brot, saure Gurken und Äpfel.

Immer mehr wird entpackt, die Tafel deckt sich und als die Zaubermühle genug gemahlen hat, wird sie angehalten mit: „Ene Mene kleiner Muck – genug ist genug“.

Daraufhin werden die Zuschauer auf eine Kostprobe eingeladen, zu dunklem und hellen Heilwasser und dazu,  miteinander ins Gespräch zu kommen. Denn auch das ist der Sinn des Beisammenseins und Essens: Die Anregung zur Kommunikation. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass der Abendbrotstisch der beste Ort ist, um sich gegenseitig zu erzählen, was man den Tag über erlebt hat.

Tatsächlich ist bald darauf der Raum erfüllt von Stimmen, man steht beisammen und unterhält sich über diese besondere Art des Theaters. Alle haben die Geschichte geliebt. Und mir wird klar, dass die Tafelhalle und das Papiertheater ein Konzept verfolgen, welches sich in den nächsten Jahren noch mehr etablieren und die Theaterlandschaft größtenteils bestimmen wird. Denn sowohl in der Soziologie als auch in der Theaterwissenschaft wird uns derzeit immer wieder klar gemacht, dass schon jetzt in der Mobilität der Erfolg steckt. Die Theater mit den festen Ensembles haben es schon jetzt schwer. Und Gruppen wie das Papiertheater, Künstler mit einer tollen Idee, die von Ort zu Ort ziehen und Gemeinschaftsprojekte mit verschiedenen anderen Künstlern schaffen, sind auf der geraden Bahn. Sicherlich ist es schwer, eine solche Art von Theater aufrecht zu halten, Johannes Volkmann betont das in seiner Ansprache zum Jubiläum. Aber er hat es ganz offensichtlich geschafft, sein Theater erfolgreich bis an diesen Punkt zu bringen, denn seine Aufführungen an diesem Wochenende sind ausverkauft.

Sein Papiertheater ist das, was wir als nächstes brauchen, nach all der Kargheit und dem Theater der Brüche.

"Was ist für Sie unbezahlbar?"

"Was ist für Sie unbezahlbar?"

Kostprobe 2 besteht aus der Premiere eines Dokumentarfilms. Darin wurden Johannes Volkmann und sein Team nach Bethlehem und Acco begleitet, wo sie jeweils die Erlaubnis erhielten, einen 40 Meter langen Tisch aufzustellen. Es ging darum, seine Hoffnungen und Träume in die Teller zu schreiben, die Dinge aufzuzählen, die außerhalb der Währung des Geldes stehen. So entstand ein Tisch voller Lebensmittel, nämlich all den Dingen, die man zum Leben braucht. „Things beyond price”. Ganz nebenbei wurde der Tisch auch zu einem Ort der Gemeinschaft, der Gespräche und des Zusammenkommens. Der Film zeigt, dass das Grundbedürfnis gerade in den Krisengebieten einzig und allein der Frieden ist. Nicht Rache, nicht Vergeltung, sondern die Chance, ein normales Leben führen zu können.

Nach der Vorstellung gibt ein Fest und die Spontanband spielt drei Lieder: Das erste, das zweite und noch einmal das erste. Für das nächste Mal wurde uns ein weiteres Lied versprochen.

Teil 3 – „Kugelmenschen“ – Die Liebe, ein Missgeschick der Götter

"Kugelmenschen"

Der nächste Tag, ein Sonntag, nachmittags. Nach gestern Abend hat sich das Publikum jetzt wieder in kleine Kinder verwandelt. Johannes Volkmann und die Tanz- und Theaterpädagogin Heike Pourian erzählen die Geschichte des alten Philosophen Platon nach,  in der die Menschen erschaffen werden. Denn die Götter haben soeben mit Öl und Farben eine wunderschöne Welt erschaffen und wollen ein Fest halten. Nur, woher soll denn die Götterspeise kommen, wenn es niemanden gibt, der sie umsorgt?

Es müssen Menschen her. Kugelmenschen.

Halb Frau, halb Mann, mit vier Beinen, vier Armen und zwei Köpfen, sorgen diese lange Zeit dafür, dass es den Göttern gut geht. Sie bringen als Opfergaben Schafe, Kühe und Obst, bauen ihnen Paläste und Tempel und alles ist harmonisch und in sich rund. Doch nach einer Weile fangen die Kugelmenschen an, sich für sich selber zu interessieren. Sie versuchen, den Himmel mit ihren Wolkenkratzern zu erreichen, wollen alles selber essen und bauen die Paläste nur noch für sich selbst. Die Götter wundern sich. Denn niemand sorgt mehr für sie. Um die Menschen zu strafen und sie an ihre Pflichten den Göttern gegenüber zu erinnern, werden sie in der Mitte zerteilt. Und seitdem sind die Menschen ständig auf der Suche nach ihrer zweiten Hälfte.

"Kugelmenschen"

So schön wird die Geschichte erzählt, dass sowohl die kleinen als auch die großen Zuschauer davon begeistert sind. Nach der Vorstellungen laufen ganz viele Kinder hinter die Bühne, wo der Polylux, die Paletten voller Farben und Öl, die Folien mit den aufgemalten Herzen, die Instrumente und ganz wichtig – die Schere!- liegen. Und Johannes zeigt ihnen alles.

Wieder ein Stück, das vom Essen handelt. Von leeren und vollen Tellern, von Messern und Gabeln. Und von der Liebe. Die Liebe, Stücke zu machen, die gern gesehen werden.

„Das ist ein Mann.“

„Und das ist eine Frau.“

„Er fühlt sich oft so … geknickt.“

„Und sie sich manchmal so… zerrissen.“

Im ersten Moment könnte man meinen, es wäre nur Papier. Aber nein! Es ist noch so viel mehr.

Wer sich mehr über das Papiertheater und vor allem über den Eigenverlag „Erlesene Bücher“, Unikate aus der Hand Johannes Volkmanns, informieren möchte, findet hierzu mehr auf www.daspapiertheater.de .

Das Programm der Tafelhalle finden Sie unter www.tafelhalle.de.

Paula Linke

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