Island – Land aus Feuer und Eis, Land der Gletscher und Vulkane hoch im Norden, wo zwischen den zerklüfteten bunten Ryolithfelsen der Berghänge Schwaden zischenden Schwefels in den regnerischen Himmel wabern; wo fluoreszierend leuchtende grüne Moose die karge Vulkanlandschaft besprenkeln; wo schwarzer Sand entlang der endlosen Geröllfelder weht und so mancher der wenigen dort lebenden Menschen an unsichtbare Elfen glaubt, die im Wind wispern, immer dann, wenn es dunkel wird, während der langen, kalten Wintertage.
Aber die elysischen Landschaften, die Einsamkeit und die Weite sind nicht alles, was die Insel am nördlichen Rand der Welt zu bieten hat: Würde man eine Pop-Landkarte zeichnen, so müsste man das kleine Island sicherlich genau zweier großer Namen wegen klar hervorheben: Aber im Schatten von Björk, der rätselhaften Nachtelfe des Pop und den ätherischen Klanglandschaftsmalern von Sigur Rós ist noch viel Platz für weitere unkonventionelle Musiker und Bands, die willens sind, der Popmusik ihren ganz eigenen isländischen Stempel aufzudrücken. Bands wie Hjaltalín zum Beispiel, die am vergangenen Mittwoch im E-Werk gastierten.
Ob es am etwas schwierig auszusprechenden Namen liegt (Richtig: „Jatalien“) oder ob so mancher mit isländischer Musik nur die beiden oben genannten Künstler verbindet – schlüssig erklären lässt es sich jedenfalls nicht, dass die Clubbühne des E-Werks an diesem Abend nur sehr spärlich gefüllt ist. Entsprechend schwer hat es folglich Singer/Songwriter Snorri Helgason, der vor dem eigentlichen Hauptact des Abends einige Songs spielt, das zurückhaltend-reservierte Publikum zu animieren – seine tief im im Folk-, bzw. Americana-Genre (die Bezeichnung, die alle verwenden, denen der Begriff Country immer etwas zu konservativ und reaktionär klingt) verwurzelten Songs, die er lediglich mit Gitarre und gelegentlichem Mundharmonika-Einsatz vorträgt, fördern allerdings gediegenes Schwelgen und entspanntes Mitwippen seitens der Zuhörerschaft. Obwohl durch den putzigen Namen eindeutig als Isländer zu identifizieren, rufen Helgasons Kompositionen eher Assoziationen an die Weiten des amerikanischen Westens, Prärie, Nadelwälder und schroffe Bergketten hervor, als an die isländischen Eislandschaften zu erinnern. Lediglich einige auf Isländisch verfasste Stücke verweisen darauf, dass der Songwriter nicht in „God’s Own Country“ verwurzelt ist und sich stattdessen wohl vom jungen Dylan und Townes Van Zandt hat beeinflussen lassen.
Als Gegenentwurf präsentieren sich Hjaltalín instrumental weitaus opulenter, den sechs Musikern stehen neben dem klassischen Bandinstrumentarium noch Violine und Fagott zur Verfügung, doch wer nun orchestral angehauchten Folkpop erwartete (wie der Arcade Fire-Vergleich im E-Werk-Programmheft suggerierte), wird alsbald eines Besseren belehrt. Rhythmisch vertrackte und vom Schlagzeug angetriebene Stücke sind da zu hören, bei denen melodiöse Parts stets grob unterbrochen werden, die verzerrte Gitarre abrupt ertönt und wieder verhallt, das Fagott donnernd-tiefe Einsprengsel hinzufügt und Högni Elgisson abwechselnd mit der walkürenhaften Sängerin Sigga vereinzelte Gesangspassagen ins Mikrofon haucht. Auf konventionelle Songstrukturen oder ein traditionelles Strophe-Refrain-Strophe-Schema verzichtet die Band weitestgehend und trotzdem gelingt es ihr, zwischendurch eingängige Melodien zu finden, die dem Zuhörer den nötigen Zugang zu ihrer Musik verschaffen und einen wichtigen Halt im bisweilen wild ausufernden Klangkosmos liefern. Warm und organisch klingt sie, diese folkige, avantgardistisch angehauchte Kammermusik, die trotz aller unkonventioneller Strukturen stets dem Pop verbunden bleibt – auch wenn mitunter deutlich wird, dass einige Stücke für eine größere orchestrale Untermalung konzipiert sind und an diesem Abend etwas auf die Knochen reduziert wirken.
Das zu Beginn so zurückhaltende, zahlreich gediegen an Rotweingläsern nippende Publikum wird nach offenkundiger anfänglicher Verwirrung schnell warm mit dem eigenwilligen Sound der sechs Isländer, die darüber hinaus mit radebrechendem Deutsch Sympathiepunkte sammeln. Als hätte die Band zu Beginn erst einmal ein Statement abliefern wollen, werden die abwechselnd auf Englisch und Isländisch gesungenen Songs im Verlauf des Sets immer eingängiger – bei „Stay By You“, dem besten Song des Abends, kann man sogar von einem kleinen Hit sprechen. Auch das opulente, musicalhafte „Feels Like Sugar“ wartet mit einem hymnischen Refrain auf, so dass Begeisterung und Applaus gegen Ende des Auftritts immer mehr zunehmen und die Band sich zweimal zur Zugabe wieder auf die Bühne bitten lässt – nachdem der Jubel danach immer noch nicht abebben will, sieht sich Geiger Viktor genötigt zu vermelden, dass man keine Songs mehr habe, die Leute aber doch gerne CDs beim Merchandise-Tisch erwerben sollen.
Muss man Hjaltalín also künftig auf der Rechnung haben, wenn man musikalisch gen Island blickt? In ihrer Heimat konnte die Band immerhin bereits 2008 fünf Nominierungen bei den isländischen Music Awards einheimsen – und auch wenn die berühmten Kollegen Björk und Sigur Rós noch weit entrückt erscheinen: Hjaltalín erweitern die musikalische Ausdruckskraft des Landes aus Feuer und Eis um eine weitere interessante Note.
Manuel Weißhaar