Über die Lage der Region wissen wir bescheid, seit 1992 sein erster Gedichtband Frankn lichd nedd am Meer erschien. Helmut Haberkamm hat am Mittwoch, 20. Oktober 2010 in der Thalia-Buchhandlung Palm und Enke am Hugenottenplatz in Erlangen sein neues Buch vorgestellt. Zur Begrüßung gab es fränkischen Prosecco und knusprige Brezen. Die Cafeteria im 1. Stock war mit ca. 100 ZuhörerInnen voll besetzt, der Altersdurchschnitt lag in höheren Semestern. Neben seinen Theaterstücken (u.a.) Der Kartoffelkrieg (2000), Die Schuddgogerer (2005), Der Kaschberlesmoo (2008) und dem Musical No Woman, No Cry – ka Weiber, ka Gschrei (2001) hat Haberkamm auch Songtexte von Bob Dylan ins Fränkische übertragen.
In der Poesie sieht Haberkamm „die Juwelen der Sprache“ und hat sich wie in bisher fünf Lyrikbänden auch mit Uns schiggd der Himml das Ziel gesetzt, alle Lebensbereiche mit seiner Muttersprache, dem Dialekt aus dem Aischgrund, zu verdichten. Da mit der Mundart in anderen Regionen unbefangener umgegangen wird, wollte Haberkamm den fränkischen Dialekt „ausreizen“ und herausfinden, „wie weit er trägt“ und ihm „literarische Würde und Glanz verleihen“. Dialektdichtung scheint auf den ersten Blick kaum lesbar, das sei aber mit Rilke und Celan genauso. Haberkamm spannt in seiner Lesung einen Bogen von traumatischen Kriegserlebnissen, kuriosen Liebesgeschichten, die Schwierigkeit, passende Kleidung „für’n Übergang“ zu finden, bis hin zur heutigen Jugendsprache, die er berufsbedingt täglich studieren kann.
Auf die Frage, ob seine Gedichte autobiografisch seien, gab er den Rat, mehr dem Werk zu vertrauen als dem Autor. Sich in bestimmte Rollen zu begeben, ermögliche Dinge zu sagen, die man sich selbst nicht erlauben würde. So sind einige Gedichte zwar „politisch nicht korrekt“, bekommen aber vom Publikum dafür umso mehr Applaus. Wenn Haberkamm Jugendsprache aufgreift, wirkt sie ebenso authentisch wie seine bodenständigen Gedichte aus dem Aischgrund oder das vom geklauten Schulweg, weil Jugendliche (junge Erwachsene ebenfalls) keine Gelegenheit mehr haben, ungezwungen herumzustromern.
Franken seien wortkarg ist ein Klischee, das Haberkamm entzaubert. In einem inneren Monolog erscheint die hiesige Sparsamkeit mit Worten als Ergebnis einer großen Sorgfalt. Umfassend zählt er auf, worüber der gemeine Franke nachdenkt, wenn er „sich seinen Teil denkt“ – mit der Pointe, was er dann tatsächlich wörtlich äußert.
Im Verlauf der Lesung gewinnt Haberkamms Sprachfluss mehr und mehr an Schwung. Besonders in seinen zeitkritischen Gedichten lässt er wahre Wortkaskaden vom Stapel. Er prangert die Überfrachtung unserer Sprache mit englischen Begriffen an, die auch eine Vergewaltigung des Englischen sei. In „Mausgligg“ (= Mausklick, was fränkisch auch „Mausglück“ bedeuten kann) verleiht Haberkamm der alltäglichen Computersprache eine doppelte Ebene und formuliert für unseren schnelllebigen Alltag, was in seiner Zeit Serge Gainsbourg schlicht, aber nicht weniger eindringlich mit „Je t’aime… moi non plus“ ausgedrückt hat.
Wer fremd in Erlangen ist und Land und Leute sowie deren Gemüts- und Mundart kennen lernen möchte, für die könnte das Buch eine Alternative zum Stadt-/Szeneführer sein. Und sollte das Beste an dem Buch die leere Fläche um die Wörter herum sein, wäre das durchaus im Sinn des Autors. Haberkamm gibt seinen Lesern reiche Anregungen um die Leerstellen zu füllen. Mit dem letzten Gedicht greift er den Buchtitel auf und lotet mit wenigen Worten das menschliche Dasein zwischen Himmel und Erde aus. Um sie auszukosten müsste man seine Gedichte mehrmals und immer wieder lesen. Seinen Gästen gab Haberkamm mit auf den Weg: „Wenn Sie’s verstehen, sind Sie tolerant.“ Dass seine Gedichte gut ankommen, ist kein Wunder, aber manche davon sind welche.
Thomas Werner
- Helmut Haberkamm: Uns schiggd der Himml.
- Rund 176 Seiten, ars vivendi, 14,90 Euro.
Foto: Andreas Riedel