Erwachsen werden

  • Wir sind Helden in der Heinrich-Lades-Halle, 25.10.2010

Es war irgendwann um 2007, als Wir sind Helden zum ersten Mal in ihrer erstaunlichen Karriere einen kleinen Dämpfer einstecken mussten – „Soundso“, das dritte Album, es kam nicht wirklich an, weil jeder es eben ein bisschen soundso fand, in erster Linie aber, weil der gewaltige Hype um das Quartett erst einmal verflacht war. Da stand man nun, als etablierte Kraft in der deutschen Musiklandschaft und fragte sich ein bisschen, woran’s genau gelegen hat. Und da man keine Antwort fand, beschlossen Wir sind Helden, es mit der „Heldenzeit“ erst einmal gut sein zu lassen und zu pausieren. Judith Holofernes hat ihr zweites Kind bekommen. Jean-Michel Tourette hat Nachwuchsbands produziert. Und Pola Roys Bart ist noch länger geworden. Bis man sich dann, genug des Wartens, wieder an das nächste Album heranwagte. „Mal schauen, wer noch mitkommt“ hat Holofernes dazu in der FAZ gesagt.

Und es sind doch einige, die mitkommen, zumindest wenn man die an diesem Abend gut gefüllte Heinrich-Lades-Halle zum Maßstab nimmt. Nachdem die Vorband Tanner, zuvor vorbildlich von Helden-Gitarrist Jean-Michel Tourette aufs Höflichste vorgestellt, noch unter einem miserablen breiigen Sound zu Leiden hatte, gelingt das zumindest beim eigentlichen Konzert etwas besser, auch wenn der Klang immer noch leicht verwaschen aus den Boxen dröhnt. „Was uns beiden gehört“, ein Banjo, ein Akkordeon und eine ohne Gitarre befreit tänzelnde Holofernes bilden schließlich den Auftakt und machen deutlich, dass sich was getan hat, im Hause Wir sind Helden. Heuschober-Rhythmen und Zigeunerpolka statt fiepende Synthesizer also – man klingt 2010 organischer. Dem reichlich applaudierenden Publikum scheint das zu gefallen. Der darauffolgende Vierfachschlag mit „Rüssel an Schwanz“, „Gekommen um zu bleiben“, „Echolot“ und „Wenn es passiert“ offenbart dann auch sogleich recht deutlich, in welch einer komfortablen Situation sich die Band während ihrer Live-Auftritte befindet, hat sie doch seit „Guten Tag“ ein beachtliches Bündel Hits zusammengetragen und kann es sich bequem leisten, gleich zu Beginn einige davon zum Anheizen zu verwenden. Und was noch viel erstaunlicher ist, wie sich im Laufe des Abends herausstellt: Sogar welche wegzulassen.

Indes hat sich im Live-Gefüge der Band auch einiges geändert. Verstärkt durch zwei weitere Mitstreiter, scheint ein jeder der „eigentlichen“ Helden genau das zu machen, was ihm gerade beliebt, beziehungsweise am jeweiligen Song am Interessantesten erscheint: Bassist Mark Tavassol ist überwiegend der Gitarre zugetan, wenn er nicht gerade zum Banjo greift, Keyboarder und Gitarrist Jean-Michel Tourette spielt von beidem jeweils ein bisschen und hin- und wieder auch mal Akkordeon. Judith Holofernes dagegen, die spielt eigentlich überhaupt nichts mehr und scheint mit dieser neu gewonnenen Freiheit überaus zufrieden zu sein – sie tanzt, tänzelt und bewegt sich beschwingt durch das Set, sichtbar erleichtert, die Doppelbelastung Gesang/Gitarre nicht mehr leisten zu müssen. Ab und an darf’s dann aber auch mal eine Ukulele sein. Damit stimmt sie erst einmal sachte „Forever Young“ von Alphaville an und stellt am Ende des Refrains die durchaus ironisch-selbstreflexive Frage: „Wollt ihr wirklich immer Hippies bleiben“, lässt dem Publikum allerdings kaum Zeit, darüber nachzudenken: Mit dem darin übergehenden „The Geek (Shall Inherit)“ steht immerhin der mit Abstand beste Song des dritten Albums an.

Doch irgendwann im Laufe des Abends macht sich trotz des stets überaus lauten Jubels deutlich bemerkbar, dass die Stimmung nicht so recht überkochen will. Liegt’s daran, dass dem Publikum nicht so sehr nach Tanzen und Springen ist? Oder ist womöglich doch die Zeit vorüber, in der man zu „Guten Tag“, „Aurelie“ und „Ist das so“ beglückt und unbeschwert nach Springteufel-Manier herumspringt und andere Leute dabei herumschubst? Waren das nicht die Songs, zu denen man Mitte des vergangenen Jahrzehnts jubilierte, jede Zeile auswendig könnend, immer lauthals mitsingend? Fast scheint es, als sei das Publikum mit den (seinen) Helden gealtert – man liebt sie noch immer, diese Songs, aber sie sind doch schon so nostalgisch geworden, man mag nicht mehr dazu springen müssen. Die Band merkt das natürlich und setzt sogleich zum ultimativen Test an, ob die alten Gesten noch immer funktionieren. Holt den Vorschlaghammer. „Denkmal“ war schon immer der Song für Wir sind Helden, der etwa „Wonderwall“ für Oasis darstellte: So viele gute, ja großartige Songs, aber doch ist es der eine, die Hymne, der das große Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt, auf den alle warten, um ihn mitzusingen, aus voller Kehle, versteht sich. Die liebgewonnenen Mechanismen, sie funktionieren auch hier wieder, natürlich wird auch an diesem Abend der Refrain vom Publikum allein intoniert, so lange es geht, immer und immer wieder. Und doch: Auch dieses alte Ritual atmet nicht mehr die Magie vergangener Tage, nach einiger Zeit werden die Stimmen dünn. Die Band tritt ab und fast ist man etwas wehmütig. Zeiten ändern sich. Und dann geschieht etwas seltsames. Holofernes zieht ein hippieskes grünes Kleidchen über, das an Zweige und Blätter gemahnende Bühnenbild nimmt einen sanften Grünton an und die Band spielt „Die Ballade von Wolfgang und Brigitte“ so sentimental wie wunderbar. Später zupft Holofernes leise und völlig allein auf ihrer schon fast ikonischen roten Gitarre „Nichts, was wir tun könnten“. Sie verspielt sich ein paar mal, aber es macht nichts. Und als die langsamen ersten Töne des prägnanten Basslaufs von „Bist du nicht müde“ sofortiges Wiedererkennen garantieren, wird, ganz am Ende etwas erstaunliches klar. Wir sind Helden brauchen ihr „Denkmal“ eigentlich nicht mehr, die große Hymne vergangener Tage, von der zuvor noch jedes Gelingen eines Helden-Konzerts auf Gedeih und Verderb abhing. Sie sind unabhängig geworden. Und können vielleicht endlich die Band sein, die sich Holofernes laut eigener Aussage immer wünschte: Eine, die regelmäßig in gediegener Ruhe Platten veröffentlicht, Konzerte spielt – ohne den Hype, ohne das Bohei, ohne das ganz große Ding sein zu wollen.

Glückwunsch, es könnte funktionieren. Und es ist gut so.

Manuel Weißhaar

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