Russland, ein riesiges, dunkles Land, das von finster dreinblickenden Menschen bewohnt wird. Das sind so ungefähr die Klischees, die einem dazu einfallen. Wer mehr darüber wissen will, der konnte sich am 22. und 23. Oktober 2010 „Kaddisch“ ansehen.
Als Auftakt zum Russischen Theaterherbst organisierte der deutsch-russische Kulturverein Brücken e.V. das von Scholem Alejchem geschriebene Stück, das sowohl von russischen, als auch deutschen Laienschauspielern aufgeführt wurde. „Kaddisch“ bedeutet „Der Heilige“ und ist ein Lobpreisungsgebet an Gott.
Es geht bei dem Stück darum, Freude und Trauer miteinander zu vereinen. Daher spielt auch der schwarze Humor eine große Rolle.
Und tatsächlich bietet die Geschichte von Milchmann Tewje (Gregor Schmitt) dem Zuschauer die Möglichkeit, zu lachen und zu weinen. Fünf Töchter hat der tüchtige Jude, und die wollen nicht nur ernährt, sondern auch irgendwann verheiratet werden. Ein Heiratsvermittler (Thomas Franke) taucht auf, denn der Schlachter Lejser-Wolf (Axel Schweichler) möchte seine Einsamkeit beenden und die Älteste, Zejtel (Silke Pinno), zur Frau nehmen. Der Vater ist unsicher, er möchte nur das Beste für sein Kind, und Lejser ist ein wohlhabender Mann. Nachdem er Gott befragt hat, und mehrere Gläser Wodka intus, stimmt er dem Geschäft zu. Dass Zejtel sich längst für den schüchternen Schneider Motel (Othmar Konerth) entschieden hat, weiß Tewje nicht.
Nachdem die Tochter mit lautem Weinen im Stall und Bitten und Flehen ihren Protest gezeigt hat, gibt der Vater nach, und Zejtel heiratete Motel. Doch die Hochzeitsfeier wird von einem Pogrom überschattet.
Der beißende Winter kommt und macht das Leben noch schwerer. Die Geschäfte laufen schlecht, und Studentenproteste tragen ihre Forderungen nach einer Verfassung von Kiew aufs Land in den kleinen Ort Anatevga. Sie fordern Freiheit, und den Kommunismus. Gerade der Student Pertschik (Evgenij Zelikman) steht hinter dieser Losung. Er kommt in Tewjes Haus, um die Mädchen in Französisch zu unterrichten. Dabei verliebt er sich in die zweitälteste Tochter, Godel (Nora Manz). Er flieht mit ihr nach Sibirien.
Mit der dritten Tochter, Chawa (Karima Wolter) hat Tewje, seiner Ansicht nach, kein Glück. Sie verliebt sich in den Russen Fjodor (Inna Rosin), und konvertiert ihm zuliebe zum Christentum. Fortan nennt sie sich Christina und ihr Vater erkennt sie als seine Tochter nicht mehr an.
Derweil bringt Zejtel ihr erstes Kind zur Welt. Die resolute Mutter von Zejtel, Golda (Dr. Inessa Hellwig-Fábián), war allerdings schwer krank geworden und überlebt den Winter nicht.
Der gottesfürchtige Tewje beginnt an seinem Herrn zu zweifeln. Zu viel Unglück scheint seine Familie und ihn heimzusuchen. Es heißt, es gibt Aufstände gegen Juden, und dass sie den Ort verlassen müssen. Sie verkaufen das Haus an den Nachbarn.
Derbe Klamotten und der teilweise starke russische Akzent einiger Schauspieler führen dazu, dass sich der Zuschauer sehr genau in das Leben des Milchmannes einfinden kann. Die Requisiten sind sehr sorgfältig ausgewählt, es gibt echtes Wasser, echter Teig wird gewalkt, echter Wein und Wodka (so scheint es jedenfalls) wird getrunken. Das karge Leben, das sich an jedem trockenen Strohhalm festklammert, die eisige Kälte, alles wird lebensecht dargestellt.
Bereits letztes Jahr wurde das Stück aufgeführt, dieses Jahr allerdings mit teils anderer Besetzung. Es wurde weiter daran gefeilt, Dialekte poliert, auf einer anderen Bühne gespielt, Rollen getauscht.
Hin und wieder erklingende russische Musik machte die Lebensfreude dieser Menschen deutlich, Volkstänze im Reigen wirkten auflockernd.
Alles in allem konnte man einen guten Einblick in das Leben dieser Familie bekommen.
In den kommenden Wochenenden laufen noch andere Stücke, unter anderem „Kleine Tragödien“ von Alexander Puschkin, „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ nach Gogol/Tschechov oder „Alltägliche Kleinigkeiten“, nach Erzählungen von Tschechov, an verschiedenen Orten und teilweise auch in Russisch.
Johanna Meyr
netter Kommentar.
Der Wodka war leider nicht einmal bei den Proben echt.