„Auf Wiederdrehen!“

Nur ein karges Bäumchen schmückt die schwarz-weiße Bühne. Sieht nach einem minimalistischen Stück aus, dachte ich mir. Weit gefehlt! Die Charaktere sprühen dafür nur so mehr vor schräger Verrücktheit. Ob in feinem Anzug Essiggurken verschlingend, sich bei Nervosität verschwenderisch die Arme eincremend, in roter Lackhose Wein inhalierend oder verstohlen Bonbons in sich hineinstopfend, dem Wahnsinn sind keine Grenzen gesetzt. In Tschechows Kirschgarten geht es augenscheinlich bunt zu.

Dieser einst wunderschöne Kirschgarten, Erinnerung an eine sorgenfreie Kindheit, ist verwahrlost, er wirft nichts mehr ab. Kein Wunder, schließlich hatten Gutsbesitzerin Ranjewskaja und ihre Tochter Anja mehrere Jahre in Paris verbracht und alles verkommen lassen. Das Gut wird versteigert, obwohl die Familie nur widerstrebend zustimmt.

Überraschenderweise erwirbt es der unbeholfene Kaufmann Lopachin. Allerdings schafft er es nicht, die Adoptivtochter des Hauses, Warja, um ihre Hand zu bitten. So zieht die ganze Familie nach einer kurzen Rückkehr wieder ab.

Das ist die eigentliche Geschichte. Doch wie wird sie gezeigt? „Das Lachen des Henri Bergson“ ist die Vorlage für die Inszenierung. Der französische Philosoph bezeichnet das Wechselspiel von Spannung und Geschmeidigkeit als wichtige Kräfte zur Flexibilität von Körper und Geist. Fehlt dem Körper diese Flexibilität, wird er mechanisch, und genau diese Mechanik wirkt komisch.

Der Regisseur Thomas Renner versucht das zu zeigen. Jede Figur hatte eine bestimmte Geste, Gang und Requisite.

Ranjewskaja tänzelt herum wie auf Rollen in ihrem langen schwarzen Kleid, sie stellt ein emotionsloses Gesicht zur Schau. Was sie sagt, klingt wie diktiert,  es passt nicht zu ihrer eingefrorenen Mimik. Sie wirkt beinahe depressiv und zupft gedankenverloren immer an etwas herum.

Das Zimmermädchen Dunjascha hingegen reißt ihre clownesk geschminkten Augen auf, streckt ihre Arme zur Seite, reckt ihrem Kopf nach oben, während sie auf hohen Absätzen durch das Gut trippelt. Die beiden erinnern an Puppen aus Frankensteins Spielzimmer.

Alle leben so vor sich hin, warten und zögern, sind aber trotzdem immer in Bewegung, obwohl in der Handlung nicht viel passiert.

Keiner interessiert sich wirklich für den anderen, die Gespräche überlagern sich, kaum einer geht auf den anderen ein. Nur einmal kommt es zu einem gemeinsamen Tanz, begleitet von Xylophon-Geplänkel, der sich aber nicht lange hält und nach und nach gelangweilt auflöst.

Auch der jonglierende Clown Charlotta, der auf der Bühne seine Possen treibt, kann die Familie nicht aus ihrem trüben Leben reißen. Fast verzweifelt spielt sie die gute Laune in Person, doch auch sie bleibt unbeachtet. Die kurze Vorfreude bei der Abreise nach Verkauf des Kirschgartens „Sei gegrüßt, mein neues Leben!“ nimmt man niemandem ab.

Zeit spielt im Kirschgarten und auch außerhalb davon anscheinend keine große Rolle. Obwohl Mutter und Tochter so lange weg waren, lösen sie keine großen Reaktionen aus, und auch danach geht alles so weiter wie zuvor.

Die Zeit während der Aufführung wurde auch nicht langweilig. So mancher Zuschauer schüttelte sich vor Lachen. Da kann man nur mit Lopachins Worten schließen: „Auf Wiederdrehen!“

Johanna Meyr

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