- Christy & Emily im Neuen Museum, Nürnberg, 19.10.2010
Hohe, kahle Betonwände, viel Glas, viel Weiß und noch viel mehr Grau – was könnte passender für den Beginn einer neuen Konzertreihe sein, deren Ziel es ist, Musik jenseits von leichtverdaulichem Mainstream und obligatorischen Genre-Schubladen zu präsentieren, als die kühle Eleganz moderner architektonischer Ästhetik. Die Veranstalter, so erscheint es, haben also den richtigen Ort ausgesucht, um „Across“ zu starten, jene Reihe von Veranstaltungen, welche den Anspruch hegt, Künstler zu präsentieren, die sich nicht den Konventionen der üblichen Spielarten des Pop beugen wollen und gezielt versuchen, starre Begrenzungen aufzuweichen.
Christy & Emily, das Duo aus der Kaderschmiede für avantgardistische Popmusik, Brooklyn, NYC, der Heimat unzähliger gehypter Bands der letzten Jahre, hat also die Ehre, aber auch die Bürde, dem selbstauferlegten Anspruch der Konzertreihe nun als erstes gerecht werden zu müssen. Die Musikerinnen, deren Debütalbum 2007 erschien, bilden dabei eine interessante Konstellation: Während Gitarristin Christy Edwards aus dem Punkumfeld stammt, zuvor in mehreren solcher Bands gespielt hat und ihre ersten Akkorde nach Angaben der Plattenfirma aus einem Metallica-Songbook erlernt hat, verfügt Kollegin Emily Manzo über eine klassische Ausbildung am Piano und hat sich als Pianistin bereits einen Namen gemacht.
Soweit so ungewöhnlich. In einer solch eigentümlichen Umgebung stellt sich an diesem Abend allerdings lediglich die Frage, ob es Christy & Emily gelingen wird, dem mit seinen wuchtigen Betonwänden doch bisweilen wie eine Tiefgarage wirkenden Ort einen Hauch von Wärme zu verleihen. Obgleich durch ein permanentes Surren aus den Boxen sabotiert (für welches sich der Veranstalter am Ende des Konzerts entschuldigt), kann hier schon vorweg genommen werden, dass den beiden Musikerinnen dieses kleine Kunststückchen spielend glückt. Schon das Eröffnungsstück überzeugt mit einer getragenen Gitarrenfigur und einem langsam einsetzenden, zurückhaltenden Piano, lässt auf ein längeres Intro schließlich einen verkappten Folksong mit zweistimmigem Gesang folgen.
Das gediegen auf seinen Stühlen sitzende Publikum applaudiert höflich, eine gewisse förmliche Distanz zu den Interpreten lässt sich allerdings kaum leugnen, was sicherlich zum einen den Sitzplätzen, zum anderen der strengen Örtlichkeit geschuldet ist. Und doch wird im Laufe des Abends klar, dass das Neue Museum der nahezu perfekte Ort für den entrückten, zwischen Ambient und Avantgarde, Folk, Kammerpop und Post-Rock pendelnden Sound des Duos zu sein scheint. Zu verdanken ist dies einem brillanten visuellen Kniff: Hinter der Bühne wird, bis an die Decke der überaus hohen Betonwand, ein Lichtspiel projiziert, welches mit einem schillernden Kaleidoskop bunt ineinander fließender Farben der bisweilen schleppend wabernden, dann wieder in lärmige Noise-Passagen ausbrechenden Musik eine kongeniale surreale Optik verleiht.
In seiner Form und Konzeption, aber auch in seiner des öfteren grünlich leuchtenden Farbgebung an das Nordlicht, Aurora Borealis gemahnend, ergießen sich die Projektionen über die kalte, leere Betonwand, während Christy & Emily in nahezu pink-floydeskem Gestus als kleine dunkle Figuren darunter verharren. Ein Hauch Psychedelik liegt in der Luft, insbesondere bei den langen Instrumentalparts, so dass bei all der visuellen Pracht und der instrumentalen Virtuosität von Pianistin Emily Manzo kaum auffällt, dass der Sound etwas unsauber und verschwommen aus den Boxen dröhnt – wie auch, wenn die Töne auf geisterhafte Weise mit dem einnehmenden Lichtspiel an der Wand verschmelzen und mit diesem elegant über den Beton zu gleiten scheinen. In diesen Momenten erinnert das Duo in seiner Klangästhetik immer mal wieder an die vielleicht größte Band, welche ihre Heimat New York je hervorgebracht hat: Die seltsamen Stimmungen von Christy Edwards’ Gitarre, das verzerrt-monotone Schrammeln zu den entrückten, repetitiven Pianoakkorden sind spürbar von The Velvet Underground beeinflusst, insbesondere „Heroin“ von deren „Bananenplatte“ lässt beste Grüße aussenden.
So spielen sich die beiden mit spürbarer Spielfreude durch ihr zwei Alben umfassendes Repertoire und wirken immer in jenen Momenten am Intensivsten, wenn sie beide zugleich in unterschiedlichen Stimmlagen ins Mikrofon singen – diese Harmoniegesänge offenbaren die stets vorhandene Folk-Grundierung ihrer Musik, eine fruchtbare Grundlage, welche die Künstlerinnen mal mehr, mal weniger zu zerdehnen und zu transzendieren wissen. Musik also, die sich letztendlich konsequent jeglicher vorwegnehmender Kategorisierung verweigert (es sei denn, man würde mit kruden Begrifflichkeiten wie Avantgarde-Ambient-Folk-Pop oder ähnlichem arbeiten), Musik, die verschiedenste Genres streift, sich diese zu eigen macht, ohne von ihnen selbst eingenommen zu werden und am Ende etwas Neues entstehen lässt.
In dieser Hinsicht machen sich Christy & Emily durchaus mit ihren ungleich bekannteren Kollegen aus Brooklyn, etwa Grizzly Bear oder Coco Rosie, gemein. Dem zu Beginn leicht steifen Publikum gefällt das mittlerweile sichtlich – und nachdem die beiden Musikerinnen nach etwas mehr als einer Stunde zum Ende kommen, wird sogar der die strenge Würde des Ortes für kurze Zeit vergessen und neben lange anhaltendem Applaus sogar gejubelt. Nach zwei Zugaben verabschieden sich die Musikerinnen schließlich von überaus zufriedenen Zuschauern – „Across“ hätte wohl keinen besseren Start erwischen können, sowohl was das erklärte musikalische Ziel, als auch die Qualität der Musik angeht. Man darf gespannt sein, ob Songwriter Sam Amidon, der nächste Musiker der Konzertreihe, ähnlich zu überzeugen weiß.
Manuel Weißhaar