Lesungen der besonderen Art präsentierte die Erlanger Stadtbibliothek am zweiten Tag des Poetenfests in ihren restaurierten Räumen. Schauspieler hatten sich an verschiedenen Orten platziert und lasen Textauszüge aus Romanen der Poetenfest-Autoren der letzten Jahre.
Der Ansturm war groß. Nach dem Einlass strömte die Besuchermasse die Treppe zu den Bibliotheksräumen hinauf. Die Beleuchtung mit blauem Licht verlieh den Räumen mit ihren Stuckdecken eine geheimnisvoll-mystische Atmosphäre. Anfangs schienen die Besucher erst mal einen Eindruck gewinnen zu wollen, während sich schnell Gruppen aus Zuhörern um die vorlesenden Darsteller scharten und bald wieder weiterzogen zum nächsten Vorleser hinter der nächsten Ecke.
„Lese-Wandeln“ war das im wahrsten Sinne, ein Kommen und Gehen. Auch die Vorleser blieben nicht an einem festen Ort. Sie wanderten lesend umher, durch die Bücherregale, zwischen den Stockwerken oder blieben eine Weile stumm. Die klassische Situation einer einfachen Lesung war aufgelöst zugunsten performativen Freiraums. Viele der Schauspieler lasen mitreißend und hingebungsvoll, so dass das Zuhören zum Genuss wurde. Zur späteren Stunde saßen die Menschen sogar auf dem Boden, um einfach nur zu lauschen.
Das Konzept dieser Veranstaltung war erfrischend unkonventionell und spannend. Die neue Bibliothek wurde in ein besonderes, nächtliches Ambiente getaucht und die performativen Lesungen erfüllten jeden Literaturfreund mit Genuss.
Die Zuhör-Atmosphäre stellte sich allerdings erst langsam ein. Die Lesungen nahe der Treppe waren stets von der störenden Geräuschkulisse durchgehender Menschen begleitet. Mit wenigen Mitteln hätte man mehr Gemütlichkeit herstellen können, z.B. mit dem gedämpften Licht von Kerzen und Kissen zum Sitzen und Kuscheln. Ein großes Lob verdienen aber die vorlesenden Schauspieler, die mit so viel Leidenschaft die Freude an Buch und Literatur und den Spaß am Zuhören zu vermitteln vermochten.
Julia Heiserholt