Eine Reise zurück

Auf eine Reise zurück in die Vergangenheit nahm am 27. August 2010 der Dokumentarfilm „Die Frau mit den 5 Elefanten. Swetlana Geier – Dostojewskis Stimme“ von Vadim Jendreyko aus dem Jahr 2009 das Publikum des 30. Erlanger Poetenfestes.

Gezeigt wird das beeindruckende Leben Swetlana Geiers, einer Frau, die mit 85 Jahren alle fünf großen Romane Dostojewskis – die fünf Elefanten – übersetzt hat und damit als größte Übersetzerin der russischen Literatur ins Deutsche gilt. Getragen wird der Film von seiner Hauptdarstellerin, die mit dem unglaublichen Charisma einer intelligenten, hochgebildeten Frau die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen weiß. Ihr netter Humor und das Zusammenspiel zwischen Bild und Ton brachte nicht selten ein Schmunzeln auf die Gesichter des Publikums, gelegentlich provozierte es sogar ein herzliches Lachen. Dennoch kam auch die ernste Seite nicht zu kurz. Swetlana Geier lebte zur Zeit Stalins in Kiew – ihr Vater wurde zu einem der wenigen politischen Gefangenen der Stalin-Zeit, die aus ihrer Haft entlassen wurden. Er starb an den Folgen der Folter, der er im Gefängnis ausgesetzt war. Nach der Besetzung Kiews durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg arbeitete Swetlana Geier als Übersetzerin für die Deutschen – und das, obwohl ihre jüdische Freundin mit allen anderen Juden, die zur Zeit der Besatzung in Kiew waren, durch die deutsche Wehrmacht erschossen wurde. Swetlana Geier wurde ein Stipendium der Humboldt-Stiftung in Aussicht gestellt, und als die Deutschen Kiew aufgeben mussten, gingen sie und ihre Mutter nach Deutschland.

Die junge Ukrainerin studierte in Leipzig, arbeitete später an der Uni und arbeitet noch im Alter von 85 Jahren fleißig an Übersetzungen der russischen Literatur.

Der Film verstand es durch die Kombination von filmischen Aufzeichnungen aus der Zeit der Sowjetunion, heutigen Aufnahmen und Filmszenen, einen bewegenden Eindruck über das Leben dieser Frau zu vermitteln, die mit ihrer Begeisterung für die Sprachen und das Übersetzen Ehrfurcht einflößen muss. Da können auch leichte Anlaufschwierigkeiten, die der Film zu haben schien, leicht vergessen werden.

Zum krönenden Abschluss entließen der Regisseur und seine Hauptdarstellerin das Publikum mit einer wahrhaft amüsanten Szene, die im ganzen Publikum Anlass zu „herrlichem“ Gelächter bot!

Karima Wolter

Ausstellung: 30 Jahre Poetenfest in Bild und Ton

Die 30 Jahre, die das zweifellos legendäre Erlanger Poetenfest mittlerweile auf dem Buckel hat, wurde während der Festivalzeit im ersten und zweiten Rang des Markgrafentheaters anschaulich reflektiert. Die Ausstellung wurde vom Gründer des betagten Literaturfestivals und dem Journalisten Dirk Kruse zusammengestellt. Mit Foto- und Tondokumenten bot sie einen „audiovisuellen Spaziergang – gleichermaßen kurzweilig und erhellend“, wie es in der Eigenbeschreibung hieß.

Die Geschichte des Poetenfestes würde sicher Bücher füllen, aber die Ausstellung verzichtete auf viel Text und setzte ihren Schwerpunkt auf Bilder und Tondokumente. Letztere waren Aufzeichnungen vergangener Lesungen und Gespräche mit Autoren. Ein Pressespiegel, bestehend aus vergrößerten Kurzberichten mit zahlreichen Fotos vom Festivalgeschehen und teilnehmenden Personen, führte den Besucher durch die Poetenfeste von Beginn bis heute.

Das erste Poetenfest fand am 16. August 1980 erstmals eintägig auf dem Burgberg im Skulpturengarten von Heinrich Kirchner statt. Es gab ein „offenes Podium“, wo „Spontan-Lesungen“ möglich waren. Zwischen den Bäumen waren Spruchbänder aufgehängt und für die Kleinen wurde ein Puppentheater angeboten. In den folgenden Jahren wurde das Fest auf zwei, dann auf drei Tage (erstmals 1985) ausgeweitet.

Es war interessant die Entwicklung des Poetenfestes nachvollziehen zu können, zumal man als junger Mensch keinen blassen Schimmer davon haben kann, wie es „damals“ war. Vor allem die Bilder führen zur Erkenntnis, dass sich manche Dinge niemals ändern: die Fotografien von vorlesenden Autoren und zuhörenden Lesern, zuerst schwarz-weiß, dann zunehmend farbig, vermitteln den Eindruck eines friedlichen Gemeinschaftsgefühls, das aus der geteilten Liebe zur Literatur resultiert.

Veränderungen zeigen sich dafür umso mehr im Design der Programmhefte, die in Glasvitrinen zu sehen waren: In den 80 Jahren dominierten handgeschriebene Schriftzüge und Schreibmaschinentext, bis sich die Typografie in jüngerer Zeit zu differenzieren begann. Dasselbe gilt für die Poster. Schon anzusehen war die sichtbare Entwicklung in der Poster-Gestaltung von schlicht bis kräftig bunt.

Die Ausstellung erzählte nicht nur die Geschichte des Poetenfests, sondern auch die finanziellen Schwierigkeiten, mit denen die Organisatoren zu kämpfen hatten und bis heute haben. Es schien fast auch ein Aufruf zur Unterstützung zu sein. Das sah man am Plakat von 1992, das auf provokative und anklagende Weise keine Bilder und keine Berichte zeigte, nur gähnende Leere. Damals konnte das Poetenfest bedingt durch die Sparmaßnahmen der Stadt nicht stattfinden.

Julia Heiserholt

Junge Literatur unter rauschendem Grün

Am Nebenpodium II lasen am Samstagnachmittag vier viel versprechende Nachwuchsautoren, Hanna Rauh, Stefan Winter, Rebekka Knoll und Carolin Hensler.

Im Namen von Wortwerk präsentieren sie Kurzgeschichten, haben aber auch schon andere Formen ausprobiert, wie Rebekka, deren Theaterstück „Einfußinseln“ 2009 in Erlangen aufgeführt wurde oder Carolin Hensler, die bereits am vierten Teil einer bislang unveröffentlichten Fantasy-Jugendbuchreihe arbeitet. Rebekka war 2009 unter den Gründungsmitgliedern von Wortwerk, das schon ursprünglich aus Erlangen kommt, dann nach Nürnberg umgezogen ist und jetzt wieder neu auflebte in diesem Städtchen, wie Christian Schloyer, ein Urgestein von Wortwerk und Moderator des Nachmittags, noch einmal erklärte.

Die Blätter der Bäume im Schlossgarten rauschen gewaltig, als jede der drei Autorinnen und Stefan Winter zu ihren Geschichten greifen. Stefan ist ein sehr unkonventioneller Schreiber, er bedient sich sämtlicher Genres, will Grenzen durchbrechen, die man sich nur selber setzt. So lässt er mitten in seinem Vortrag Fragebögen austeilen. Ich weiß nicht so recht, was ich mit Fragen wie: „Stört es dich, dass ich krank bin? – Ja – Nein“ oder „Auf einer Skala von 1 bis 10, findest du mich sympathisch?“ anfangen soll, originell sind sie aber schon irgendwie. Hanna wählt eher den klassischeren Weg mit ihrer Geschichte „Nichtmusik“, sie beschreibt die Situation eines Konzerts, aus der Sicht des Musikers kurz vor Beginn. Da sie selbst lange Klavier gespielt hat, kennt sie den kurzen Moment von Lampenfieber vor einer Aufführung.

Carolin erzählt von einer Bäckereifachverkäuferin, die dem attraktiven und machtverliebten Adam verfällt. Als sie sich während der Studentenproteste im Audimax aufgehalten habe, sei ihr die Geschichte eingefallen. Und Rebekka erzählt die Sommerliebe von Nick und Line, die sich in Pantomime, Schreiben und Erklären à la Activity kennenlernen.

Frisch und originell kommen die Geschichten an, hoffentlich wird man noch viel von den aufgeweckten Schreibkünstlern zu hören und lesen bekommen!

Johanna Meyr

Zwischen Sonne und Sommerregen – Maike Albath: „Der Geist von Turin“

Eintönig prasselt der Regen gegen die Fensterscheiben, im Schloss im ersten Stock ist es aber gemütlich und angenehm warm. Im beinahe heimeligen Licht zwischen Holzsäulen lausche ich Maike Albath, die ihr Buch „Der Geist von Turin. Pavese, Ginzburg, Einaudi und die Wiedergeburt Italiens nach 1943“ vorstellt.

Die namhafte Literaturkritikerin schildert die kulturellen und politischen Verhältnisse in Italien unter Mussolini, in den 30er und 40er Jahren. Zu dieser Zeit schafften es drei junge Menschen, der Großbürger mit dem nötigen Kleingeld in der Tasche, Giulio Einaudi, der melancholische Dichter Caesare Pavese und Leone Ginzburg, einen Verlag zu gründen, der die Kultur Italiens bedeutend veränderte.

Die italienischen Namen der Orte und Personen rollen der gebräunten, sympathischen Autorin von der Zunge und verbreiten eine Sehnsucht im Raum, nach Sonne, Eis und Mittelmeer. Geboren in Braunschweig lebte sie lange Zeit im Stiefel, studierte in Turin und Padua, weiß also, wovon sie spricht. Von Ursula März durch den Abend geleitet, kann sie auch vom heutigen Italien erzählen, vom Müll in Neapel, der Mafia, der Kultur der Illegalität. Obwohl der Verlag Einaudi heute dem Berlusconi-Imperium angehört, kann er eine beeindruckende Geschichte aufweisen. Entstanden aus dem Geist des Widerstandes mitten im Faschismus, arbeiteten die drei Gründerfiguren hart am Erfolg.

Der elegante Einaudi mit seinem ausgezeichneten Geschäftssinn, der Bücher von hoher literarischer Qualität, jedoch für jeden erschwinglich, auf den Markt bringen wollte.

Der nietzschebegeisterte Pavese, der als Ausgangspunkt für viele Autoren diente und den Blick nach Amerika öffnete, brachte Internationalität nach Italien. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als der Verlag eine Institution war und er eine Auszeichnung für seine literarischen Werke bekommen hatte, wählte er den Freitod mit Schlafmitteln.

Ginzburg wurde, nachdem er die Partei abgelehnt hatte, verbannt, ein beliebtes Mittel, oppositionelle Intellektuelle zeitweise loszuwerden, wenige Jahre später starb er an den Folgen der Folterungen der Gestapo. Seine Frau Natalia war zeitlebens angesehene Lektorin im Verlag.

So gibt uns Maike Albath Einblicke in das Leben dieser drei interessanten Menschen und den Verlag, den sie gemeinsam aufgebaut haben. Eine warme italienische Brise streicht noch durch das Publikum, dann geht es wieder hinaus in den deutschen Sommer.

Johanna Meyr

Bibliophilie im Erlanger Schloss

Die mittlerweile dritte Buchkunst-Ausstellung fand Eingang in das Programm des Poetenfestes in Erlangen. Statt buchhandelstypischer Massenware bekam der Besucher die edlen Buchkunstwerke von 24 bibliophilen Kleinverlagen aus ganz Deutschland zu sehen und zu bewundern.

„Kunst“ sind sie allemal: Bücher, die sich durch eine hoch qualitative Ausstattung vom herkömmlich und billig produzierten Lesestoff deutlich abgrenzen.  Die meisten im Erdgeschoss des Erlanger Schlosses präsentierten Werke waren aufwendig mit originalen Grafiken versehen. Beim vorsichtigen Umblättern der dicken, rauen Papierseiten stieg einem sofort der intensive Geruch der Druckfarbe in die Nase. Die hochwertigen Holzschnitte, Radierungen und Linolschnitte stammten meist von frei arbeitenden Künstlern und Grafikern.

Die Ansichtsexemplare auf den einzelnen Ständen schienen fast zu kostbar zum Anfassen. Viele Verleger gingen sehr locker mit dem Umstand um, dass sich auf den Ansichtsexemplaren wohl oder übel Gebrauchsspuren ablagern würden. Andere wiederum stellten weiße Stoffhandschuhe bereit mit dem Hinweis diese vor dem Berühren der Werke überzustreifen. Verständlich, denn die guten Stücke erscheinen in kleinen Auflagen von 20 bis 50 Exemplaren, wie in Erfahrung zu bringen war.

Die Freiheit der Gestaltung gilt definitiv auch in der Buchkunst. Die Formate, Materialien und Typografien bezeugten einen großen kreativen Freiraum. Viele Bücher könnten aufgrund ihrer Größe oder ihrer ungewöhnlichen Form niemals in ein Bücherregal gestellt werden. Verschiedenen Kuriositäten brachten sicher jedermann zum Schmunzeln, wie z.B. Buchseiten aus Wellpappe, Servietten und sogar Kaffeefiltern! Im Angebot waren außerdem Karten, Lesezeichen, Poster und weitere kleine, nette Dinge.

Die meisten Verleger sind merklich engagiert in ihrer Arbeit. Ausführlich und redselig erzählte zum Beispiel Klaus Raasch von der edition klaus raasch aus Hamburg von seinen Buchkünstlern und erklärte die eingesetzten grafischen Techniken.

Fest steht aber, dass Bibliophilie kostspielig ist. So kostet eine Ausgabe von Charles Baudelaires „Die Blumen des Bösen“ vom Dresdener Verlag widukind-presse stolze 680 Euro.
Aber Bibliophilie bedeutet ja nicht nur Sammel- und Kaufwut, sondern auch eine ausgeprägte Liebe zu Büchern, die sicher vielen Poetenfest-Besuchern eigen ist. So war die Ausstellung zu recht gut besucht, denn Bücher sind etwas fürs Auge… nicht nur beim Lesen.

Julia Heiserholt