(5/6) Der smarte Stil des Mittelalters

Der gotische Kathedralbau war zu seiner Zeit ebenso revolutionär wie heute das Smartphone. Nicht die einzelnen äußeren Merkmale, Strebebögen, Kreuzrippengewölbe, Spitzbogen und Buntglasfenster sind entscheidend für den gotischen Stil, sondern die neuen Proportionen, die Wirkungen von Licht und Schatten und das neue Raumgefühl, das sie vermitteln.

Bamberger Dom, Modellfenster im südlichen Seitenschiff. Foto: Thomas Werner

‚Pulchritudo‘, die Schönheit des Kirchenraums entstand durch das Licht, das durch die Buntglasfenster herein scheint. In einer Zeit ohne elektrische Beleuchtung war Licht ein Symbol Gottes, weshalb die meisten Kirchen nach der aufgehenden Sonne ausgerichtet sind. Der Bamberger Dom nach dem Vorbild der Peterskirche in Rom – nach Westen.

Das ganze mittelalterliche Welt- und Menschenbild war auf den Himmel ausgerichtet, von dem die Kathedralen eine Vorahnung bieten. Die Portale, Skulpturen und Buntglasfenster der gotischen Kathedralen erzählenin ganzen Bilderserien die Geschichte Gottes mit den Menschen: Geschichten aus der Bibel und der Tradition der Heiligen, mit zahlreichen Querverweisen von der Fassade in den Innenraum, von Stein zu Glas und zurück – für das Volk, von dem die wenigsten lesen und schreiben konnten. Lange vor dem Betriebssystem ‚Windows‘ (Fenster) haben die Buntglasfenster das Programm einer Kathedrale illustriert. Während wir ignorant oder rätselnd davor stehen und keinen Zusammenhang mit unserem Leben erkennen, hatten die Menschen im Mittelalter andere Sehgewohnheiten. Sie konnten die Bibel aus Stein und Glas dechiffrieren, wie wir es heute mit Internetseiten gewohnt sind.

Teil 6/6 ab Dienstag 4. Dezember 20:00h

Thomas Werner

(1/6) Mein Smartphone ist eine Kathedrale

Mit dem Christkönigssonntag am 25. November endet das Jubiläumsjahr 1000 Jahre Bamberger Dom: Anlass für eine kleine Serie über Kathedralen und das Smartphone. Sie haben mehr gemeinsam als dies auf den ersten Blick erscheint.

Durch ein Symposium zu seiner Geschichte, eine Reihe von Orgelkonzerten, eine Sonderausstellung im Diözesanmuseum und die Installation von moderner Kunst trat der Bamberger Dom deutlicher als sonst ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Im Gästebrief des Erzbistums schrieb Erzbischof Dr. Ludwig Schick: „Diese Kathedrale von Weltrang ist zuerst ein Haus Gottes für die Menschen“. Ihre Funktion hat sich im Lauf der Jahrhunderte oft gewandelt, denn jede Epoche hat dem Bauwerk ihren Stil aufgeprägt.

Der Bamberger Dom von Süden gesehen. Foto: Thomas Werner

Wie andere Kathedralen auch ist der Bamberger Dom ein Sinnbild des himmlischen Jerusalem und eröffnet für seine Besucher einen virtuellen Raum. Die Grenzen zwischen Touristen und Gläubigen, die den Dom aufsuchen, sind fließend. Welcher neutrale Besucher ist nicht angetan von der würdevollen Fassade, von der Erhabenheit des Raumes und seiner Ausstattung. Der 1012 geweihte Heinrichsdom brannte 1081 und 1185 nieder. Beim Wiederaufbau im dreizehnten Jahrhundert entwickelte sich der Stil vom Ost- zum Westchor weiter. Weiterlesen