„Goldroger“ – Ein Interviewschatz zu „Diskman Antishock“ Teil 1

Bild: Frederike Wetzels

„Goldroger“ hat aktuell viel zu erzählen. Das fällt nicht nur auf, wenn man sich seinen beiden Releases „Diskman Antishock 1+2“ anhört, sondern auch bei unserem Interview, dass wir im Sommer dieses Jahr online führten. Dieses extrem spannende und aufschlussreiche Gespräch wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten. Deswegen folgt hier Teil 1 des XXL-Interview. Im ersten Teil erfahrt ihr mehr über die Gedanken hinter den aktuellen „Goldroger“ Releases, einen Ausblick auf die musikalische Zukunft und was der Künstler Dürrer mit alldem zu tun hat.

Reflex: Wir hatten 2017 schon einmal ein Interview.  In diesem habe ich dich gefragt, wie es mit zukünftigen Projekten aussieht.  Du meintest damals, dass irgendetwas anstand. Ob Album, Mixtape oder EP wusstest du da noch nicht wirklich. Waren das schon die ersten Arbeiten an „Diskman Antischock“?

Goldroger: Ich glaube wir hatten tatsächlich zwei Tage vorher den Beat von „Wie leicht“ gebaut. Und ich hatte die Hook schon, aber noch keinen Text. Da hatten wir aber auch Songs, die am Ende den Cut nicht gemacht haben.

Aber das ist ja eigentlich schon crazy, weil da ja wirklich fast zwei Jahre dazwischen waren. Ist das dann so ein langer Entstehungsprozess, in dem du dann auch viele Dinge über den Haufen wirfst?

So war das eigentlich gar nicht geplant. Aber es ist privat viel passiert in dem Jahr. Und dann haben wir auch insgesamt mit „Avra“ (Anm. d. Red.: Gemeint ist sein Album „Avrakadavra“) über hundert Konzerte gespielt. Das habe ich auch unterschätzt. Dann war ich länger krank. Und dann hat sich das so gezogen, dass wir erst so richtig im August / September 2018 angefangen haben. Anschließend haben wir auf jeden Fall so circa ein Jahr an den Songs gearbeitet.

Ich finde auch, um gleich nochmal auf das Gesagte zurückzukommen, dass, als ich den ersten Teil von „Diskman Antischock“ gehört habe, mir so drei Motive hängen geblieben sind. Rebellion, Reflektion und Drogenkonsum. Als wir 2017 geredet haben hast du gesagt, dass zwei Motive, die sich durchs Leben ziehen, für dich Liebe und Tod sind. Ich finde die Motive sind hier auch immer noch gut zu finden.  Siehst du das auch so und welche Motive waren vielleicht noch wichtig für die Projekte?

Diesmal war das gar nicht so. Bei „Avra“ habe ich viel mehr überlegt, dass ich das so und so möchte und das ganze konstruiert. Bei den „Diskman“-Sachen habe ich das ein bisschen mehr fließen lassen.  Ich glaube auch, dieses Drogen und Depression Ding, das kommt ja meist zusammen vor. Ich weiß das gar nicht. Die Frage kam jetzt öfter in Interviews, aber ich vermeide das meist bei der Platte. Ich kriege das nicht so klar für mich selber eingeordnet wie „Avra“. Was eigentlich ein gutes Zeichen ist, weil ich glaube, dass das dann näher an mir dran ist.  Weil je näher etwas an einem selbst ist und je weniger konstruiert, desto weniger kann man das glaub ich selber greifen.

Ich finde aber der zweite Teil von „Diskman Antischock“, ist noch weniger greifbar, das kommt da noch mehr durch.  Wenn ich mir da die Reimketten anschaue: Das war ja zum Beispiel beim Song „Lip Gallagher“ so: „Tony Hawk, Anime, Ruhrpott, NRW, […]“. Dass du da diese abgehakteren Stichworte reinwirfst. Ich finde, dass diese Art von Rap und Reimketten im zweiten Teil noch einmal stärker vertreten sind. Ich finde da wirkt das noch verwobener.

Tatsächlich. Ich finde generell ist der Zweite auf jeden Fall ein bisschen gerappter (grinst). Man merkt, dass er glaube ich insgesamt mehr Text als der erste Teil hat. Und ja ich hatte auch das Gefühl, dass beim ersten Teil vielleicht alles ein bisschen thematisch näher beieinander ist und das beim Zweiten so total aufbricht. Aber wie gesagt, ich habe die meisten Songs eigentlich in der gleichen Phase gemacht. Und dementsprechend ist das für mich immer alles eins. Ich habe das vielleicht am Ende so aufgeteilt, dass das ein bisschen…, aber da ist auch viel Zufall drin in der Aufteilung.

Das wundert mich jetzt schon. Neben, dass ich finde, dass der zweite Teil nicht so strukturiert – das klingt immer so negativ-, aber vielleicht einfach komplexer wirkt, finde ich auch, dass der zweite Teil auch ein bisschen fröhlicher von dem Soundbild und von den Texten hoffnungsvoller wirkt. „Horcrux“ fällt natürlich ein bisschen raus

Das kann auf jeden Fall sein. Von den Texten definitiv. Ich überlege gerade kurz noch einmal. Was ist auf dem Ersten? Auf dem Ersten ist der fröhliche Song eigentlich „Lavalampe Lazer“. Und selbst da schwimmt ja so eine gewisse Melancholie mit. Und der fröhlichste auf Teil zwei wäre so dieser „Uu“. „Parabelflug“ ist auch super fröhlich, aber auch da ist ja immer so eine wehmütige Note bei.

Wobei ich „Parabelflug“ lyrisch wieder sehr runterziehend finde.

Nö sonst… Ich glaube beim ersten war es mir überhaupt wichtig nach „Avra“, ich wusste jetzt nicht wie die Leute so mit der neuen Musik klar kommen, dass es ein bisschen stringenter ist, als ich es aufgeteilt habe. Und beim Zweiten hatte ich dann das Gefühl: „Okay jetzt können die Leute das einordnen“. Die haben so eine Basis, wie sie das anknüpfen können vom Kopf her. Und dann konnte ich das wieder ein bisschen mehr aufbrechen. Mal ein Boom Bap Song ohne Drums und so was. Stimmt eigentlich, der Zweite ist auf jeden Fall experimenteller vom Sound her.

Generell ist das Konstrukt von den beiden Dingern wie du schon sagst sehr experimentell und musikalisch vielfältig. Ich habe auch in einem Interview gesehen, dass du es dir selbst zum Ziel gesetzt hast musikalisch Zeichen zu setzen. Ein bisschen rauszuhauen was so geht. Die Facetten ein bisschen zu zeigen.

Du hast ja auch bei Puls gesagt, dass ein dritter Teil kommen wird. Weil nur so zwei Teile, das geht nicht.

(lacht). Da habe ich mich auf jeden Fall irgendwie reingeritten.

Steht der Plan denn noch?

Joa der Plan steht. Manchmal verwerfe ich den. Ich glaube es ist keine Frage ob irgendwie noch ein „Diskman“ Teil kommt.  Die Frage ist für mich glaub ich eher gerade, ob der dritte Teil jetzt als nächstes kommt, oder ob ich mir dieses „Diskman“-Ding in der Zukunft vielleicht so bewahre, dass ich immer mal wieder etwas mache. Entweder gibt’s „Diskman 3“ jetzt und dann ist das fertig, oder es kommt erst etwas anderes was ein bisschen „Avrakadavra“ ähnlicher ist. Dann kommen aber auch noch „Diskman 4, 5, 6“ keine Ahnung. Da frage ich mich gerade selbst, wie ich das jetzt will. Am Anfang hatte ich da eine klarere Vision, aber so ist das halt wenn man etwas Kreatives macht. Pläne ändern sich on the go. Aber aktuell haben wir jetzt zwei Tracks aufgenommen, die für mich schon eher so „Diskman 3“-Vibes sind.

Was wären denn „Diskman 3“-Vibes? Wie würde sich das soundtechnisch gestalten?

(grinst) Ich mache einfach das, worauf ich Bock habe und denke nicht so viel nach ob das jetzt… Also bei „Avrakadavra“ habe ich sehr viel über alles nachgedacht. Und ich würde so etwas auch gerne noch einmal machen. So ein Konzeptalbum. Weil ich das Gefühl habe, dass es einfach nicht mehr so viele Alben gibt. Es kann natürlich auch sein, dass das Format in 5 Jahren vielleicht einfach wirklich durch ist.  Und ich will einfach auch noch einmal ein Album mit einer so stringenten Soundvision machen. Also „Diskman“ hat natürlich auch irgendwie einen stringenten Sound. Weil die Jungs alles produziert haben. Dienst & Schulter.  Aber es ist doch schon eher so ein Spielplatz für mich, auf dem es keine Regeln gibt.  Und bei „Avra“ gab es schon irgendwie so ein paar Regeln. Und ich habe auf jeden Fall Pläne für so ein Album im Hinterkopf. Die Frage ist, mache ich das jetzt, oder mache ich jetzt erst einmal noch eine Phase, wo ich noch ein paar Tracks mache.

Du hast die Produktion angesprochen. Zum Beispiel bei „Bomberman“ habe ich das Gefühl im Hintergrund unterschiedliche Soundbilder aus dem Videospiel erkennen zu können, die eben gesampled worden sind. Dann hat man ja zum Beispiel „Horcrux“, was ja auch irgendwann dieses Solo hat, das musikalisch, auch vom Beat, sehr beeindruckend ist. Wie viel hast du auf die Beats mit eingewirkt und wie hast du die gepickt?

Auch da ist es unterschiedlich. Tatsächlich war „Bomberman“ so ein Beat, bei dem wir immer hin und hergegangen sind. Also es war erst nur dieser Loop der im Intro läuft. Dann fand ich das geil und habe so ein paar Zeilen drauf gerappt. Dann kamen die Drums. Dann fand ich es irgendwann langweilig und wollte noch diesen Beat Change drinnen haben, womit wir dann noch ein Fragment aus einem anderen Beat hatten. Also der Song ist sehr viel immer mit jedem – mit jedem Stück Beat das dazu kam, kam wieder ein Stück Text dazu. Und wir haben jetzt die ganze Zeit zusammen an dem Song gearbeitet.

Bei „Horcrux“ war es tatsächlich so, dass ich den Part – diesen langen Rap-Part – auf einen anderen Beat geschrieben hatte. Und dieser Beat, der es schlussendlich geworden ist, den hatte ich vorher schon die ganze Zeit liegen. Und erst als ich darauf mal gerappt habe kam Moritz von Dienst & Schulter mit dieser Idee: „Okay es braucht jetzt noch diesen Moment, es muss emotional jetzt noch etwas passieren“. Das ist aber dann nicht im Text passiert, sondern im Beat mit diesem Solo. Es ist oft so eigentlich, dass es bei diesem Album jetzt so war, dass ich von den Jungs relativ simple Loops bekommen habe und wir sie dann zusammen ausgearbeitet haben. Ich überlege mir schon oft beim Schreiben, wie ich es gerne arrangieren würde: „Oh hier hätte ich gerne irgendetwas, was wir noch nicht haben“. Und dann bauen wir diese Sachen im Studio zusammen, die meiner Meinung nach noch für den Song fehlen.

Du hast es jetzt gerade ja auch Album genannt. Weil mir war es ehrlich gesagt nicht klar, was es denn genau jetzt ist. Ist es denn ein Album?

(grinst) Ich weiß es selber nicht. Also ich definiere das für mich immer noch am ehesten so: Irgendwie gibt es von irgendeinem Künstler / von irgendeinem Maler immer solche Studien. Das heißt. Von Dürrer gibt’s irgendwie ganz viele Bilder von Händen von verschiedenen Winkeln, bevor er das faltende Hände Bild, dass es schlussendlich geworden ist, gemalt hat. Für mich hat sich das alles so angefühlt. Ich habe ja weitaus wesentlich mehr Skizzen gemacht als schlussendlich rausgekommen sind. Und für mich war es einfach so eine große Phase des Ausprobierens und für mich Sachen lernen. Und vielleicht jedes so für sich, hat so eine Herangehensweise, so einen Vibe von einem Mixtape. Vom Umfang wär es glaube ich eine EP. Und wenn man das aber alles zusammen nimmt. Die EPS zusammen ob es jetzt 2 oder 3 am Ende sind, dann ist das das Album. Aber keine Ahnung. Das ist super schwer. Wenn es etwas zu verkaufen gibt ist es immer wichtig, dass es Album heißt. Mir jetzt nicht wichtig, aber Labels und so. Das ist super schwierig da ein Wort für zu finden. Es ist auf Fall etwas anderes als bei „Avrakadavra“. Jetzt nicht von der Wertigkeit auch. Nur weil das ein Mixtape ist. Für mich hat zum Beispiel „DAMN.“ von „Kendrick Lamar“ im Vergleich zu „To Pimp A Butterfly“ auch einen eher Mixtape ähnlichen Vibe. Und ich finde „DAMN.“ ist die bessere Platte, obwohl das für mich das eher „tapigere“ Ding ist. „To Pimp A Butterfly“ ist aber das ambitioniertere künstlerische Konzept. Und so was würde ich das für mich glaube ich eher als Album definieren. Nach der Definition wäre „Diskman“ kein Album. Vielleicht als Ganzes. Schwierig, das ist schwierig.

Das ist wirklich schwierig.

Wie du sagst ist bei „Kendrick Lamar“ genau das gleiche Prinzip. Auch bei „Childish Gambino“.  Zum Beispiel „Camp“ hat finde ich auch ein ganz anderer mixtapigerer Vibe.

Genau.

Ich habe hier jetzt noch einmal eine Zeile. Und zwar in „Wie leicht“ kommt: „Was ist passiert, wie wurde ich vom Held dieser Handlung, vom Fels in der Brandung, zum Kiesel im Schuh?“. Das war so eine Textstelle, bei der ich den Song erst einmal pausieren musste. Ich fand die irgendwie krass so.

(lacht) Danke. Die finde ich auch am besten, die Zeile.

Die hat mich wirklich ein bisschen umgehauen in dem Moment. Wir waren gerade schon beim Prozess. Wie kommst du dann zu den Textpassagen die so durchdacht sind? Ist das spontan, ist das lange Arbeitszeit, hast du irgendwie einen Trick wie du drauf kommst?

Witzig auf jeden Fall, dass du die Zeile ansprichst, weil ich hatte die Zeile glaube ich schon vorher. Also ich hatte die Zeile glaub ich schon 2015. Ich glaube seit ich anfange Musik zu releasen hatte ich diese Zeile. Irgendwann losgelöst ist mir das Wortspiel eingefallen. Und das ist bei vielen Sachen so. Ich hab so Notizen, wo so einzelne Zeilen oder Themen stehen. Aber ich kann das dann auch nicht unbedingt erzwingen. Als dann der Beat da war und ich diese Hook mit dem „Ich denk an dich, denkst du an mich?“ und auch das Thema hatte, weil es für mich noch recht frisch war mit der Trennung, da wusste ich so: „Yo jetzt kommt die Zeile“. Aber manchmal ist das so, dass ein Thema oder eine Zeile oder ein Blickwinkel auf irgendetwas jahrelang bei mir rumliegt und irgendwann weiß ich aber: „Okay jetzt ist der Zeitpunkt wo es kommt“.  Andere Zeilen fallen mir oft auch einfach über den Reim oder so ein. Es gibt echt kein Erfolgsrezept dafür. Außer geduldig sein (lacht). Es klappt nie, zumindesten bei mir nicht. Ich glaube so „Kollegah“ oder „Ali As“ können das bestimmt. Aber ich kann das nicht so auf Kommando. Was manchmal ein bisschen nervig ist, aber it is what it is.

                                                                                     Das Interview führte Nico Hilscher

Weiterführende Informationen zum aktuellen und kommenden Releases, sowie die Möglichkeit das Album oder Tourtickets zu erwerben, findet ihr auf den Social Media Kanälen von „Goldroger“ (Facebook und Instagram) und Landstreicher Booking.

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