Erlangen in Grün. Am vergangenen Samstagabend fand die nun schon neunte Lange Nacht der Wissenschaften statt, bei der wieder tausende wissensdurstige Menschen in Nürnberg, Fürth und Erlangen interessanten Vorträgen lauschten, informative Ausstellungen besuchten und spannende Experimente bestaunten.
Mit über 1000 Programmpunkten bzw. Veranstaltungen war das Angebot auch dieses Jahr am 19. Oktober wieder riesig. Trotz des tagsüber eher weniger vielversprechenden Wetters klarte es in der Nacht ausreichend auf, sodass am Abend und bis in die tiefe Nacht ein reges Menschen-Gewusel das Stadtbild bestimmte. Lange Schlangen bildeten sich an den Abendkassen und besucher-begrenzten Veranstaltungen, die Leute strömten in den extra eingerichteten Shuttle-Bussen von Programmpunkt zu Programmpunkt oder versammelten sich vor faszinierenden Ausstellungsstücken um ihren Wissensdurst zu stillen.
Zwischen virtuellen Zeitreisen und dem Ende der Demokratie
In der Orangerie wurde am frühen Abend das internationale Projekt der European Time Machine vorgestellt, welches die größte europäische allgemein-zugängliche und digitale Datenbank der Geisteswissenschaften darstellt. Hierfür werden aus Scans antiker Bücher, Gebäude uvm. Muster erkannt und dadurch Rückschlüsse auf die Vergangenheit gezogen. Tagesaktuell können diese Scans z.B. beim Wiederaufbau der Notre Dame in Paris sehr hilfreich sein, da schon vor dem katastrophalen Feuer Scans und 3D-Modelle erstellt wurden. Das Ziel soll es sein, virtuelle Zeitreisen antreten zu können.
Prof. Dr. Heiner Bielefeldt zeigte in einer Vortragsreihe des Centre for Human Rights Erlangen-Nürnberg (CHREN) und des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Öffentliches Recht welchen Stellenwert und welch große Bedeutung die lokale Presse für die Demokratie und die Menschenrechte hat. Leider habe der Journalismus und die Presse im kommunalen Raum kaum mehr eine Chance der Lügenpresse entscheidend gegenzuwirken. Für einen gelungenen Gegenschlag im öffentlichen Diskursraum brauche es „professionellen Journalismus“. Falsch und nicht ordentlich aufbereitete Inhalte im schnelllebigen Internet sind hierfür kein probates Mittel. Der frühere Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrates legte auch dar, dass der Verlust der Möglichkeit miteinander ohne ein Vokabular der Rücklosigkeit zu reden „das Ende der Politik und der Anfang des unilateralen Tweets sei.“
Dieses Defizit kann sich die (national- und weltpolitische) Demokratie in ihrem aktuellen Zustand nicht leisten. Markus Hörath, Redaktionsleiter der Erlanger Nachrichten, nahm auch an der Diskussion teil und berichtete Besorgniserregendes: 2034 wird die letzte gedruckte Tageszeitung erscheinen. Sinkende Auflagenzahlen und eine zu geringe gesellschaftliche Wertschätzung der Journalisten beschleunigen diesen Prozess auch zunehmend. Eine Stimme aus dem Publikum meinte auch zu Recht: „Der Zustand bzw. der Begriff der vermeintlichen Anonymität im Internet wird dazu genutzt untermenschlichste Regungen auszuleben und damit andere Leute anzugreifen.“ Gegen diese Strömungen sei man oft machtlos – es wäre auch das Ende des Lokaljournalismus. Ein Ende der Lokalzeitung bedeutet auch das Ende der Demokratie. Und die Lokalzeitung wird verschwinden.
Riesige Wissensbegierde
Spannende Vorlesungen der Vortragsreihe „Die Zeichen der Zeit“ füllten auch das Audimax. Besonders attraktiv waren Themen wie der Klimawandel (Prof. Dr. Wolfgang Kießling), die Raumzeit (Prof. Dr. Hanno Sahlmann) oder Zeitbilder im Science-Fiction-Film (Dr. Sven Grampp). Es wurde aber auch geklärt, warum wir im Kino weinen (Prof. Dr. Kay Kirchmann): Die Filmemacher triggern ganz bewusst mit verschiedensten Mitteln eines der menschlichsten Dinge überhaupt – das Weinen. Drehbuchautoren nutzen hierzu oft die Ohnmacht der Zuschauer: Wir wollen, dass Person X und Person Y zusammenfinden und sind dann umso mehr zerbrochen, wenn es nicht klappt. Auch nicht ganz unschuldig für triefende Nasen und nasse Augen ist anschwellende Musik. Aber egal welche Beweggründe es sein mögen, ob aus Trauer oder Freude, keiner sollte sich im Kino für Tränen schämen müssen.
„Wissenschaft im Rausch“
Selbsttests aller Art lockten den ganzen Abend über Wissbegierige an. Beim Sprachtest des Sprachenzentrum der FAU konnte man computerbasiert seine eigenen sprachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse in Deutsch, Englisch und weiteren Sprachen testen und die Auswertung gleich mitnehmen. Außerdem konnte man beim Universitätsklinikum zum einen mit einem Blick durch die „Rauschbrille“ erleben, wie man im betrunkenen Zustand seine Umwelt wahrnimmt und zum anderen durch den Alterssimulationsanzug GERT die typischen Einschränkungen älterer Menschen erfahren.
Das ungemein große und nahbare Angebot an Programmpunkten ist also sicherlich das Erfolgsmodell der Langen Nacht der Wissenschaften, denn nicht nur teils anspruchsvolle Theorie, sondern auch aktuelle Themen wie der Klimawandel oder das Impfen wurden wissenschaftlich diskutiert. Die nächste Lange Nacht der Wissenschaften findet im Oktober 2021 statt.
Dieser Artikel stellt nur einen groben Abriss der Veranstaltungen der Tour W01 Erlangen Nord dar.
Von Sebastian Schroth