Interview zu der Tanzperformance „Morph?!“

Alexandra Rauh und Gunnar Seidel sind zwei bekannte Namen, die hinter verschiedenen Aufführungen stehen. Wir wollten das starke Künstler-Duo näher kennen lernen. Zuletzt konnte im Nürnberger KunstKulturQuartier für kurze Zeit „Trigger“ besucht werden. Beeindruckt von der Inszenierung haben wir uns diesmal von „Morph?!“ inspirieren lassen. Direkt nach der Tanzaufführung hatten wir natürlich auch ein paar Fragen und Anmerkungen an die beiden.

Nu: Habt ihr das Stück zusammen geschrieben?

Rauh: Wir hatten ein gemeinsames Thema! So fangen wir meistens zusammen an. Zu diesem Thema suchen wir Ideen, Bewegungsmaterial und Szenen und die probieren wir dann erst mal alle aus. Das ist die erste Probenphase und in der zweiten Probenphase sortieren wir dann aus. Also was passt thematisch jetzt dazu und was nicht und wie bauen wir das Stück zusammen. Schreiben kann man das in dem Sinne nicht nennen.

Seidel: Thematisch haben wir uns mit den Generationen befasst, wie man auch am Ensemble sieht. Die jüngste Tänzerin ist 18, die älteste 66. Mit der Frage was die voneinander lernen können – die Generationen in alle Richtungen. Damit einhergehend auch das Thema Familie, denn das ist der Mikrokosmos, in dem die Generationen aufeinandertreffen. Es gibt auch immer wieder Konstellationen, die auf Familie verweisen.

Nu: Da wurden auch sehr viele Rollenbilder herausgearbeitet, auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Woran habt ihr gedacht als ihr die einzelnen Rollen bearbeitet habt?

Rauh: Wir sind nicht von Rollen ausgegangen sondern von der Altersstufe. Familie war so der Rahmen für uns, aber der ist nicht generell da. Es gibt eine Choreografie die immer wieder kommt, wie eine Struktur. Das heißt für uns System – praktisch wie so ein Tagesablauf. Man steht auf, man geht in die Schule oder in die Arbeit, man hat bestimmte Pflichten zu erledigen und das haben wir versucht in eine einfach Form zu übersetzen, in ein Bewegungssystem, das sich immer wiederholt. Insofern haben wir nicht mit Rollen gearbeitet. Wir haben auf Begriffe wie Mutter, Bruder, Vater verzichtet – weil es mehr um die Altersstufen geht.

 

Nu: Wir waren jetzt gemeinsam mit einer Schulklasse im Publikum, mir sind bestimmte Reaktionen aufgefallen, Bemerkungen zu Rollenbildern – das passiert ja irgendwie automatisch.

Seidel: Zuschauer kreiieren immer sofort Rollen. Ich muss ja nur dastehen und mir wird ein Charakter zugeordnet. Das passiert von ganz allein und wenn man so eine familienähnliche Konstellation auf der Bühne hat, dann erkennt man das. Wir spielen damit und es ist ja auch in Ordnung dass man Rollen sieht. Wir spielen dann aber auch mit den Erwartungen, die man an diese vielleicht vorgefertigte Rolle hat. So dass man erkennen kann, nur wenn eine Person alt ist, heißt das nicht dass sie nicht zu Hiphop tanzen kann oder laut Gitarre spielen kann oder verliebt sein kann oder sonst was. Da spielen wir mit den Erwartungen.

 

Nu: Interessant fand ich auch die ganzen Zitate. „Ich bin alles du bist nichts!” oder auch „bei Regen Fußball zu spielen“ dass zum Teil aus Kinderstimmen bestand. Wie habt ihr das zusammengesetzt?

Seidel: Das sind Audioaufnahmen die ich im Rahmen der Vorbereitungsworkshops gesammelt habe, das ganze läuft ja im Rahmen des Kulturrucksacks, das ist ein Förderprogramm von verschiedenen Stiftungen und der Stadt Nürnberg, die diesen Kindern den kostenlosen Eintritt zu den Aufführungen ermöglicht haben. Im Rahmen dessen gibt es Vor- oder Nachbereitungsworkshops und da hab ich die Fragen gestellt. Entweder “Welche Regeln gibt es zuhause?” oder “Was möchtest du gerne von deiner Oma lernen?” oder “Was möchtest du deinem Opa gerne beibringen?” Das sind Interviews die ich geführt habe, die wir zusammengeschnitten haben und daraus eine Auswahl getroffen habe. Das erste Zitat, ist in dem Sinne kein Zitat sondern aus der Improvisation entstanden, in den Lehrstunden wo die Jüngste dem älteren Tänzer ihren Tanzstil zeigt. Also Cheyenne macht viel Breakdance, viel Hiphop und zeigt jemandem, der damit überhaupt nichts zu tun hat und auch aus einer ganz anderen Generationen entspringt, ihren Style. Das Zitat stammt von ihr.

Jathu: Gibt es für die Kinder die jetzt da waren auch einen Nachbereitungsworkshop?

Seidel: Die meisten haben einen Vorbereitungsworkshop und einige Klassen haben eine Nachbereitung. Vor- und Nachbereitung kann nicht gewährleistet werden, das ist auch eine finanzielle Frage.

Rauh: Das sind jetzt insgesamt 70 Klassen. Bis Dienstag spielen wir jeden Vormittag.

Nu: Ist eine bestimmte Zielgruppe anvisiert?

Seidel: Der Kulturrucksack richtet sich an die Altersstufe 8-10 und tendenziell an Schulen aus marginalisierten Stadtteilen, wo Kinder jetzt nicht von Haus aus viel Zugang zu Kultur haben. Der Kulturrucksack ermöglicht zu dem auch noch Besuche im Museum, im Schauspiel oder Konzertbesuche.

Rauh: Morph ist geeignet für Kinder im Alter von 8-12.

Seidel: Wobei wir schon Wert darauf legen, dass Erwachsene das Stück auch besuchen. Da versuchen wir uns nicht so sehr an unsere Zielgruppe anzubiedern.  Es hat eine gewisse Allgemeingültigkeit und die kann man sich im jeden Alter anschauen, da kann man viel rauslesen, in jedem Alter, wir versuchen da alle Altersstufen ernst zu nehmen.

Rauh: Es ist nicht so, dass wir sagen das ist ein Stück für Kinder. Wir orientieren uns an der Altersstufe. Ich arbeite ja teilweise mit Kindern dieser Altersstufe im Rahmen der kulturellen Bildung an Schulen und mache da Projekte. Mittlerweile ist es so, dass Tanzstücke oder Tanztheaterstücke für Kinder, im Prinzip auch für Erwachsene sind. Es ist nicht dieses klassische „Wir machen jetzt ein nettes Stück für Kinder”.

Jathu: Ich war mir nicht sicher ob die Kinder manche Stellen verstanden haben.

Rauh: Vieles wird unterschätzt. Die Kinder in diesem Alter sind noch viel freier, assoziativ zu denken als Erwachsene. Erwachsene suchen immer Struktur und Faden. Die Kinder suchen das oft gar nicht. Die sehen ein Bild und dann ist da dieses Bild, in dem nicht der Gesamtzusammenhang gesucht wird – und gefragt wird: Was soll uns vermittelt werden.

Seidel: Das Visuelle bleibt lange hängen. Ich kenne das aus meiner eigenen Kindheit, wo ich dieses eine Bild vor Augen hatte und jetzt ordne ich dem plötzlich einen anderen Sinn zu. Zuvor war das einfach nur ein Bild. Man kann nie ganz einschätzen was für eine Langzeitwirkung Theater letztlich hat. Bilder bleiben.

 

Die Performance ist definitiv empfehlenswert.

Zwei Termine gibt es noch:                                                           

  • 25.06.2018, 10:00 Uhr    
  •  26.06.2018, 10:00 Uhr

Das Interview führten Nu – Nursel Esma Ayar und Jathu – Jathurshan Jayethevan.

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