Mit anderen Augen

"Sworn Virgins", Qamile #1, Albanien 2008 © Pepa Hristova

Pepa Hristova: „Qamile #1, Albania“, 2008, aus der Serie „Sworn Virgins“, 2008/2010, Archiv Pigmentdruck, 123 x 90 cm, © Pepa Hristova

Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte. Möchte man also ein Buch über eine Fotoausstellung schreiben, wie viele Wörter wären da notwendig? Unter dem Titel „Mit anderen Augen“ werden derzeit in Nürnberg in der Kunsthalle Nürnberg und dem Kunsthaus Porträtfotografien von über 40 internationalen Künstlern gezeigt. Hier der wagemutige Versuch all das in einem Artikel zu komprimieren. In unter 1.000 Worten.

Nie zuvor wurden so viele Porträts angefertigt wie heute – und zwar innerhalb weniger Sekunden und mit nur ein bis zwei Fingerbewegungen. Streng genommen spricht man zwar nicht von Porträts im eigentlichen Sinne, sondern von Selfies, aber trotzdem wird auf eine altbewährte Kunstform zurückgegriffen. Viele der bekanntesten Kunstwerke und Fotografien zeigen Gesichter: Man denke etwa an Leonardo da Vincis „Mona Lisa“, das freche Zungenfoto von Albert Einstein oder die fast schon ikonische Aufnahme des kubanischen Revolutionsführers Che Guevara. Einer der Pioniere der modernen Porträtfotografie war August Sander, der in den 1920er-Jahren mit seinem großangelegtem Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ einen beinahe universalen Ansatz verfolgte: Der Kölner wollte sämtliche gesellschaftliche Gruppen und Berufsbilder in Porträtform dokumentieren. Dass dieser Ansatz noch heute modern ist, zeigt die Ausstellung „Mit anderen Augen“ allzu gut. Der Geist Sanders ist in vielen der Porträtserien wiederzufinden.

Drei Fotoserien – drei Eindrücke

Porträtfotografien bewegen sich zwischen den beiden Gegenpolen Enthüllung und Verhüllung. Die Fotoserie der gebürtigen Bulgarin Pepa Hristova spielt gekonnt mit diesen Gegensätzen. Vordergründig zeigen ihre Porträts Männer vor einer schroffen Landschaft oder in kargen Wohnräumen. Doch tatsächlich handelt es sich bei den Porträtierten um Frauen. Im Norden Albaniens leben die sogenannten Burrneshas – dies sind Frauen die als Männer gekleidet das Amt des familiären Oberhauptes übernehmen. Die Frauen sind in ihrer männlichen Rolle gesellschaftlich akzeptiert und müssen im Gegenzug einen Schwur auf ewige Jungfräulichkeit abgeben. Zweimal zog es die Fotografin Pepa Hristova in den vergangenen Jahren in die Berge Nordalbaniens, um die „Sworn Virgins“ zu porträtieren. Ihre Fotografien zeigen auf intime Art und Weise, wie über die Jahre die Männlichkeit von den Frauen Besitz ergriffen hat und geben einen Einblick in das wenig bekannte Leben einer albanischen Minderheit.

Viele Fotografen nutzen die Macht ihrer Kamera, um kritische Fragen aufzuwerfen. So etwa die Porträtserie „Permanent Error“ von Pieter Hugo, welche die dunkelsten Schattenseiten unserer Konsumgesellschaft beleuchtet. Der Südafrikaner reiste für seine berühmte Fotoserie zum wahren Ende der Wertschöpfungskette, wie es wohl in keinem wirtschaftlichen Lehrbuch zu finden ist. In der Peripherie von Ghanas Hauptstadt Accra befindet sich eine der größten Elektromülldeponien Afrikas, die den eindrucksvollen Schauplatz seiner Aufnahmen bildet. Die Porträts sind als Videoaufnahmen inszeniert. Im Vordergrund ist ein junger Mann in unbewegter Position zu sehen, sein eindringlicher Blick fixiert die Kameralinse. Hugo lässt den Arbeiter aus seiner Anonymität heraustreten und somit eine Verbindung mit dem Betrachter entstehen, der man sich nur schwer entziehen kann. Hinter dem Porträtierten spielen sich die alltäglichen Szenen der Mülldeponie ab, in der die jugendlichen Arbeiter eingehüllt von giftigen Rauchwolken nach zu verwertenden Metallen suchen. Es sind Bilder, die betroffen machen.

Frau B., Helfenberg, 1997, 27 x 21,5 cm Johannes, Helfenberg, 2001, 32,5, x 23,5 cm C-Prints Leihgabe des Künstlers, Foto: Annette Kradisch Foto: Annette Kradisch ©

Frau B., Helfenberg, 1997, 27 x 21,5 cm
Johannes, Helfenberg, 2001, 32,5, x 23,5 cm, C-Prints, Leihgabe des Künstlers,  Foto: Annette Kradisch

Die Aufnahmen der Norwegerin Mette Tronvoll entstanden in Ny-Ålesund, einer kleinen Ortschaft der Inselgruppe Spitzbergen. Das Dorf ist in vielerlei Hinsicht durch seine Extreme geprägt: Im Winter leben nur eine Handvoll Einwohner in Ny-Ålesund – es gibt eine Poststation sowie ein Hotel. Dabei erlebten die wenigen Dorfbewohner einen intensiven Strukturwandel: Während bis in die 1960er-Jahre intensive Kohleförderung betrieben wurde, sind heute zahlreiche internationale Forschungsstationen ansässig. Die nördlichste Siedlung der Welt entwickelte sich somit zu einer Art nordischem Mekka der Klimaforscher. In ihrer Porträtserie „Svalbard“ gibt die norwegische Fotografin intensive Einblicke in das Leben von Ny-Ålesund. Viele der Porträts zeigen die Forscher vor der beeindruckenden, weiten Landschaft Spitzbergens. Vor dem Hintergrund einer vom Klimawandel bedrohten Erde stilisiert Tronvoll hier Mensch und Natur im vermeintlich harmonischen Einklang.

Wer sich ein eigenes Bild von der sehenswerten Ausstellung „Mit anderen Augen. Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie“ machen möchte, hat noch bis zum 15. Januar 2017 die Möglichkeit.

Anja Groß

Bildmaterial: http://www.mit-anderen-augen.info/

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