Willkommen zurück in London liebe Leser… obwohl halt, London gibt es ja gar nicht. Eine Stadt, eine Metropole gar, hat nie existiert. Klingt absurd? Ist es auch, schließlich sprechen wir hier von der Hauptstadt Englands, der Machtzentrale des einstigen Empires. Und dennoch…
Wer wissen möchte, was hinter dieser Behauptung steckt, der möge den Weiterlesen Button klicken und mir in ein wahrhaftiges Abenteuer folgen, da der Winter naht. Doch bevor es los geht noch ein paar Worte der Information, denn es handelt sich hierbei um ein Buch, das an vier vorangegangene Werke des Autors Christoph Marzi (1. Lycidas, 2. Lilith, 3. Lumen und 4. Somnia) anknüpft.
Normalerweise schreibe ich hier jetzt einen eher Klappentextartigen Abschnitt, um nicht zu viel über den Inhalt des Buches zu verraten, damit der Leser noch etwas davon hat, aber diesmal wird es ein wenig anders laufen. Nennen wir es einfach Eigenheit der Verfasserin.
Trotzdem schicke ich den eigentlichen Klappentext noch kurz voraus, danach könnt ihr selbst entscheiden, ob ihr euch entweder spoilern lassen wollt oder nicht. Ihr entscheidet, ob ihr (bestenfalls) losziehen und erst die Vorgänger lesen wollt, oder ob ihr doch gleich mit diesem Buch einsteigen wollt (auch gut). Immerhin bietet es genügend Rückblenden, um auch ohne die anderen vier Bände der Handlung folgen zu können. Jetzt aber zum Klappentext:
„Schwere Schneeflocken tanzen in der Dämmerung, als Emily Laing das erste Mal London nicht mehr findet. Doch wie kann das sein? Eine ganze Stadt verschwindet doch nicht einfach so. Mitsamt all ihren Schornsteinen, Bewohnern und Geheimnissen. Hat das vielleicht etwas mit den beiden seltsamen alten Damen zu tun, die Emily entführen? Oder hängt es mit dem Waisenmädchen zusammen, das plötzlich auf den Stufen einer U-Bahn-Rolltreppe auftaucht? Noch einmal müssen Emily und ihre Gefährten, der Alchemist Wittgenstein, Maurice Micklewhite und die kluge Ratte Mina, in die Tiefen der Uralten Metropole hinabsteigen. Denn hier, in der magischen Stadt unter der Stadt, liegt die Antwort. Und die Gefahr …“[1]
Und jetzt zum Buch. Diesen neuen Band zu lesen, war und ist immer noch, wie ein nach Hause kommen. Nach all den Jahren der Pause ist plötzlich alles wieder da, die Erinnerungen kommen zurück… und man wird sofort ins Abenteuer gezogen.
Wie bereits eingangs erwähnt, existiert London auf einmal nicht mehr und die Protagonistin Emily Laing scheint die einzige zu sein, die diesen Umstand als höchst merkwürdig empfindet, schließlich wohnt sie doch dort. Auf eine recht mysteriöse Weise gelangt sie, durch das Eingreifen zweier alter und sehr, sehr merkwürdiger Damen, dennoch zurück nach London. Ein London, in dem der Schnee begonnen hat unaufhörlich zu fallen. Schnee, der die sonst so laute und quirlige Stadt in eine gespenstische Stille hüllt. Eine allumfassende Stille.
In diesem Wetterchaos trifft Emily zufällig auf ein kleines Waisenmädchen, welches sich nicht an seine Vergangenheit erinnern kann. Es weiß nur noch, dass es nach seinem Fundort, Piccadilly Mayfair benannt wurde und dass es vor einem „Mann“ ohne Augen auf der Flucht ist.
Doch Zufälle gibt es nicht, nur Rästel die gelöst werden müssen, so die unumstößliche Meinung von Emily Laings Mentor, Master Mortimer Wittgenstein, der doch gelegentlich irgendwie an Professor Severus Snape erinnert. Und so machen sich die beiden, mit Hilfe ihrer Freunde daran, eine Lösung für das Rätsel bzw. die Rätsel um Picca, den „Augenmann“ und das vermeintliche Verschwinden Londons zu finden. Dabei geschieht allerlei Abenteuerliches, teilweise Undenkbares und noch so viel dazwischen, denn es tauchen diverse Gegner unserer Freunde auf und nie weiß man, wer eigentlich die Fäden wirklich in der Hand hält. Ist es der Duke? Ein Gebilde, halb Mensch halb Maschine, oder ist es der Lord Kanzler von Kensigton a.k.a. Anubis, der ägyptische Gott der Unterwelt, oder ist es gar der mysteriöse stille Gentleman, der gelegentlich auftaucht und Emily scheinbar rettet? Begleitet werden diese Figuren von allerlei gruseligem Getier. Dabei sind die Schnee- und Werwölfe noch die niedlichsten, wenn auch extrem blutrünstigen, Vertreter von allen. Glücklicherweise gibt es aber auch noch freundlichere Gestalten in dieser Geschichte. Wie z.B. die Freunde von Emily und Wittgenstein, sowie ein junger Mann, der mehr als nur Zivilcourage im Angesicht des drohenden Todes zeigt.
So oder so, ob das Buch gut ausgeht oder nicht, werde ich hier nicht verraten, dafür müsst ihr die Geschichte schon selber lesen. Nur so viel: es lohnt sich!!
Christoph Marzi ist, meiner persönlichen Meinung nach, einer der besten Autoren, die es derzeit gibt. Seine Art zu schreiben sucht seinesgleichen. Nach allem, womit man heutzutage sonst so im schriftmäßigen Bereich bombardiert und teilweise zugemüllt wird, sind seine Bücher ein sicherer Zufluchtsort. Sein Schreibstil und die Art und Weise wie er mit der Sprache umgeht, tun einfach nur gut. Angenehm für Aug und Ohr wenn man so will. Es zieht einen in seinen Bann und lässt einen nicht mehr los. Da sind die gelegentlichen Anspielungen und Anleihen aus Filmen und Musikstücken ein schöner Bonus. Speziell in diesem Fall werden Leser, die den Film Speed und Sherlock Holmes kennen, wissen was ich meine, wenn sie an die entsprechenden Stellen kommen. Darüberhinaus bewundere ich die Art des Autors, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen einzufangen und in seine Romane einzubauen, und wie fantasiereich er sie mit der eigentlichen Geschichte verbindet.
Genau wie bei seinen Vorgänger-Bänden befindet man sich auf einer emotionalen Achterbahnfahrt. Man lacht, weint und fiebert mit den Figuren. Wobei ich sagen muss, dass ich mich bei diesem Band ein wenig wie bei Game of Thrones gefühlt habe: Häng dein Herz an keinen der Charaktere, denn sie werden sterben!
In diesem Sinne: Winter is coming.
Carmen Käuflin
Christoph Marzi: London – Ein uralte-Metropole-Roman
Heyne‹
703 Seiten
ISBN: 978-3-453-31665-2
Preis: 14,99 €
[1] Marzi 2016, Rückseitiger Klappentext