Hollywood-Märchenonkel Steven Spielberg versucht sich an einem Werk des Meisters des britischen Humors Roald Dahl. Kann das gut gehen? Nicht wirklich. Sehenswert ist BFG – Big Friendly Giant trotzdem.
Die Geisterstunde beginnt nicht um Mitternacht, sondern um 3 Uhr morgens. Dann ist die junge Sophie (Ruby Barnhill) das einzige wache Kind in ihrem Londoner Waisenhaus. Wenn sie nicht gerade unter der Bettdecke liest, verbringt sie ihre Nächte mit einsamen Streifzügen durchs Haus, sortiert die Post des Vortags – und stolpert eines Nachts über einen leibhaftigen Riesen (Mark Rylance), der durch die dunklen Straßen schlendert. Ehe sie weiß wie ihr geschieht, findet sich Sophie im Riesenland wieder. Zum Glück merkt sie schnell, dass sie von ihrem geheimnisvollen Entführer nichts zu befürchten braucht – ihr Riese ist Vegetarier und verbringt seine Zeit damit Träume in Einmachgläsern zu fangen. Das gilt aber nicht für seine neun Brüder, die Nacht für Nacht ausziehen, um ihren Appetit auf Menschenfleisch zu stillen. Sophie und ihr neuer Freund versuchen sie aufzuhalten – und suchen sich dafür mächtige Verbündete.
Instant-Stockholm-Syndrom
Der Film beginnt vielversprechend langsam. Eine knappe Viertelstunde lang führt uns die zehnjährige Protagonistin ohne echte Dialoge in die Welt des nächtlichen Waisenhauses ein. Spielberg setzt den Ton dabei gekonnt irgendwo zwischen Fantasie und Realität – im schlafenden London verwischen die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit zusehends. In dieser kindlichen Zwischenwelt erscheint auch ein acht Meter großer Riese nie fehl am Platz, was auch an Rylances per Motion Capture eingefangener großartiger Darstellung liegt. Ohne ein Wort zu sprechen erschafft er eine geheimnisvolle Aura um seine Figur, die weit über ihre physische Präsenz hinausgeht. Wie zuletzt bei Tim und Struppi zeigt Spielberg wieder einmal wie respektvoll und detailverliebt er sich seinen literarischen Vorlagen nähert.
Leider endet die verträumte Atmosphäre mit der Ankunft im Riesenland recht abrupt. Wie um nach dem ruhigen Anfang wieder Zeit gut zumachen verliert das Drehbuch keine Zeit, die Zufallsbekanntschaft der beiden Außenseiter binnen weniger Dialogzeilen zu einer engen Freundschaft auszubauen. Dass Sophie gegen ihren Willen entführt wurde und jetzt in ständiger Gefahr lebt, als Riesensnack zu enden ist dabei überraschend schnell vergessen. Insbesondere nachdem klar wird, dass sie nicht die erste Besucherin im Riesenland ist und ihr Gastgeber alle früheren Kinder an seine menschenfressenden Brüder verloren hat, hätte dieser Punkt etwas mehr Klärung bedurft. In seinem Versuch Dahls kindlich-naiven Ton durch etwas düsteren Realismus anzureichern, steht sich der Film so gelegentlich selbst im Weg – nicht nur weil die vorlaute Besserwisserin Sophie eine denkbar schlechte Besetzung für einen ernsthaft gruseligen Monsterfilm abgibt.
Erfrischend blutrünstig
Allgemein gelingt es selten, den britisch-distanzierten Humor der Vorlage einzufangen. Damit wirken die tatsächlich komisch gemeinten Szenen gelegentlich etwas fehl am Platz. Zum Glück wurde der Furzhumor, dem in der 1989er Zeichentrickversion noch ein ganzer Song gewidmet wurde, hier auf zwei Szenen beschränkt. Dafür wirkt der ernstere Erzählton Wunder bei der Darstellung der neun bösen Riesen. Spielberg bleibt auch hier der Vorlage treu und präsentiert blutrünstige Killer, die tatsächlich regelmäßig Menschen fressen – und damit vermutlich mehr auf dem Kerbholz haben als alle Monsterhorden der Herr der Ringe-Filme zusammen.
Für diesen spektakulären Aufbau fällt der tatsächliche Kampf gegen die Riesen dann allerdings etwas knapp aus. Besonders weil der Film dem seltsamen Royalismus der Vorlage folgt und das Problem schnell an die Königin von England (Penelope Wilton) abschiebt, die gegen Ende überraschend zur dritten Hauptfigur wird. Auch der finale Einmarsch britischer Streitkräfte ins Riesenland läuft weniger spektakulär ab, als man es von Hollywood erwarten könnte. Militärische Interventionen sind 2016 wohl selbst in Kinderfilmen nicht mehr so einfach wie zu Dahls Zeiten.
Simon Lukas
BFG – Big Friendly Giant läuft aktuell im Cinecitta‘ in Nürnberg.