Trauerarbeit mit Snackautomat

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Davis (Jake Gyllenhaal) tanzt aus der Reihe Bild: Fox

Mit Demolition – Lieben und Leben schickt Regisseur Jean-Marc Vallée Jake Gyllenhaal in eine selbstzerstörerische Abwärtsspirale. Nachdem er nacheinander seine Frau, seinen Job und sein Haus verliert deuten alle Zeichen auf ein warmherziges Selbstfindungsdrama – doch der Regisseur wählt einen anderen Weg. Zum Glück.

Davis (Jake Gyllenhaal) lebt den amerikanischen Traum: Er hat einen lukrativen Job als Investment-Banker, ein schickes Vorstadthaus und eine reiche Frau (Heather Lind) – sein größtes Problem ist der kaputte Kühlschrank. Doch ein unachtsamer Moment auf der Autobahn lässt das Kartenhaus einstürzen. Seine Frau stirbt bei einem Verkehrsunfall, Davis selbst kommt wie durch ein Wunder ohne ernste Verletzungen davon. Ganz allein in seinem großen Haus entwickelt er mit der Zeit seltsame Hobbies, schreibt seitenlange Beschwerdebriefe an eine Snackautomatenfirma und lässt seinen Frust an Alltagsgegenständen aus. Zuerst demontiert er seinen kaputten Kühlschrank, aber als er beginnt, die Büroeinrichtung auseinander zunehmen muss ihn sein Chef – und Schwiegervater – nachhause schicken. Dafür werden Davis‘ Beschwerdebriefe endlich beantwortet und er lernt die sympathische Kundenservice-Mitarbeiterin Karen (Naomi Watts) kennen.

Tanz durch den Verkehr

Regisseur Jean-Marc Vallée macht schnell klar, dass es ihm nicht um eine typische Familientragödie geht. Davis merkt noch vor der Trauerfeier, dass er seine Frau nicht wirklich vermisst – ja, dass er sie eigentlich nie wirklich geliebt hat. Diese Erkenntnis wirft den Banker völlig aus der Bahn und treibt ihn in immer absurdere Situationen. Wenn schon keine Trauer, dann will Davis wenigstens irgendetwas fühlen und verschreibt sich der körperlichen Arbeit. Erst demontiert er seinen Kühlschrank, dann reißt er – sehr symbollastig – ganze Häuser ein. Gleichzeitig bricht er aus beruflichen und sozialen Zwängen aus. Im Meeting kritzelt er unbeteiligt auf dem Tisch herum und philosophiert lieber über das Innenleben der Standuhr als über die Börsenkurse und im uniformen Gewimmel der New Yorker Straßen tanzt er durch Menschenmassen und quer durch den Verkehr.

Gyllenhaal fängt das langsame Abgleiten in die Anarchie eindrucksvoll ein – wie schon in Donnie Darko lässt er seinen Protagonisten spielerisch zwischen zynischer Vernunft und düsterem Wahnsinn hin- und herwechseln. Zum Glück finden diese Eskapaden nicht im luftleeren Raum statt, sondern werden immer wieder durch Nebencharaktere geerdet – und haben Konsequenzen. Dabei vermeidet Vallée geschickt zu flache, klischeehafte Darstellungen. In den Tanzszenen scheint Davis die einzige lose Schraube in einem sonst perfekt geölten System zu sein, doch auf den zweiten Blick hat jede Figur ihre ganz eigenen Kämpfe auszutragen. Sein Chef ist kein herzloser Kapitalist, sondern ein trauernder Vater, der nur vermeiden möchte, dass seine Standuhr auseinander genommen wird. Und auch Kundenservice-Brieffreundin Karen bleibt nur so lange die simple potentielle Ersatzfrau, bis zum ersten Mal leibhaftig in Davis‘ Leben auftaucht.

Waldspaziergang mit kugelsicherer Weste

abrisskomando

Davis und Chris (Judah Lewis) als Abrisskomando Bild: Fox

Denn schon bald wird klar, dass die allein erziehende Karen ihre ganz eigenen Probleme hat. Über lange Briefe und nächtliche Telefonate nähern sich die beiden langsam an – wobei sich der deutsche Untertitel Lieben und Leben erfreulich schnell als Etikettenschwindel entpuppt. Romantische Stimmung kommt zwischen den beiden nicht mal beim gemeinsamen Strandspaziergang auf. Stattdessen entdeckt Davis seinen Kinderwunsch neu und probiert in den bizarrsten Szenen des Films seine Erziehungsmethoden an Karens Sohn Chris (Judah Lewis) aus.

In der letzten halben Stunde wird die Beziehung zwischen dem Banker und dem verzogenen Teenager plötzlich zum emotionalen Ankerpunkt des Films. Dass Karen hier ins erzählerische Abseits gerät – und ihr Ex-Freund auf die Rolle des simplen Schlägertypen beschränkt bleibt – ist nur ein kleiner Preis um die vorsichtige Freundschaft zwischen den Außenseitern Davis und Chris zu beobachten. Wenn die beiden im Wald mit Pistolen und einer kugelsicheren Weste herumalbern, oder aus einer Laune heraus, Davis‘ Vorstadthaus einreißen, scheint der Film schon auf der Zielgeraden zum Happy End. Dass es dennoch anders kommt und Regisseur auf den letzten Metern eine dramatische Wendung nach der anderen aus dem Ärmel schüttelt, ist seine große Stärke und verhilft Demolition – Lieben und Leben zu einer erfrischend ehrlichen Botschaft. Manchmal ist es schwer, in ein neues Leben zu finden. Aber es kann trotzdem Spaß machen, das alte kaputt zu schlagen.

Simon Lukas

Cinecitta‘

Mittwoch, 6. Juli, bis Montag, 11. Juli

18.15 Uhr

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