„Überraschend“ beschreibt das Theaterprojekt von Laurin Thiesmeyer und Tobias Malcharzik wohl am besten. Ein Theaterexperiment im Experimentiertheater. 75 Minuten, in denen die Zuschauer immer wieder überrascht werden. Selbst im Theater ist es gewagt, wenn Zuschauer Schauspieler küssen sollen. Doch: Das Experiment gelingt und macht dem Publikum sichtlich Spaß.
Am Anfang war … Leere. Die Aufführung fängt mit nichts geringerem als der Entstehung der Welt an und wird nach wenigen Minuten unterbrochen. Laurin schlüpft aus der Rolle, macht scheinbar als Privatmensch eine Pause. Eine Zigarette lang. Beim Rauchen spricht er über die Lücke in seinem Bart und das Thema ihrer Aufführung: Individualismus. Tobias – Tobi – redet in seiner Raucherpause über den Titel: „Was ich gewagt haben würde, gedacht zu haben“. Erklärt die deutsche Grammatik: „Past, present and future – all mixed in one sentence.“
Die Pause endet. Aus dem Off sind Laurins Gedanken als Sprachaufnahme zu hören. Der Schauspieler geht auf einen Zuschauer zu, lächelt ihn an. Die Off-Stimme sagt: „Ich biete dir an, mich zu küssen.“ Er hat einen bereitwilligen Zuschauer gefunden, der mitspielt.
In einer anderen Szene schält Laurin eine Zwiebel, Schicht für Schicht, und vergleicht sie mit einem Menschen, den man Stück für Stück näher kennenlernt, bis zum Kern. Tobi versucht es dann mit einem Blumenkohl. Er bricht ein Röslein heraus und hält es neben den großen Blumenkohl – „krass ähnlich“. Alle Blumenkohlröslein sind mit den anderen verbunden. Auf den Menschen übertragen: Jeder ist allein und einzigartig, aber anderen Menschen ähnlich und mit ihnen dadurch verbunden.
Am Ende war … Verbundenheit. Die Schauspieler holen Zuschauer auf die Bühne. Auch mich. Plötzlich bin ich Teil der Aufführung, sitze neben ein paar anderen Menschen auf einem Gymnastikball. Keine fremden Menschen, sondern ähnliche. Das Thema der Aufführung ist am eigenen Leib erfahrbar. Individuell und gleich sein – das widerspricht sich nicht. Eine wunderbare Erfahrung für all jene Zuschauer, die sich auf die Situation einlassen.
Patricia Achter
„Was ich gewagt haben würde, gedacht zu haben“ wurde beim 26. Arena-Festival am 10. Juni 2016 aufgeführt. Diesen und weitere Artikel findet ihr im Festival-Blog.