
Die Podiumsdiskussion fand im Senatssaal statt.
„Hat die Universität die Aufgabe sich einzumischen oder soll sie in ihrem Elfenbeinturm bleiben?“ Das ist eine Frage der Literaturwissenschaftlerin und Diskussionsmoderatorin Christine Lubkoll am Abend des 11. April 2016. Der Tag, an dem die Ringvorlesung „Die Flüchtlingsfrage – interdisziplinäre Perspektiven“ mit einer Podiumsdiskussion eröffnet wird. Allein durch diese Veranstaltung, meint sie, verlasse man den Elfenbeinturm. Und der Vizepräsident für Internationales, Günter Leugering, spricht von den Chancen und Möglichkeiten des Diskurses an der Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Ob die Diskussion spannend wird?
Für die Antwort gilt es, Geduld zu haben. Denn zuerst werden ausführlich alle Teilnehmer der Diskussion vorgestellt: Vertreter der Universität, der Stadtverwaltung und des Theaters Erlangen sowie der Nürnberger Nachrichten. Auffallend ist, dass alle sich in irgendeiner Weise für Flüchtlinge einsetzen. Alle neun Diskussionsteilnehmer haben zum Thema des Abends Integration und gesellschaftliche Verantwortung eine ähnliche Meinung.
Eine Krise der Flüchtlingspolitik
Bevor die eigentliche Diskussion eröffnet wird, bekommen die Zuhörer im gut gefüllten Senatssaal im Erlanger Kollegienhaus einige Fakten. In Erlangen sind etwa 1.500 Flüchtlinge untergebracht, vor allem aus Syrien, Irak, Ukraine, Iran, Äthiopien. Das Projekt der FAU, geflüchteten Menschen ein Studium zu ermöglichen, hat etwa 1.000 Menschen aus einem großen Einzugsgebiet (von Kitzingen bis zur Oberpfalz) zu Einzelberatungen nach Erlangen gelockt. Seitdem gab es Deutsch-Kurse, und Brigitte Perlick (Leiterin des Referats für Internationale Angelegenheiten der FAU) rechnet damit, dass rund 120 Teilnehmer im Sommer ein Sprachniveau erreichen, mit dem sie auf Deutsch studieren können.
Wie geht es weiter? Jeder in der Runde kommt zu Wort. Alexander Jungkunz von den Nürnberger Nachrichten sagt beispielsweise: „Wir versuchen, gegen die Spaltung zu arbeiten, die es in der Flüchtlingskrise gibt, und gegen die Vorstellung der einfachen Lösungen vorzugehen.“ Katja Ott, Intendantin des Theaters Erlangen, versteht das Theater als Ort der öffentlichen Debatte: „Wir brauchen eine Gesellschaft, die integrationsbereit ist.“ Markus Krajewski (Centre for Human Rights) gibt zu bedenken: „Wir sollten nicht von einer Flüchtlingskrise sprechen, sondern von einer Krise der Flüchtlingspolitik.“
Man muss sich nicht auf jede Position einlassen
Nach verschiedenen Beiträgen, die miteinander zu tun haben, aber sich nicht direkt aufeinander beziehen, beginnt die eigentliche Debatte. Man einigt sich, dass Kommunikation miteinander wichtig sei. Die Universität müsse mehr mit Inhalten an die Öffentlichkeit gehen. „Kultur und Wissenschaft müssen sich einmischen, um durch Diskussionen eine Meinungsbildung zu ermöglichen“, findet Katja Ott. „Wir dürfen nicht nur im Kopf reflektieren, sondern müssen auch praktisch tätig werden“, so Eva Knöferl (FAU INTEGRA). „Wir versuchen, Wissenschaft so zu vermitteln, dass sie eingeht in die gesellschaftliche Wirklichkeit“, sagt die Moderatorin Christine Lubkoll. Und Markus Krajewski spricht davon, dass es in der Wissenschaft viele Erkenntnisse schon lange gebe, wie Fluchtursachen oder völkerrechtliche Sollbruchstellen. „Das ist eine unbequeme Wahrheit, die darauf hinweist, dass die Politik seit Jahren versagt hat.“ Applaus des Publikums.
Schließlich kommt eine entscheidende Frage aus den Zuschauerreihen: „Wie kann man alle Menschen abholen?“, woraufhin Aussagen kommen wie:
„Begegnen, kennenlernen halte ich für die einfachste Form der Integration.“ (Katja Ott)
„Es gibt Positionen, auf die wir uns gar nicht einlassen müssen.“ (Markus Krajewski)
„In Erlangen gibt es ein Gleichgewicht, zum Beispiel ist der Erlangen-Pass für Bedürftige und Flüchtlinge da. Niemand muss neidisch sein.“ (Amil Sharifov, Stadt Erlangen)
Offen für alle?
Nicken und Zustimmung der Anwesenden zu allen Beiträgen. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, die Diskussion einmal zu hinterfragen. Kann man das überhaupt eine „Diskussion“ nennen? Niemand ist hier, der eine leicht abweichende Meinung hat, so scheint es. Es wird so oft betont, wie wichtig Kommunikation sei: Zwischen Universität und Öffentlichkeit, zwischen den Flüchtlingen untereinander, zwischen Einheimischen und Flüchtlingen, kurzum: zwischen allen. Die FAU will kein Elfenbeinturm sein, die Ringvorlesung ist für alle Menschen geöffnet. Wirklich alle? Wie passt es zusammen, dass eine öffentliche Debatte gefordert wird, aber niemand an der Diskussion teilnimmt, der anders denkt? Wir müssen uns auf manche Positionen gar nicht einlassen? Es ist doch Aufgabe der Wissenschaft, verschiedene Positionen anzuhören, zu debattieren, zu streiten. Zur Meinungsbildung gehören auch gegensätzliche Meinungen dazu. Deswegen wirkt die Podiumsdiskussion etwas paradox.
Ringvorlesung zum Thema Geflüchtete
Interessant sind die vorgestellten Projekte der einzelnen Redner. Vor Kurzem ist das Forum für Integration und interkulturellen Dialog (FAU INTEGRA) gegründet worden. Es dient als Vernetzungsstelle für FAU-Aktivitäten zum Thema Geflüchtete und hat die Ringvorlesung für das Sommersemester 2016 geplant. Eine Vorlesungsreihe, die mit ihren Inhalten tatsächlich den Elfenbeinturm verlässt und sich dadurch in aktuelle Themen einmischt, die gesellschaftlich und politisch bedeutsam sind.
Es gibt Vorträge aus den unterschiedlichsten Perspektiven zur Flüchtlingsfrage. Das Programmheft verspricht Vorlesungen über Flüchtlingsrecht, Fluchtursachen, Menschenrechte und mehr. Es wäre schön, wenn die Inhalte der Vorlesung und der Flüchtlingsforschung wirklich in die Öffentlichkeit getragen werden würden. Niederschwellig und verständlich für alle. Das bleibt die größte Herausforderung: Alle Gesellschaftsschichten mit den großteils abstrakten Erkenntnissen aus der Wissenschaft zu erreichen. Wenn das gelingt, ist eine Brücke zwischen Bürgern und Elfenbeinturm gebaut.
Patricia Achter
Weitere Termine der Ringvorlesung „Die Flüchtlingsfrage – interdisziplinäre Perspektiven“ gibt es hier. Teilnehmer der Podiumsdiskussion: Amil Sharifov, Flüchtlingskoordinator der Stadt ErlangenKatja Ott, Intendantin des Theaters Erlangen
Alexander Jungkunz, stellvertretender Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten
Prof. Dr. Günter Leugering, Vizepräsident für Internationales
Prof. Dr. Petra Bendel, Zentralinstitut für Regionenforschung
Prof. Dr. Markus Krajewski, Centre for Human Rights Erlangen-Nürnberg
Dr. Brigitte Perlick, Leiterin des Referats für Internationale Angelegenheiten
Prof. Dr. Christine Lubkoll, Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturgeschichte Eva Knöferl, FAU INTEGRA