Es gibt Menschen, die zuerst die letzte Seite eines Buches lesen und dann entscheiden, ob sie es kaufen. Ob das für den Roman Warten auf Gianni. Eine Liebesgeschichte in sieben Jahren von Susanne Scholl empfehlenswert wäre? Auf keinen Fall, dann wäre der riesige Überraschungseffekt dahin. Das Ende wird hier deshalb nicht verraten. Nur die ersten, sagen wir mal, 200 Seiten.
Das Buch ist in sieben Kapitel eingeteilt, jedes widmet sich einem Lebensjahr der Protagonistin Lilly:
Erstes Jahr
Lilly verbringt zum ersten Mal ihren Sommerurlaub mit italienischen Freunden in Sardinien. Zuvor hat sich ihr Ex-Freund von ihr getrennt – neue Liebe, Kind, Heirat (er, nicht sie). Lilly flieht in die sardische Sonne. Sie lernt Gianni kennen, freundet sich mit ihm an.
Zweites Jahr
Wieder Sommer, wieder Sardinien. Gianni und sie verstehen sich „wie beste Freundinnen“. Es kommt zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen beiden, dann verläuft der Urlaub harmonisch.
Drittes Jahr
Im Urlaub auf Sardinien geht Lilly mit Gianni und ihren anderen italienischen Freunden zu einer Lesung. In diesem Urlaub erzählt Gianni ihr sein erstes Märchen, über sich und seine Frau und seinen Sohn. Richtig, von Frau und Kind wusste Lilly von Anfang an. In seiner Beziehung kriselt es aber. Ach ja, und am Ende des Urlaubs merkt Lilly, dass sie sich in Gianni verliebt hat. In den nächsten Monaten schreiben sie sich zwei, drei E-Mails.
Viertes Jahr
Gianni kommt verspätet nach Sardinien, ohne Lilly das zu erklären. Sie ist enttäuscht. Und sie macht ihm eine Liebeserklärung, woraufhin er sagt: „Ich hab dich sehr gern, aber…“. Nach dem Urlaub haben sie kaum Kontakt.
Fünftes Jahr (noch etwa 80 Seiten)
Diesmal bringt Gianni seinen Sohn mit in den Sommerurlaub, sie unternehmen verschiedene Ausflüge. Gianni erzählt Lilly eine Horrorgeschichte. Nach ihrem Abschied schreibt er ihr eine SMS: „Du fehlst mir schon. Gianni.“
Sechstes Jahr (noch etwa 50 Seiten)
Lilly nimmt ihren schwulen besten Freund Theo mit in den Urlaub. Sie wollen Gianni eifersüchtig machen. Gianni erzählt ihr in diesem Urlaub wieder ein Märchen, eine Liebesgeschichte, in der auch sie selbst eine Rolle spielt. Gianni fährt vorzeitig nach Hause zu seinem Sohn. Einige Monate später fragt er sie, ob sie ihn an Weihnachten in Rom besuche. Sie fährt nach Rom zu ihm und ihren anderen Freunden. (Inzwischen hat er sich von seiner Frau getrennt.)
Siebtes Jahr (noch etwa 20 Seiten)
Sardinien. Gianni und Lilly fahren allein, vielmehr zu zweit, auf eine kleine Insel … (noch sieben Seiten)
Fazit
Neben dem Erzählstrang „Gianni und Lilly“ passieren in Lillys Leben auch andere Dinge. Ihr Vater schreibt ein Buch, ihre beste Freundin heiratet und stirbt (Nach der Hochzeit. An Krebs.), ihr Bruder heiratet, sie findet einen neuen Job. Alles ganz nett, eine Lektüre für den Sommerurlaub. Vielleicht für einen Sommerurlaub auf Sardinien?
Der Haken ist nur, dass die liebe Lilly, die von ihrer Familie „Mädi“ genannt wird, viel jammert. Über ihre missglückte Beziehung, über ihren unerfüllten Kinderwunsch, über Gianni. Gut, manchmal jammert sie nicht – wenn sie einen Sonnenuntergang anschaut zum Beispiel. Eine Hauptfigur, die ständig Trost braucht, viele (nun ja, lesbare) Gedichte schreibt und absurde Träume hat. Aber Moment: Sieben Seiten sind noch übrig.
Es gibt Menschen, die die ersten Seiten eines Buches lesen und das Ende zu kennen meinen. Es soll sogar welche geben, die das Ende deshalb gar nicht erst lesen. Das wäre bei diesem Roman voreilig. Denn auf den letzten Seiten passiert etwas, mit dem man absolut nicht rechnet. Etwas, das die Protagonistin viel sympathischer macht. Es lohnt sich also, das Buch komplett zu lesen.
Patricia Achter
Susanne Scholl: „Warten auf Gianni“ 220 Seiten, Hardcover, 19,90 EuroISBN: 9783701716678
ISBN ebook: 9783701745203 Residenz Verlag