Das Grauen hinter Pappfassaden

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Niemand hört ihr zu – Mascha (Josephine Mayer) ist allein Bild: Thomas Langer

Als die 13-jährige Mascha die blauen Flecken der Nachbarskinder sieht, kommt ihr ein schrecklicher Verdacht. Misshandelt der angesehene Autohändler seine Kinder? Mit der Bühnenadaption des Romans Elefanten sieht man nicht wagt sich das Stadttheater Fürth an ein brisantes und immer aktuelles Thema. Regisseur Thomas Stang zeigt eindrucksvoll, wie wenig es braucht, um das Grauen greifbar zu machen.

Ferien bei Opa und Oma, dass heißt für Mascha (Josephine Mayer) vor allem Langeweile. In dem kleinen Dorf in Niedersachsen gibt es absolut nichts zu erleben und die Dreizehnjährige verbringt ihre Tage meistens mit Kopfhörern im Ohr auf dem Spielplatz. Hier trifft sie auch auf die Geschwister Julia (Julia Hell) und Max (Damjan Batistić) – und merkt schnell dass mit den beiden etwas nicht stimmt. Julia hat mysteriöse blaue Flecken und der siebenjährige Max leidet unter Panikattacken. Als der Junge eines Tages mit einer blutigen Schramme auf der Stirn auftaucht, schlägt Mascha Alarm – doch sie stößt auf eine Mauer des Schweigens. Ihre Großeltern glauben ihr nicht, die Nachbarn hören nicht zu und bei der Polizei nimmt man sie nicht ernst. Mascha wird klar, dass sie selbst aktiv werden muss, wenn sie den Kindern helfen will.

 

Gewalt im Kopf

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Augen auf bei Kindesmisshandlung!  Bild: Thomas Langer

Regisseur Thomas Stang tut gut daran, die tatsächliche Gewalt nie auf die Bühne zu holen. Dem Publikum bleibt der Anblick von blauen Flecken und Schürfwunden erspart und selbst als Mascha bei ihren Nachforschungen Augenzeugin der Kindesmisshandlung wird bleibt der Fokus ganz auf ihrer Reaktion. Damit bleibt es jedem Einzelnen überlassen, sich die Gewaltszenen hinter der unschuldig-weißen Hausfassade vorzustellen und ihre Spuren auf die Körper der jungen Schauspieler zu projizieren. Die psychischen Folgen werden – insbesondere durch die ergreifende Darstellung des tief traumatisierten Max – immer wieder greifbar.

Durch das Ausklammern der konkreten Taten rückt der Fokus von den gesichtslosen Eltern mehr und mehr auf die übrigen Dorfbewohner. Die reagieren anfangs verständnislos, später regelrecht empört auf Maschas Anschuldigungen. Sogar ihre Großmutter findet immer abenteuerlichere Ausreden („Wir haben doch das Auto von ihm – das kann kein schlechter Mensch sein“). Hier kommt auch die spärliche Kulisse zur Geltung, in der die Erwachsenen lediglich als unbewegte Schattenrisse auftreten. Mascha läuft hier mit ihren Beschuldigungen buchstäblich gegen Wände.

 

Spannende Rettungsmission

Teilweise geht es auf der Bühne ein bisschen chaotisch zu. Stang bewirbt sein Stück als „Mischung aus Schauspiel, Figurentheater und Live-Hörspiel“ und jongliert besonders zu Anfang gelegentlich zu wild mit den Genres. Mascha führt ein Gespräch mit ihrer Papp-Silhouetten-Oma, klettert für ein Telefongespräch mit ihrem Vater auf einen improvisierten Hochsitz und findet zwischendurch noch Zeit für einen kurzen Ausdruckstanz zu dröhnender Teenager-Musik. Hier hätten die einzelnen Szenen mehr Zeit gebraucht, um ihr ganzes Gewicht zu entfalten. Glücklicherweise findet der Regisseur zu einer einheitlichen Sprache, sobald Maschas Rettungsmission Gestalt annimmt. Ihr verzweifelter Plan, Julia und Max in Sicherheit zu bringen sorgt im Verlauf des Stücks für ein neues Spannungselement und mehrere berührend-emotionale Momente zwischen den Kindern. Dabei werden auch immer wieder geschickt Details über Maschas eigene komplizierte familiäre Situation eingestreut, ohne das Hauptthema aus den Augen zu verlieren.

Das Ende ist so hart wie konsequent und eine weitere Stärke des Stücks. Die zuvor so zurückhaltende Nachbarschaft wendet sich gegen Mascha – und selbst ihrem Großvater fällt als letztem Verbündeten nicht mehr ein, als eine kryptische Elefanten-Geschichte. Aufgelöst wird hier gar nichts. Nach eineinhalb Stunden bangem Daumendrücken lautet das Fazit: Wer bei Kindesmisshandlung wegschaut, macht sich zum Mittäter. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass Theaterfiguren die Probleme für uns lösen. Eine Botschaft die, trotz Altersfreigabe, auch für Kinder wichtig werden könnte.

Simon Lukas

Elefanten sieht man nicht

Stadttheater Fürth – Kulturforum

11. – 14. April 2016   10:00 Uhr

Eintritt: 12 €/ Studenten 6 €

Freigegeben ab 13 Jahren.

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