Nach mehreren Propagandafilmen über die glorreiche russische Revolution braucht Meisterregisseur Sergej Eisenstein einen Tapetenwechsel – und reist ins ferne Mexiko. Eisenstein in Guanajuato nutzt die Reise, um dem Exzentriker gleich noch eine Liebesgeschichte anzudichten. Zwischendurch werden dann aber auch noch wichtige Themen angesprochen.
Der Winter 1931: Sergej Eisenstein (Elmer Bäck) ist der Starregisseur des sowjetischen Kinos. Seine Propagandafilme haben das Kino revolutiniert und werden inzwischen sogar im Westen gefeiert. Alle Welt wartet auf sein neues Werk Que viva México – einen Film über das Leben in Mexiko. Doch die Dreharbeiten stehen unter keinem guten Stern: Das bunte Leben in Südamerika überfordert den Russen zusehends. Und während das Filmteam zur Arbeit drängt und das Visum abzulaufen droht, verbringt der exzentrische Meisterregisseur seine Tage lieber mit dem galanten einheimischen Reiseführer Palomino (Luis Alberti). Zwischen den beiden so verschiedenen Männern entwickelt sich erst eine tiefe Freundschaft, dann eine Liebesgeschichte. Ein straffes Programm für 10 Tage Aufenthalt.
„Russen duschen nicht!“
Der Kulturschock des sozialistischen Regisseurs im tiefreligiösen Mexiko führt zu den komischsten Szenen des Films – selbst die einfachsten Haushaltsgegenstände stellen den Regisseur vor unvorhergesehene Herausforderungen. Wie funktioniert eigentlich eine Dusche? Und wofür braucht man einen Pyjama? Es ist Bäcks nuanciertem Schauspiel zu verdanken, dass Eisenstein hier nie zur Witzfigur verkommt, sondern bei aller Exzentrik immer Herr der Lage bleibt. Mit geradezu kindlicher Neugier fegt er durch die Gassen und Gärten, schleicht sich in Kirchen und liefert sich Verfolgungsjagden mit kriminellen Straßenbanden.
Nebenbei lässt Regisseur Peter Greenaway seinen Eisenstein auch über die kreative Elite des frühen 20. Jahrhunderts herziehen. Von Marlene Dietrich bis Walt Disney – Eisenstein dekonstruiert die Großen seiner Zeit genüsslich, während am Bildschirmrand Originalfotos durchs Bild flirren. All dieses namedropping und alle historischen Bezüge – nebenbei wird in der mexikanischen Hitze das Jubiläum der Oktoberrevolution gefeiert – täuschen nicht darüber hinweg, dass es Greenaway nie um eine historische Biographie geht. Eisenstein ist bei ihm reiner kreativer Geist, der außerhalb des stalinistischen Machtapparats nicht nur aus künstlerischen sondern auch aus gesellschaftlichen Konventionen ausbricht und schließlich – Symbolik, Symbolik – in der Revolutionsnacht seine Homosexualität entdeckt.
Liebe unter der mexikanischen Sonne
Von den konkreten Filmarbeiten zu Que viva México sieht man ab hier nicht mehr viel. Wenn sich die Verantwortlichen beschweren, dass Eisenstein Filmrolle um Filmrolle mit unbrauchbaren Schnittbildern füllt, fragt man sich wann er das denn geschafft hat. Greenaway konzentriert sich lieber auf die Beziehung Eisensteins zu seinem jungen Fremdenführer, die erstaunlich schnell vom Urlaubsflirt zur handfesten Affäre wird: Inklusive dem zusätzlichen Gewicht, dass das Verhältnis zum Familienvater Palomino unweigerlich mit sich bringt. Nach der lebensfrohen ersten Hälfte bringt Greenaway sein Personal hier in emotionale Dilemmata und ist umsichtig genug, keine einfachen Lösungen anzubieten.
Richtig spannend wird es, sobald die Verliebten ins Philosophieren kommen. Zwischen dem sozialistisch geprägten Russen und dem weltgewandten Mexikaner prallen Welten aufeinander. Besonders das morbide mexikanische Verhältnis zu Tod und Sterben fasziniert den abgeklärten Eisenstein. So kommt der Film, neben einigen interessanten Dialogen, auch zu einer bizarren Symbolsprache: Die Männer wiegen sich im Tanz mit Skeletten, planen begeistert die eigene Ermordung und lassen sich im Bett einen Schädelkuchen schmecken. Schließlich endet der Film sogar mit Eisensteins Tod im Jahr 1948. Soviel Biographie darf dann doch sein.
Simon Lukas
E-Werk
Donnerstag, 28. Januar – 20:00,
Freitag, 29. Januar – 18:00,
Samstag, 30. Januar – 18:00,
Dienstag 2. Februar– 20:30
Danke für den Artikel, der Film hört sich interessant an.
Werde ihn mir ansehen, Peter Greenaway ist ja bekannt für seine Künstlerdramen.