Anfang des 17. Jahrhunderts machte Shakespeare den historischen König Macbeth zum Sinnbild menschlichen Scheiterns. Heute, 400 Jahre und mehrere kinotechnische Revolutionen später, kann seine Geschichte endlich angemessen erzählt werden: Als zweistündiger Monumentalfilm. Regisseur Justin Kurzel unterlegt die klassischen Verse mit atemberaubenden Bildern und schafft ein zeitloses Meisterwerk. Das ist besonders seinem Hauptdarsteller zu verdanken.
Schottland im tiefsten Mittelalter. Eine Rebellion erschüttert das Reich, machtgierige Fürsten stellen sich gegen König Duncan (David Thewlis) und drohen das Land ins Chaos zu stürzen. Der königstreue Macbeth (Michael Fassbender) hat gerade eine entscheidende Schlacht geschlagen, als dunkle Mächte eingreifen. Drei Hexen prophezeien dem Heerführer eine goldene Zukunft – er selbst könnte König werden. Angetrieben von seiner machthungrigen Ehefrau (Marion Cotillard) mordet Macbeth sich seinen Weg zum Thron. Doch je mehr Vorhersagen sich erfüllen desto paranoider wird der neue König – denn die Hexen haben auch noch einem anderen die Krone versprochen. Beim Versuch seine Konkurrenz auszuschalten entfesselt Macbeth eine neue Rebellion.
Schlacht der Effekte
Regisseur Justin Kurzel zeigt schnell, was er effekttechnisch draufhat. Gleich in einer der ersten Szenen stürzt er den Zuschauer in ein atemberaubendes Schlachtgetümmel zwischen Slow Motion und Zeitraffer. Der Australier pumpt ein Gemetzel irgendwo im schottischen Hinterland zur Jahrhundertschlacht auf und entwickelt nebenbei eine Ästhetik des Krieges, neben der selbst Zack Snyders 300 blass aussehen. Zum Glück schaltet der Regisseur nach dieser ersten Demonstration seiner Künste ein paar Gänge zurück und findet bald zu einer gemäßigteren aber nicht weniger effektiven Bildsprache. Shakespeares unsterbliche Verse können in ruhigen Einstellungen ihre volle Wirkung entfalten. Mit majestätischen Naturaufnahmen wird nebenbei das Land, um dessen Herrschaft hier so leidenschaftlich gekämpft wird, gewürdigt. Schon für diese Bilder hat es sich gelohnt, an den Originalschauplätzen des Dramas zu drehen.
In einem so epochalen Setting bleibt für Statisten naturgemäß wenig Platz. So ist es auch nicht weiter schlimm, dass die Riege der Nebencharaktere in erster Linie aus austauschbaren martialisch dreinschauenden Männern mit struppigen Bärten besteht. Hier den Überblick zu behalten, welcher Mac gerade gegen wen in Stellung gebracht wird, ist so kompliziert wie unnötig. Leider hat aber auch die wichtigste Nebenfigur kaum Möglichkeiten Akzente zu setzten: Marion Cotillard bleibt als Lady Macbeth – von einigen wenigen Szenen abgesehen – immer in der Rolle der kalten Intrigantin. Sie darf den Mord an König Duncan planen und dabei helfen die anderen Thronanwärter aus dem Weg zu räumen. Sobald das erledigt ist verschwindet sie erstaunlich unspektakulär aus dem Drehbuch. Hier wurde wohl eine Gelegenheit verpasst- demonstriert Kurzel doch an anderer Stelle wie viel dramatisches Potential in den Familienverhältnissen der Macbeths liegt.

Macbeth (Michael Fassbender) holt sich Rat Bild: StudioCanal
Monarch im Unterhemd
Glücklicherweise darf Michael Fassbender alle emotionalen Facetten ausspielen. Er macht nicht nur die Dramatik, sondern auch die Schizophrenie seiner Figur fühlbar: Der mächtigste Herrscher des Landes lässt sich von seiner Frau instrumentalisieren und reitet – wenn sie ihm gerade nicht weiterhelfen kann – auch mal im Unterhemd durchs Moor, um bei den Hexen um Rat zu fragen. Die unbehaglichste Szene des Films ist so auch keiner der zahlreichen brutalen Morde, sondern der Nervenzusammenbruch des Königs bei seinem ersten offiziellen Bankett. Fassbenders Entwicklung vom ehrenhaften Vasallen zum wahnsinnigen Tyrannen ist nicht weniger als eine darstellerische Meisterleistung.
Interessant ist auch Kurzels Darstellung der prophetischen Hexen. Hier sind sie nicht die aus anderen Interpretationen bekannten kreischenden Dämonen, sondern kalte Schicksalsgöttinnen, die das Leben der Sterblichen mit emotionsloser Selbstverständlichkeit durcheinanderwirbeln. Sie wissen haargenau wie alles enden muss und stehen dennoch an der Seitenlinie bereit, um Macbeths Scheitern zu verfolgen. Vielleicht können diese drei in dem an Sympathieträgern so armen Drama letztendlich zu Identifikationsfiguren des Publikums werden. Es ist die alte Geschichte vom menschlichen Scheitern und obwohl wir sie schon unzählige Male gesehen haben schauen wir doch wieder hin. Diesmal lohnt es sich.
Simon Lukas
Manhattan Kino
Montag, 9. November, bis Mittwoch, 11. November
18.00 Uhr