kultur>kolumne: Hangover eines Straßenschilds

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Abstrakte Kunst…

Die wirklich wertvollen Kunstwerke findet man oft am Straßenrand. Als Beweis habe ich ein Bild von dem Bild gemacht, das eine Mischung aus Expressionismus und Futurismus ist. Wie es dazu kam, dass ein Straßenschild zum Kunstwerk wurde, erzählt der Betroffene am besten selbst:

Mein Leben ist völlig eintönig und langweilig. Normalerweise. Ich bin einer von denen, die auf Partys nie etwas Interessantes zu erzählen haben; etwas, das lustig ist oder spannend oder verrückt. Das liegt nicht etwa daran, dass ich den berühmten Stock im Arsch habe. Es ist viel schlimmer: Ich bin der Stock. Wer jetzt lacht, hat den Ernst meiner Lage nicht begriffen. Der Stock ist mein Körper. Am oberen Ende ist ein Schild befestigt. Vielleicht ist das mein Kopf, vielleicht habe ich auch nur ein Brett vorm Kopf. Tatsächlich ist mein Leben so langweilig, dass ich mich über mich selbst lustig mache. Aber Mitleid kann ich auch nicht gebrauchen.

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So sieht mein normales Leben aus.

Falls mir jemand noch nicht glaubt, dass ich normalerweise überhaupt nichts erlebe, kommt hier der letzte Beweis. Ich bin nämlich kein Stoppschild an einer vielbefahrenen Kreuzung, nicht mal ein Einbahnstraßenschild in der Erlanger Innenstadt. Ich bin ein „Baden verboten! Gesundheitsgefährdung!“-Schild an einem kleinen See vor Alterlangen. Wenn ich ehrlich bin, ist das eher eine große Pfütze. Nein, bevor ich mir empörte Einwände der Anwohner anhören muss, nenne ich es lieber „See“, wie mein Kollege an der Straßenecke.

Es ist ein sehr schöner See. Ich habe einen schattigen Platz neben einem Artgenossen, der noch nicht gefällt wurde. Im Herbst schenkt er mir aus Mitleid das eine oder andere Blättchen, damit mein Kopf nicht gar so kahl wirkt. Das steigert meine Attraktivität enorm. Manchmal schaut mich sogar einer der vorüberziehenden Fußgänger oder Radfahrer an.

So sieht mein normales Leben aus. Wobei, vielleicht sollte ich es besser meinen normalen Tod nennen. Ich bin schließlich ein toter Baum, dessen Körper noch nicht verfallen ist, sozusagen der Vampir unter den Bäumen.

Vor einigen Wochen aber hat sich mein Alltag von einem Tag auf den anderen vollkommen verändert. Ich hatte mein persönliches Hangover-Erlebnis. Erinnern kann ich mich nur noch an die Jugendlichen, die mich mit einer fast leeren Wodka-Flasche bewarfen. Ich bin Alkohol nicht gewöhnt und war sehr schnell sehr betrunken. Das sieht man mir nicht an, weil ich nicht torkeln kann.

 

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Nobody likes me when I am intoxicated.

Ab dem nächsten Tag war etwas anders. Manche Menschen, die vorbeikamen, deuteten auf mich und grinsten mich an. Sie beachteten mich. Erst dachte ich, dass ich mir das – verkatert, wie ich war – alles einbildete. Dann grinste ich zurück, überglücklich. Das bemerkte niemand, weil Schilder das beste Facelifting der Welt haben und niemals ihr Gesicht verziehen. Ich bin mir aber sicher, dass manche spürten, wie gut es mir ging. Ich war in Luftsprung- und Lautsingen-Stimmung.

Warum mich die Leute so freundlich anlächelten, weiß ich erst, seit ein Angestellter der Stadt das Zeitungspapier von meinem Gesicht abnahm. Ein Lächeln huschte noch über sein Gesicht, als er das krakelige Elefantentierungeheuer sah und las: „Nobody likes me when I am intoxicated.“ Dann holte er einen offiziellen Zettel aus der Tasche. Und ich bekam wieder meinen Job als „Baden verboten! Gesundheitsgefährdung!“-Schild.

20150917_132403Langweilig ist mir seitdem nicht geworden. Jetzt sorge ich selbst für ein bisschen Abwechslung. Vor einigen Tagen bin ich mit dem richtigen Rückenwind in den See gesprungen und baden gegangen. Ein bisschen hatte ich gehofft, dass ich mich in ein Elefantentierungeheuer verwandeln würde und wie die schottische Nessy Angst und Schrecken verbreiten könnte. Offensichtlich funktionierte es nicht. Also schwamm ich zurück an Land zu meinem kleinen Wiesenplatz. Hier liege ich und beobachte die Wolken, die vorbeiziehen. Und lasse mich überraschen, was noch kommt. Eigentlich könnte ich mal wieder zu einer Party gehen.

Patricia Achter

 
Sämtliche Ereignisse sind frei erfunden – nur die Bilder sind echt. Wer weiß schon, wie das Schild wirklich im See gelandet ist?

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