Lenz im Libanon

Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner; Umschlagfoto: Giulio Rimondi

Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner; Umschlagfoto: Giulio Rimondi

„Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg.“ So lautet einer der wohl bekanntesten ersten Sätze in der deutschsprachigen Literatur. Es handelt sich um eine Erzählung Georg Büchners über den Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz. Dieser Stoff ist zahlreich aktualisiert worden, zuletzt von Albert Ostermaier, der den Stoff in seinem neuen Roman Lenz im Libanon in die krisengeschüttelte Levante verlegt.

Während Büchner seinen Lenz aber mit dem Interesse eines Arztes als Symptom oder besser Bündel an Symptomen beschreibt – Lenz’ bis zum Zerreißen gespannte Individualität – und die Gründe letztlich im Dunkeln bleiben, widmet sich Ostermaier wesentlich empathischer und weniger subtil dem hier im Prinzip „nur“ liebeskranken Dichter.

Gleichzeitig ist das Buch von seitenlangen Monologen über die politische Lage angesichts der Bedrohung durch den Islamischen Staat durchzogen. Jede einzelne Figur hat dazu etwas zu sagen, von Lenz abgesehen, der seine Gedanken zumeist nach innen richtet. Das stete Hin und Her zwischen Introspektion und äußerer Wahrnehmung, zwischen Traum und Erwachen macht den in den Libanon versetzten Lenz erst recht zu einer eigenartig schillernden Gestalt.

So sehr die Figur sich fragen mag, was sie dort sucht, so sehr muss die Frage durch den Rezipienten wohl wiederholt werden. Der aktualisierte Lenz, der sich von einem „Dichterfürsten“, gemeint ist Goethe, verstoßen sieht, wirkt in dieser so ‚wirklichen‘ Umgebung tatsächlich aus der Zeit gefallen. Diesen Eindruck verstärkt die sich in müden Wortspielereien erschöpfende Sprache, die sich in ihrer auf die Spitze getriebenen Bildlichkeit etwas zu sehr gefällt:

„Und ich habe dich verloren, als ich mich an dich verlor. Ja, ich habe verloren, nichts mehr in deinem Leben verloren, aber in deiner Liebe hatte ich manches gewonnen.“ (67)

Möglicherweise ist dieser Lenz zur Unzeit, die Traumgestalt, der einzig ernstzunehmende Gegner für eine so real erfahrbare Terrorarmee. Dennoch: Die neue Kulisse für diesen neuen Lenz bleibt unplausibel. Lenz hat seine Ängste, sein pathologisches Verhalten schon mitgebracht, und der Krieg, die realste Bedrohung, braucht diesen Schmerzensmann nicht.

 

Albert Ostermaier, Lenz im Libanon, Berlin: Suhrkamp 2015, 190 S., 19,95 €, ISBN: 978-3-518-42474-2.

Timo Sestu

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