Junge Helden, korrupte Politiker und ein großes Geheimnis. Regisseur Stephen Daldry fährt in Trash ziemlich jedes Kinderdetektiv-Klischee auf − und scheitert. Dabei helfen auch die besten Absichten nicht.
Mit lautem Rumsen wird der Müllwagen entladen und ergießt seinen stinkenden Inhalt auf die Halde. Sofort ist er von Neugierigen umringt, die die Abfälle nach verwertbaren Resten durchforsten. Auch der junge Raphael (Rickson Teves) und sein Freund Gardo (Eduardo Luis) verbringen jede freie Minute knietief in den Abfällen. Für die ärmsten Bewohner von Rio de Janeiro bleiben nur die Reste des luxuriösen Großstadtlebens. Doch heute hat Raphael Glück. Zwischen all dem Müll findet er eine Brieftasche. Und darin neben ein paar Scheinen auch einen geheimnisvollen Schlüssel. Schon bald durchkämmt die Polizei die Gegend − alle sind auf der Suche nach dem Portemonnaie. Zusammen mit dem Aussätzigen Rato (Gabriel Weinstein) versuchen die Jungen das Rätsel der Brieftasche zu lüften und kommen dabei einem großen Geheimnis auf die Spur.
Basiert auf dem Bestseller von Andy Mulligan inszeniert Regisseur Stephen Daldry das Abenteuer als sehr konventionelle Detektivgeschichte. Auf der Spurensuche schickt er seine jungen Helden quer durch die ganze Stadt und lässt sie im Minutentakt neue Rätsel entschlüsseln. Leider erschöpft sich das Drehbuch bald in immer neuen − und zunehmend absurden − Anhaltspunkten, für eine Charakterentwicklung bleibt da keine Zeit. So sind nahezu alle Figuren so eindimensionale wie altbekannte Schablonen: Der sadistische Polizist, der korrupte Politiker und der heldenhafte Reporter. Und auch die Jungen sind in ihren Handlungen, vorsichtig ausgedrückt, nicht wirklich ausgeprägt motiviert. Auf die Frage warum er für eine zufällig gefundene Brieftasche sein Leben riskiert antwortet Raphael mit „Weil es richtig ist“. Viel platter kann Charakterzeichnung nicht funktionieren. Die in Nebenrollen verbannten Hollywoodgrößen Martin Sheen (Apocalypse Now) und Rooney Mara (Verblendung) können hier nicht mehr viel retten.
Uninspirierte Wendungen
Auch die Inszenierung des großen Katz-und-Maus-Spiels mit der Polizei wird mit zunehmender Laufzeit immer holpriger. Häufig können sich die Jungen nur durch glückliche Zufälle retten − und als Raphael doch einmal in die Hände der Verfolger gerät, wird er nur wieder laufen gelassen, weil der zuständige Polizist gerade keine Lust hat ein Kind zu erschießen. Solche uninspirierten Wendungen schaden nicht nur dem Spannungsaufbau, sie gehen auch zulasten des geforderten Realismus. Nach ein paar überraschenden Gewaltexzessen zu Anfang wird der Film hier tatsächlich recht handzahm.
Daneben erweist sich der narrative Kniff, die Protagonisten ihre Handlungen zum Zuschauer gewandt kommentieren zu lassen, als ärgerlich. Wir sehen wie Gardo den Polizisten knapp entkommt, Gardos Kommentar: „Da bin ich den Polizisten noch mal knapp entkommen.“ Einen Mehrwert hat dieses, wohl aus bestimmten Reality-Shows geborgte Element, so gut wie nie.
Unpassendes Happyend
Nach 114 Minuten Spielzeit und einem großen Twist (Der böse Politiker ist böse.) wird noch einmal klar, worum es Daldry von Anfang an ging. Martin Sheen darf mit Pathos und echter Empörung eine Liste von korrupten Konzernen und Firmen in Südamerika vorlesen. Informationen, die in einer Dokumentation besser aufgehoben wären. Hier in der einfachen Trash-Welt reichen sie um eine Revolution auszulösen und dem Film zu seinem absehbar glücklichen Ende zu verhelfen. Die zu Anfang noch so realistisch gezeichneten Probleme der Slums erscheinen bald als schnell zu lösende Lappalie. Ein optimistischer Fehlschluss den auch das in MTV-Hochglanz gefilmte Happyend nicht glaubwürdiger macht.
Letztendlich bleibt unklar an welche Zielgruppe Daldry seinen Trash richtet. Für einen reinen Kinderfilm wird es stellenweise zu brutal, für ein ernsthaftes Slumdrama ist es zu simpel aufgebaut und das aufgesetzte Ende dürfte jedem tatsächlich Interessierten übel aufstoßen. Der Regisseur verhebt sich mit der düsteren Thematik fulminant und liefert einen Film ab der niemandem gerecht wird. Und seine guten Absichten machen alles nur noch schlimmer.
Simon Lukas
Lamm-Lichtspiele
Donnerstag, 25. Juni bis Mittwoch, 1. Juli
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