Paris, 1827; es tobt das Leben der Straßenkünstler und Gaukler. Da gibt es den selbstbewussten Frédéric, der sein Leben in vollen Zügen genießt; den sensiblen Pantomime, Baptiste, der davon träumt, das Publikum ganz ohne Worte zum Lachen zu bringen und zu Tränen zu rühren. Da gibt es die bescheidene Nathalie, die Baptiste und sich selbst für füreinander bestimmt hält. Und dann ist da noch die schöne Kurtisane Garance, die jeden Mann spielend um den Finger wickelt…
„Die Kinder des Olymp“ – beim Gastspiel des Metropoltheaters München, das am Mittwoch, den 06.05., im Stadttheater Fürth aufgeführt worden ist, sind Missverständnisse und Konflikte vorprogrammiert. „Die Kinder des Olymp“ ist eine Hommage an das Theater, das zum Schauplatz des Lebens selbst wird und in dem die Schauspieler ihre ganz eigenen emotionalen Höhen und Tiefen erleben. Jochen Schölch hat eine hervorragende Inszenierung nach dem Film-Meisterwerk von Marcel Carné für das Theater geschaffen, in der das Milieu der Künstler und Komödianten im romantischen Paris von 1827 mit all seinen Ausschweifungen und Schwelgereien lebendig wird. Doch „Die Kinder des Olymp“ ist nicht nur ein Tribut an das Theater, es ist vor allem eine Liebesgeschichte. Eine Liebesgeschichte, in der in Frage gestellt wird, was Liebe überhaupt ist. Baptiste liebt Garance, Garance liebt Baptiste – doch tun sie dies auf dieselbe Art und Weise?
Irrungen, Wirrungen
Nach Garance ist die Liebe „ganz einfach“, ganz leicht. Die Kurtisane ist eine Tochter der Lebenslust und des Frohmuts – Baptiste hingegen ist sensibel, verletzlich. Er ist Garance vollständig verfallen, seine Liebe zu ihr geht irgendwie tiefer, sie ist ernster. Diesen feinen Unterschied merkt auch Baptiste – und weist Garance zurück. Sie soll ihn genauso lieben wie er sie. Und damit trennt sich das Paar. Garance führt erst eine Beziehung mit Frédéric und heiratet schließlich aus einer Notlage heraus einen reichen Grafen. Die Jahre vergehen, die Umstände verändern sich und Garance kehrt, immer noch von der Liebe zu Baptiste bewegt, nach Paris zurück. Dort beobachtet sie jeden Abend von einer Loge aus den inzwischen als Pantomime sehr erfolgreichen Baptiste, traut sich jedoch nie, ihn anzusprechen. Doch dann kommt es zu einem Wiedersehen mit Frédéric. Garance bittet ihn, vorsichtig bei Baptiste nachzufragen, ob er an einem Treffen mit ihr interessiert sei. Nathalie, die inzwischen mit Baptiste verheiratet und die Mutter seines Sohnes ist, erfährt jedoch von der Anwesenheit der früheren Kurtisane und schickt den kleinen Baptiste zu ihr. Von diesem Zusammentreffen erschüttert, flieht Garance, bevor Baptiste sie sehen kann. Letztendlich verbringen die beiden Liebenden doch eine Nacht miteinander – „Paris ist schließlich klein für zwei Verliebte wie wir.“ Doch Nathalie erwischt die beiden. Garance tritt zugunsten von Nathalie und dem kleinen Sohn den Rückzug an – und Baptiste? Der zerbrechliche Baptiste steht schweigend zwischen den Frauen. Als Garance geht, rennt er ihr, verzweifelt immer wieder ihren Namen rufend, nach. Und damit fällt der Vorhang.
Kurztrip nach Paris, 1827
Während Jochen Schölch im ersten Teil des Stücks den (vermeintlichen) Glanz der Pariser Theaterszene heraufzubeschwören versucht, legt er nach der Pause den Fokus auf die ganz persönlichen, hochemotionalen Dramen der einzelnen Charaktere, das Stück gewinnt an Ernsthaftigkeit. Es entsteht eine ganz eigene Welt aus Tragik und Komik, die allein durch einen einzigen roten Vorhang und zarte Melodien von Akkordeon und Klarinette getragen wird. Zum Leben erwecken dieses schlichte Bühnenbild die Schauspieler, die nicht nur unglaublich authentisch sondern auch die perfekte Besetzung für ihre jeweiligen Rollen sind. Philipp Moschitz zum Beispiel wirkt mit seinen zarten Gesichtszügen genau wie Baptiste selbst außerordentlich zerbrechlich – innerlich wie äußerlich. Die Rollen wirken wie auf die Schauspieler zugeschnitten, nicht die Schauspieler wie an die Rollen angepasst. Ob stumme Pantomime, schauspielern in Zeitlupe oder ganz „klassisch“ – die Darsteller beherrschen ihr Handwerk perfekt, die Übergänge zwischen allen drei Darstellungsarten sind naht- und fehlerlos. Eine große Leistung also; sowohl von Schölch als auch von den Akteuren, die das Publikum in das Paris des 19. Jahrhunderts mitnehmen, die Zuschauer in eine, nein ihre ganz eigene Welt entführen. Dabei weiß man gar nicht, wofür man sich entscheiden soll: Weint man vor Lachen über die überaus komischen Charaktere und Szenen oder aus Trauer aufgrund der melancholisch-tragischen Liebesgeschichte mit unheimlich viel Bezug zur Gegenwart.
Sabine Storch