Erwachsen, orientierungslos, mit Flusspferd sucht …

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Bild: Hanser Literaturverlag

Am Anfang steht die Trennung. Die Trennung von Julian und Judith. Obwohl die beiden so ein nettes Paar gewesen seien, wie ihnen alle beteuern. Jetzt ist es vorbei und das Leben geht weiter. Julian ist aus der Bahn geworfen, orientierungslos, auf der Suche. „Ich suchte etwas, das die Lücke füllen sollte, und fand nichts“, so der Ich-Erzähler. „Ich suchte, ich suchte, ich suchte, angespannt, eifrig, schweigsam, zwischen den Menschen, die ebenfalls ihrer Wege gingen, sie gingen und redeten.“ Eine Hilfe, mit der neuen Situation umzugehen, ist sein Ferienjob bei Professor Beham. Er kümmert sich um dessen Flusspferd, das in einem Tümpel im Garten lebt. Selbstporträt mit Flusspferd heißt auch der Roman von Arno Geiger.

Julian braucht den Job und das Geld, weil er Schulden bei Judiths Vater hat. Er braucht ihn aber auch aus einem anderen Grund: Die regelmäßige, körperliche Arbeit gibt ihm Halt und Orientierung, Zeit zum Nachdenken. So wie seine Gedanken dahinfließen, fließt die Handlung dahin. Beides ist leicht nachzuvollziehen, etwa wenn Julian über Schwachstellen grübelt: „Wenn man mich fragt: Dort wo die Menschen ganz sie selbst sind, dort sind ihre schwachen Stellen.“

Leser nehmen Teil an Julians Leben in diesem Sommer, an seinen Erkenntnissen, an emotionalen Höhenflügen und Tiefpunkten. Während seiner Arbeit lernt er Aiko, die Tochter des Professors, kennen. Nach einer gemeinsamen Nacht erhofft er sich mehr, wohingegen sie ihre Unabhängigkeit behalten will. Wochenlang bleibt in der Schwebe, wie es mit ihnen weitergeht. Julian verliebt sich immer mehr in sie, während sie ihn meist abweisend behandelt. Dann lässt sie sich doch auf eine gemeinsame Zeit ein. Als Leser erfährt man nicht mehr als der Erzähler selbst: Ist Aiko nun in ihn verliebt oder ist er für sie nur eine Sommeraffäre?

So kommt Julian wieder zu einer Erkenntnis: „Heute wüsste ich es im voraus, irgendwann kommt der Punkt mit der Frage: Haben wir jetzt eine Beziehung oder haben wir keine? Ja? Nein? Dann geht es aus dem schwebenden Zustand der Verliebtheit heraus, die Mysterien weichen den Tatsachen, gewisse Zudringlichkeiten des Alltags schieben sich in den Vordergrund.“

 

„Vor drei Jahren war die Welt noch geordneter“

Dass das Leben voller Unsicherheiten und Hürden ist, geht aus diesem Buch deutlich hervor. Der Ich-Erzähler ist so sympathisch, gerade weil er nicht auf alles Antworten hat und noch keinen festen Platz im Leben gefunden hat. Probleme tauchen auf und Beobachtungen werden gemacht, die überhaupt nicht abwegig sind. Offen und ehrlich breitet Julian vor den Lesern aus, wie er sich fühlt, was er denkt, warum er wie handelt. Er ist zweiundzwanzig Jahre alt, also mitten in einer Umbruchphase: Am Anfang des Erwachsenseins. Es gefällt ihm sehr. „Doch Teil dieses Erwachsenseins ist die beunruhigende Einsicht, wie schlecht ich mich im Leben auskenne. Man muss extrem viel wissen, und das Leben ändert sich ständig. Vor drei Jahren war die Welt noch geordneter, da war ich vollkommen sicher in dem, was ich gedacht, und in dem, was ich empfunden habe, so sicher, wie nur jemand sein kann, der völlig ahnungslos ist.“

Völlig unerwartet erfährt er von Aiko, dass sie schwanger ist. Sie weiß aber selbst nicht, ob sie das Kind will. So bleibt Julian in der Schwebe und der Leser mit ihm. Dazu passt auch das offene Ende. Arno Geiger zeigt das Leben als Fluss, das immer weitergeht, mal ruhiger, mal stürmischer. Nichts ist gewiss, alles in Veränderung. Trotz der Zweifel, Ängste und Unsicherheiten des Ich-Erzählers zieht sich wegen der teils tiefgründigen, teils banalen Gedanken eine gewisse Ruhe durch das Buch. Wenn man sich als Leser auf Julian einlässt, bringen einen die Erkenntnisse nicht zum Resignieren oder Verzweifeln. Am Ende bleibt eher der Eindruck: So ist das Leben eben. So geht es Tausenden von Menschen. Kein Grund zum Selbstmitleid.

Patricia Achter

Arno Geiger: Selbstporträt mit Flusspferd
288 Seiten
ISBN : 978-3-446-24761-1
19,90 Euro

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