Ins Werk geschaut und umgebaut: von der Novelle zur Tragikomödie

Foto: Joachim Dette

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Auf Einladung seiner Erlanger Kollegen präsentierte das Theaterhaus Jena am dritten Abend der Werkschau im Markgrafentheater das Ergebnis einer großen Werksuche. Um Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ auf die Bühne zu bringen, trug der Regisseur Hannes Weiler Versatzstücke vieler großer Autoren zusammen und sorgt damit für Verwirrung aber auch für Lacher bei seinen Zuschauern.

Werkschauwochenende im Theater Erlangen, das heißt Heinrich von Kleist satt. Und Kleist verspricht Komödie gepaart mit Tragik, existenzielle Probleme im albernen Gewand und die Sicherheit, dass nichts, was sicher scheint, auch sicher ist. Diese „Poetik der Verunsicherung“ rückt auch Weilers Inszenierung in den Mittelpunkt. Denn die Geschichte des Pferdehändlers Michael Kohlhaas ist nicht nur die Geschichte eines Rechtsfalls, sondern auch die einer mysteriösen Prophezeiung einer Zigeunerin, die bewirkt, dass sich der ganze Prozess urplötzlich in eine ganz andere Richtung entwickelt. Zunächst wird Kohlhaas gezwungen, seine Pferde beim Fürst Tronka zurückzulassen, da er angeblich einen Passagierschein braucht, um mit ihnen über die Grenze zu gelangen. Als er nach der vergeblichen Suche nach einem solchen Papier zurückkehrt, muss er feststellen, dass seine Pferde verhärmt und sein Knecht übel zugerichtet sind. Der Großteil des ersten Handlungsteils beschäftigt sich nun mit Kohlhaas‘ verzweifeltem Versuch, einen fairen Prozess gegen Tronka zu erwirken. Da dieser aber mit dem Kurfürst selbst und „Hinz und Kunz“ „verwandt und verschwägert“ ist, sieht er sich zuletzt gezwungen, Selbstjustiz zu üben, und Stadt und Burg in Flammen zu setzen. Dann aber nimmt die Handlung eine komische Wendung. Der Kurfürst erfährt, dass Kohlhaas zufällig auch in Besitz einer für ihn wichtigen Prophezeiung ist und will ihn verschonen. Die zweite nun eher mystisch angehauchte Handlung nimmt ihren Lauf.

Kohlhaas oder Don Quijote?

Und genau hier setzt die Jenaer Inszenierung an. Zwar wird die Geschichte in großen Teilen wiedergegeben, allerdings nimmt die Schicksals-Prophezeiungs-Handlung von Anfang an einen großen Platz im Geschehen ein. Den Pferderaub weiterhin im Zentrum fragt sich das Stück in erster Linie, inwieweit wir selbst Herr unseres Schicksals sind. Kohlhaas wirkt dabei wie Don Quijote, der gegen die ewigen Windräder der Justiz anrennt. Sein Besuch beim Advokaten gleicht einem Spießrutenlauf und erinnert deutlich an Kafkas Prozess.

Autorenkollektiv

Dank dieser Strategie der Verflechtung verschiedener Autoren füllt Weiler die Lücken, die ein narrativer Text bei der Dramatisierung lässt. Mit eigenen witzigen Dialogen, Passagen aus Hofmannsthal, Dostojewskis Schuld und Sühne und Kafka, dem eine besondere Nähe zu Kleist nachgesagt wird, ergänzt der Regisseur das Stück zu einer wilden Mischung aller Gattungen. Komplettiert wird dieses Crossover noch mit Videoeinspielern, die, mal komisch-surreal, mal intim-ernst, die Handlung voranbringen oder unterbrechen.

Eine volle Bühne und ein kleines Ende

Gerade im Bühnenbild liegt die große Stärke der Inszenierung. Erfrischend anders als beim Theater Erlangen üblich wird mit einer sehr vollen Bühne und vielen Requisiten gearbeitet. Dominiert wird das Bild hierbei sowohl von der riesigen Leinwand für die Videos als auch von einer großen Bademuschel, die eine Art infantilen Rückzugsort darstellt. All das trägt neben der Spielweise der Schauspieler zu der komischen und wirren Stimmung bei, die sich von Anfang an auf den Zuschauer überträgt. Für manchen Geschmack vielleicht zu albern, bleibt das zentrale Thema der Eigenmächtigkeit doch stets präsent. Die Entscheidung, ein „kleineres Ende“ als im Original zu wählen, das selbst für Kleists Verhältnisse überzogen daherkommt, rettet die Inszenierung aber davor, ins Lächerliche abzugleiten. Im Gegensatz zu Novelle kann Kohlhaas die Bühne nicht als strahlender Engel der Gerechtigkeit verlassen, sondern bleibt ebenso ausgelaugt zurück wie alle anderen Figuren. Die Frage nach dem Inhalt der Prophezeiung verklingt unbeantwortet im Abschlussapplaus.

Kathrin Penk

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